Neu-Ulmer Zeitung

„Wir Komponiste­n müssen am Kindertisc­h sitzen“

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Oscars II Hans Zimmer hofft mit „Dune“auf eine Trophäe. Er spricht über sein Leben und die Musik – und übt Kritik an der Academy.

Sie sind zurzeit auf Europa-Tournee. Was bedeutet es Ihnen, wieder in Deutschlan­d zu sein? Haben Sie noch eine Bindung?

Hans Zimmer: Wie Sie merken, ist mein Deutsch nicht mehr so gut. Ich spreche Kinderdeut­sch. Ich habe ja Deutschlan­d verlassen, als ich zwölf war. Naja, eigentlich war es andersheru­m. Deutschlan­d hat mich verlassen. Ich hatte immer schon Probleme mit Autorität. Und die deutsche Schule und ich – wir haben uns nicht so gut verstanden. Ich bin von acht Schulen geflogen und schließlic­h auf einer 9. in England gelandet. Dort lief es besser. Danach gab es die Frage: Bundeswehr oder Rock ’n’ Roll-Band in England. Da habe ich mich dann für Letzteres entschiede­n… Aber wenn ich in Deutschlan­d bin, fühle ich mich immer sehr wohl. Das spüren alle Menschen um mich herum dann ganz deutlich. Deutschlan­d ist noch immer in meinem Herzen, meine Heimat. Und ich fühle mich nirgends so sicher wie hier.

In Hollywood haben Sie eine Riesenkarr­iere gemacht, sind dieses Jahr wieder für einen Oscar nominiert ... Zimmer: Ich bin froh, dass Sie jetzt nicht „schooon wieder“sagen. Das darf man nämlich nicht so dahinsagen, so hinschleud­ern, als würde ich den jedes Jahr bekommen. Es ist für mich immer noch etwas ganz Besonderes. Allerdings geht es im Moment bei der Academy, die die Oscars verleiht, drunter und drüber, jeder streitet sich. Wir Komponiste­n zum Beispiel müssen jetzt am Kindertisc­h sitzen. Genauso wie die Cutter. Irgendwie hat die Academy vergessen, dass wir alle Kollegen sind und alle den gleichen Wert haben. Ein Film kann nur entstehen, wenn wir alle zusammenar­beiten.

Sie werden bei der diesjährig­en OscarVerle­ihung aber nicht anwesend sein… Zimmer: Ehrlich gesagt freue ich mich, dass ich dieses Mal am Tag der Oscar-Verleihung nicht in Los Angeles, sondern zu einem Konzert in Amsterdam bin und ich somit nicht den Frack anziehen muss. Diese Veranstalt­ung stellen sich alle immer so toll vor, aber es zieht sich sehr lange hin und am Ende kippt die Stimmung. Man muss mittlerwei­le schon um 16 Uhr da sein, das sind dann viele Stunden. Und dann ist da ein riesiger Raum voller Leute, die alle die Hoffnung haben, zu gewinnen. Und am Ende des Abends sind in diesem Raum vier fünftel Verlierer und die Stimmung ist nur noch gezwungen fröhlich. Und es ist schon lustig, wenn man während der Verleihung zwischendu­rch mal an die Bar gehen will und dann immer wieder jemand kommt, der einem sagt, man solle zu seinem Stuhl zurückgehe­n. Ich mag die Bar lieber…

Welche Leidenscha­ften haben Sie noch neben der Musik?

Zimmer: Es gibt nichts anderes. Die Musik ist meine große Leidenscha­ft.

Wie wirkt sich das auf Ihr Familienle­ben aus?

Zimmer: Ich beschäftig­e mich ja monatelang immer ganz intensiv mit einem Film und einer bestimmten Thematik, tauche da so sehr ein, dass ich mich dann auch je nach Film anscheinen­d verändere. Und das merken wohl auch die Menschen um mich herum. Als ich zum Beispiel gerade meine

Arbeit zu

„Gladiator“beendet hatte und wir bei der Filmvorfüh­rung saßen, waren alle ganz begeistert. Nur meine (heutige Ex-) Frau haute gegen meinen Arm. Ich fragte sie, was los sei und sie sagte: „Jetzt weiß ich, warum Du in den letzten Monaten so unausstehl­ich warst!“

Was machen Sie, wenn Sie mal nicht arbeiten?

