Das Leben hinter dem Rampenlicht
Autobiografie Die nahe Augsburg lebende kanadische Konzertpianistin Janina Fialkowska hat Rückblick gehalten auf ihre Karriere. Entstanden ist ein bewegendes Buch, das die Schattenseiten des Solistendaseins nicht verschweigt.
Musikinterpreten, die uns mit ihrer Kunst so unvergleichlich beglücken, sind auch als Person ein Gegenstand unserer Neugier. Von den Bewunderten wollen wir gerne wissen, wie sie wurden, was sie sind und was sie sonst alles tun und lassen. So greifen wir gerne zu gedruckten Lebenserinnerungen berühmter Dirigenten und Sängerinnen, zu Biografien von Klaviergöttern und Violinvirtuosinnen – sind bei der Lektüre aber dann nicht selten enttäuscht von den trockenen Auskünften in eigener Sache, dem übertrieben bewundernden Ton der Biografen.
Bei Janina Fialkowska verhält es sich anders. Die kanadische Pianistin mit den polnischen Wurzeln, die vor einigen Jahren nach Deutschland übergesiedelt ist und nun vor den Toren Augsburgs lebt, hat ihre Lebensgeschichte veröffentlicht. Wer hineinliest, wird schon nach wenigen Zeilen feststellen, dass da jemand nicht von sich selbst spricht in der Absicht, sich der staunenden Welt in möglichst hellen Farben zu präsentieren. Janina Fialkowska eröffnet ihre Autobiografie mit jener Szene, als sie, gut 20 Jahre ist das her, aus einer Narkose erwacht. „Meine Augenlider flackerten, als ich langsam ins Bewusstsein zurückkehrte.“Die Pianistin, weltweit gefeiert für ihre Chopin-Interpretationen, liegt in New York im Krankenhaus, gerade hat sie eine Biopsie in ihrem seit längerem schon schmerzenden linken Oberarm hinter sich, und jetzt beschleicht sie die Ahnung, dass die Diagnose, die die Ärzte ihr gleich stellen werden, ihr Leben verändern wird.
Eine Situation, die dazu angetan ist, sich Rechenschaft zu geben über den bisherigen Lebensweg. Zugleich ein geschickt gewählter Auftakt für ein Buch über sich selbst: Weshalb eigentlich schreibt man sein Leben auf? Weil es, im Falle Fialkowskas, an diesem Tag im Januar 2002 aus den Fugen geriet. Erlebte Realität, verschränkt mit aufgeschriebenem Erleben: Besser kriegen das auch originäre Literaten kaum hin.
Über Janina Fialkowskas Krebserkrankung ist wiederholt berichtet worden, auch in dieser Zeitung. Über das drohende Ende ihrer Karriere, die Entfernung des Tumors im Arm, den geglückten Neustart ihrer Pianistenlaufbahn. Und doch bildet die lebensbedrohliche Erkrankung nur den Rahmen der Autobiografie. Im Kern ist „A Note in Time“kein Krankenbericht, sondern ein Buch, das von der Musik handelt – von ihrem Zauber und ihrer Kraft, von den Mühen, unter denen große Interpretenkunst entsteht, und von vielfach nicht weniger mühevollen Bedingungen, unter denen sie dem Publikum zu Ohren gebracht wird.
Janina Fialkowska erzählt mit offenem Visier, dabei ohne Selbstgefälligkeit und schon gar nicht in dem Bestreben, irgendwelchen Klatsch zu verbreiten. Der Feinsinn, der ihr Spiel auf den Tasten kennzeichnet, zeichnet auch ihr Schreiben aus, weshalb man „A Note in Time“nicht nur mit Gewinn an Einsichten in den Betrieb, sondern auch mit Vergnügen liest. Selbst wenn, und hier muss die Katze aus dem Sack, selbst wenn dieses vortreffliche Buch erst einmal nur im englischsprachigen Original vorliegt. Weshalb hier unbedingt anzumerken ist, dass es auch für Fremdsprachler mit bloß durchschnittlichen Englischkenntnissen gut lesbar ist. Eine Übersetzung ist in Arbeit, eine auf Deutsch vorliegende Ausgabe jedoch noch Zukunftsmusik. Dringende Empfehlung an die Branche, Abhilfe zu schaffen!
