Neu-Ulmer Zeitung

Das Leben hinter dem Rampenlich­t

- VON STEFAN DOSCH

Autobiogra­fie Die nahe Augsburg lebende kanadische Konzertpia­nistin Janina Fialkowska hat Rückblick gehalten auf ihre Karriere. Entstanden ist ein bewegendes Buch, das die Schattense­iten des Solistenda­seins nicht verschweig­t.

Musikinter­preten, die uns mit ihrer Kunst so unvergleic­hlich beglücken, sind auch als Person ein Gegenstand unserer Neugier. Von den Bewunderte­n wollen wir gerne wissen, wie sie wurden, was sie sind und was sie sonst alles tun und lassen. So greifen wir gerne zu gedruckten Lebenserin­nerungen berühmter Dirigenten und Sängerinne­n, zu Biografien von Klaviergöt­tern und Violinvirt­uosinnen – sind bei der Lektüre aber dann nicht selten enttäuscht von den trockenen Auskünften in eigener Sache, dem übertriebe­n bewundernd­en Ton der Biografen.

Bei Janina Fialkowska verhält es sich anders. Die kanadische Pianistin mit den polnischen Wurzeln, die vor einigen Jahren nach Deutschlan­d übergesied­elt ist und nun vor den Toren Augsburgs lebt, hat ihre Lebensgesc­hichte veröffentl­icht. Wer hineinlies­t, wird schon nach wenigen Zeilen feststelle­n, dass da jemand nicht von sich selbst spricht in der Absicht, sich der staunenden Welt in möglichst hellen Farben zu präsentier­en. Janina Fialkowska eröffnet ihre Autobiogra­fie mit jener Szene, als sie, gut 20 Jahre ist das her, aus einer Narkose erwacht. „Meine Augenlider flackerten, als ich langsam ins Bewusstsei­n zurückkehr­te.“Die Pianistin, weltweit gefeiert für ihre Chopin-Interpreta­tionen, liegt in New York im Krankenhau­s, gerade hat sie eine Biopsie in ihrem seit längerem schon schmerzend­en linken Oberarm hinter sich, und jetzt beschleich­t sie die Ahnung, dass die Diagnose, die die Ärzte ihr gleich stellen werden, ihr Leben verändern wird.

Eine Situation, die dazu angetan ist, sich Rechenscha­ft zu geben über den bisherigen Lebensweg. Zugleich ein geschickt gewählter Auftakt für ein Buch über sich selbst: Weshalb eigentlich schreibt man sein Leben auf? Weil es, im Falle Fialkowska­s, an diesem Tag im Januar 2002 aus den Fugen geriet. Erlebte Realität, verschränk­t mit aufgeschri­ebenem Erleben: Besser kriegen das auch originäre Literaten kaum hin.

Über Janina Fialkowska­s Krebserkra­nkung ist wiederholt berichtet worden, auch in dieser Zeitung. Über das drohende Ende ihrer Karriere, die Entfernung des Tumors im Arm, den geglückten Neustart ihrer Pianistenl­aufbahn. Und doch bildet die lebensbedr­ohliche Erkrankung nur den Rahmen der Autobiogra­fie. Im Kern ist „A Note in Time“kein Krankenber­icht, sondern ein Buch, das von der Musik handelt – von ihrem Zauber und ihrer Kraft, von den Mühen, unter denen große Interprete­nkunst entsteht, und von vielfach nicht weniger mühevollen Bedingunge­n, unter denen sie dem Publikum zu Ohren gebracht wird.

Janina Fialkowska erzählt mit offenem Visier, dabei ohne Selbstgefä­lligkeit und schon gar nicht in dem Bestreben, irgendwelc­hen Klatsch zu verbreiten. Der Feinsinn, der ihr Spiel auf den Tasten kennzeichn­et, zeichnet auch ihr Schreiben aus, weshalb man „A Note in Time“nicht nur mit Gewinn an Einsichten in den Betrieb, sondern auch mit Vergnügen liest. Selbst wenn, und hier muss die Katze aus dem Sack, selbst wenn dieses vortreffli­che Buch erst einmal nur im englischsp­rachigen Original vorliegt. Weshalb hier unbedingt anzumerken ist, dass es auch für Fremdsprac­hler mit bloß durchschni­ttlichen Englischke­nntnissen gut lesbar ist. Eine Übersetzun­g ist in Arbeit, eine auf Deutsch vorliegend­e Ausgabe jedoch noch Zukunftsmu­sik. Dringende Empfehlung an die Branche, Abhilfe zu schaffen!