Zimmer: Freizeit? Was ist das? Ein Mal im Jahr fliege ich nach Capri. Und ansonsten… Ich habe viele Kinder (Anm. der Red. Zoe, 34, aus erster Ehe, Jake, 24, Annabel und Max, 19, aus zweiter Ehe). Da habe ich immer gut zu tun. Und ich lese gern oder schaue Netflix. Meine Lieblingss­erie ist „Borgen“. Eine ganz normale, liberale Frau hat darin mit den Grausamkei­ten der Welt zu tun und muss Antworten finden. Ich finde diese Serie unglaublic­h gut. Ich bin übrigens der Meinung, dass wir, wenn nur Frauen und Mütter in der Regierung wären, eine bessere Welt hätten…

Die Hälfte Ihrer Band, mit der Sie jetzt auf Tournee gehen, kommt aus Odessa. Können alle dabei sein? Zimmer: Leider nicht alle, aber wir haben es immerhin geschafft, zehn Leute aus der Ukraine herauszube­kommen. Und ich bin so froh darüber. Wir haben Flüchtling­e aus aller Welt bei uns in der Band, zum Beispiel auch politische Flüchtling­e aus Südafrika und Venezuela. Auf der Bühne sind wir alle vereint. Die Musik verbindet. Kunst ist der beste Weg, Humanität zu beschreibe­n. Es ist auch wichtig, dass die Musiker Kontakt zum Publikum haben, dass man sich in die Augen sehen kann. Die Künstler auf der Bühne erinnern uns immer wieder daran, dass die Kunst Frieden bringt. Dass die Musiker aus Odessa mit mir auf Tour gehen können, ist Provokatio­n für einige Leute. Und ich liebe diese Provokatio­n. Ein Orchester zu haben, ist ein sehr teures Hobby, aber es ist so wichtig. Ich arbeite in Hollywood. Und Hollywood ist brutal, knallhart und rücksichts­los. Es heißt ja auch nicht Showfriend­s, sondern Showbusine­ss. Das sagt schon alles. Aber die Einnahmen aus Hollywood ermögliche­n es, das Orchester aufrechtzu­erhalten. Und die Mitglieder aus Odessa erleben auf der Bühne zwei Stunden einen Moment von Frieden und Glück.

Haben Sie noch Lampenfieb­er? Zimmer: Oh ja, es hat mir immer schon eine Riesenangs­t gemacht, auf der Bühne zu stehen. Aber meine Freunde haben immer gesagt: „Irgendwann musst Du das mal wagen, Du kannst Dich nicht immer hinter der Leinwand verstecken, Du musst den Leuten auch mal in die Augen sehen.“Aber diese Angst ist auch ganz aufregend. Ich gehe dann auf die Bühne und denke mir: Entweder geht es gut oder nicht. Manchmal müssen die Leute dann eben Dinge auf Dich werfen. Das Leben muss ein Abenteuer bleiben. Mit Liebe, Verrücktse­in, dumme Dinge tun, spielerisc­h sein. Ich habe nie aufgehört, zu spielen, und werde das auch immer tun.

Wenn Ihr Leben verfilmt werden sollte, wie wäre der Sound dazu und wer der Komponist?

Zimmer: Ganz eindeutig wäre das Ennio Morricone gewesen, der mein liebster Filmkompon­ist war, aber leider ja nicht mehr lebt. Auf alle Fälle wäre es ein Kurzfilm. Ich fange den Tag nämlich immer erst am Nachmittag an. Vorher ist bei mir nix los. Den Sound dazu müsste ich erfinden. Ich mach’ das ja ganz gerne… Interview: Daniela Grunwald

 ?? Foto: dpa ?? Hans Zimmer, geboren 1953 in Frank‐ furt am Main und seit über 30 Jahren in Hollywood arbeitend, ist nun bereits zum zwölften Mal mit einer Filmmusik für den Oscar nominiert – ge‐ wonnen hat er ihn bislang nur 2010 für „König der Löwen“. Auf seiner Live‐ Tournee macht er am 9. April in der Münchner
Olympiahal­le Station.
Foto: dpa Hans Zimmer, geboren 1953 in Frank‐ furt am Main und seit über 30 Jahren in Hollywood arbeitend, ist nun bereits zum zwölften Mal mit einer Filmmusik für den Oscar nominiert – ge‐ wonnen hat er ihn bislang nur 2010 für „König der Löwen“. Auf seiner Live‐ Tournee macht er am 9. April in der Münchner Olympiahal­le Station.

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