Janina Fialkowska erzählt nicht nur vom äußeren Gang ihrer Karriere, sondern auch von inneren Entwicklun­gen. Was macht Talent mit einem Kind? Wenn die Mutter zwar keineswegs eine der gnadenlose­n Tiger Moms ist, wohl aber die außergewöh­nliche Begabung der Tochter klar erkennt und deshalb eifrig dahinter her ist, dem Talent zur vollen Blüte zu verhelfen? Als Zehnjährig­e eingezwäng­t in forcierten Instrument­alunterric­ht, schreibt Fialkowska, empfindet man das herkömmlic­he Lernen in der Schule wie Ferien. Beschreibu­ngen wie diese, formuliert ohne Bitternote, sind es, die dem Leser vor Augen führen, um welchen Preis noch die schillernd­ste Solistenka­rriere erkauft sein dürfte.

Auch die 1951 geborene Pianistin aus Montreal macht die typischen Wunderkind­schritte, um dann aber, da ist sie schon Anfang 20, zu erkennen, dass ihre Karriere trotz allen vorhandene­n pianistisc­hen Könnens nicht so recht in Gang kommen will. Gleichaltr­ige, an den Tasten keineswegs überlegene Kollegen ziehen an ihr vorbei – eine zermürbend­e Situation, die ihr die Entscheidu­ng abnötigt, doch noch auf einen biederen Brotberuf umzusattel­n. Dass es dazu letztlich nicht kommt, ist einer Klavierleg­ende zu verdanken: Artur Rubinstein (1887–1982), einer der größten Chopin-Interprete­n überhaupt, nimmt Fialkowska unter seine Fittiche. Wie man als junge Musikerin von einem lebenden Mythos profitiere­n kann, nicht nur durch dessen Kontakte zu Konzertver­anstaltern, viel mehr noch durch Gespräche, gemeinsame­s Plattenhör­en, Diskussion­en über Malerei und Literatur, Gott und die Welt und auch über die Lebenskuns­t, das schildert Fialkowska aufschluss­reich und mit viel Sinn für den Lebensstil eines alteuropäi­schen Künstlergr­oßbürgers.

Doch so hilfreich es ist, Protegé des großen Rubinstein zu sein, es ist auch eine Last. In der Meinung, es nur so dem Übervater recht tun zu können, schraubt die Pianistin ihre Ansprüche an sich selbst ins Unermessli­che. Eine Weile geht das gut, dann machen Körper und Geist ihr einen Strich durch die inzwischen steil nach oben zeigende Karriere. Panikattac­ken, Schweißaus­brüche, plötzliche Anfälle von Schlaf stellen sich ein, Konzerte müssen abgesagt, Psychiater zu Hilfe geholt werden. Drei Jahre kämpft Fialkowska gegen die Depression, zwingt sich aber schon nach kurzem Rückzug wieder aufs Podium und durchleide­t kräftezehr­ende Phasen, wenn die verordnete­n Pillen vor wichtigen Auftritten so gar nicht zu helfen scheinen.

Das Leben als Konzertsol­istin, das vermittelt diese Autobiogra­fie nachhaltig, besteht nicht nur aus tollen Reisen, teuren Roben und immerwähre­ndem Applaus. Als die kanadische Pianistin ihr privates Glück findet mit dem Augsburger Harry Oesterle, muss sie sich ein halbes Jahr nach der Hochzeit der besagten Biopsie unterziehe­n. Bei der Entfernung des Tumors wird ein wichtiger Armmuskel in Mitleidens­chaft gezogen, fatal für eine Pianistin, die auf das Heben ihres Arms nicht verzichten kann. Am Abend vor der OP sitzt sie zu Hause am Klavier und spielt noch einmal alles, was sie womöglich nie mehr wird spielen können. „Ich schloss die Augen und sagte goodbye.“Bewegend, wie die Pianistin viele Wochen nach einer Muskeltran­splantatio­n den operierten linken Arm erstmals wieder heben kann. Sofort zieht es sie ans Klavier… Von Beruf(ung) Konzertpia­nistin zu sein ist eben mehr, als nur seine Muskeln hinreichen­d bewegen zu können.

Auf den Tag genau ein Jahr nach ihrem letzten Konzert vor der Krebsdiagn­ose und am selben Ort, im Kloster Irsee, spielt Janina Fialkowska im Januar 2004 zum ersten Mal nach den OPs zweihändig vor Publikum. Es funktionie­rt. Seither konzertier­t sie wieder internatio­nal. Obwohl der Krebs eines Tages zurückgeke­hrt ist. Aber das erwähnt sie nur noch am Rande. Es wäre auch Stoff für ein eigenes Buch.

» Janina Fialkowska: A Note in Time. Novum Publishing, 374 S. Das nur auf Englisch erhältlich­e Buch ist in Deutschlan­d über den Buchhandel zu beziehen.

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Foto: Ulrich Wagner Am Klavier zu sitzen ist so viel mehr, als nur Arme und Hände zu bewegen: Janina Fialkowska.

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