Janina Fialkowska erzählt nicht nur vom äußeren Gang ihrer Karriere, sondern auch von inneren Entwicklungen. Was macht Talent mit einem Kind? Wenn die Mutter zwar keineswegs eine der gnadenlosen Tiger Moms ist, wohl aber die außergewöhnliche Begabung der Tochter klar erkennt und deshalb eifrig dahinter her ist, dem Talent zur vollen Blüte zu verhelfen? Als Zehnjährige eingezwängt in forcierten Instrumentalunterricht, schreibt Fialkowska, empfindet man das herkömmliche Lernen in der Schule wie Ferien. Beschreibungen wie diese, formuliert ohne Bitternote, sind es, die dem Leser vor Augen führen, um welchen Preis noch die schillerndste Solistenkarriere erkauft sein dürfte.
Auch die 1951 geborene Pianistin aus Montreal macht die typischen Wunderkindschritte, um dann aber, da ist sie schon Anfang 20, zu erkennen, dass ihre Karriere trotz allen vorhandenen pianistischen Könnens nicht so recht in Gang kommen will. Gleichaltrige, an den Tasten keineswegs überlegene Kollegen ziehen an ihr vorbei – eine zermürbende Situation, die ihr die Entscheidung abnötigt, doch noch auf einen biederen Brotberuf umzusatteln. Dass es dazu letztlich nicht kommt, ist einer Klavierlegende zu verdanken: Artur Rubinstein (1887–1982), einer der größten Chopin-Interpreten überhaupt, nimmt Fialkowska unter seine Fittiche. Wie man als junge Musikerin von einem lebenden Mythos profitieren kann, nicht nur durch dessen Kontakte zu Konzertveranstaltern, viel mehr noch durch Gespräche, gemeinsames Plattenhören, Diskussionen über Malerei und Literatur, Gott und die Welt und auch über die Lebenskunst, das schildert Fialkowska aufschlussreich und mit viel Sinn für den Lebensstil eines alteuropäischen Künstlergroßbürgers.
Doch so hilfreich es ist, Protegé des großen Rubinstein zu sein, es ist auch eine Last. In der Meinung, es nur so dem Übervater recht tun zu können, schraubt die Pianistin ihre Ansprüche an sich selbst ins Unermessliche. Eine Weile geht das gut, dann machen Körper und Geist ihr einen Strich durch die inzwischen steil nach oben zeigende Karriere. Panikattacken, Schweißausbrüche, plötzliche Anfälle von Schlaf stellen sich ein, Konzerte müssen abgesagt, Psychiater zu Hilfe geholt werden. Drei Jahre kämpft Fialkowska gegen die Depression, zwingt sich aber schon nach kurzem Rückzug wieder aufs Podium und durchleidet kräftezehrende Phasen, wenn die verordneten Pillen vor wichtigen Auftritten so gar nicht zu helfen scheinen.
Das Leben als Konzertsolistin, das vermittelt diese Autobiografie nachhaltig, besteht nicht nur aus tollen Reisen, teuren Roben und immerwährendem Applaus. Als die kanadische Pianistin ihr privates Glück findet mit dem Augsburger Harry Oesterle, muss sie sich ein halbes Jahr nach der Hochzeit der besagten Biopsie unterziehen. Bei der Entfernung des Tumors wird ein wichtiger Armmuskel in Mitleidenschaft gezogen, fatal für eine Pianistin, die auf das Heben ihres Arms nicht verzichten kann. Am Abend vor der OP sitzt sie zu Hause am Klavier und spielt noch einmal alles, was sie womöglich nie mehr wird spielen können. „Ich schloss die Augen und sagte goodbye.“Bewegend, wie die Pianistin viele Wochen nach einer Muskeltransplantation den operierten linken Arm erstmals wieder heben kann. Sofort zieht es sie ans Klavier… Von Beruf(ung) Konzertpianistin zu sein ist eben mehr, als nur seine Muskeln hinreichend bewegen zu können.
Auf den Tag genau ein Jahr nach ihrem letzten Konzert vor der Krebsdiagnose und am selben Ort, im Kloster Irsee, spielt Janina Fialkowska im Januar 2004 zum ersten Mal nach den OPs zweihändig vor Publikum. Es funktioniert. Seither konzertiert sie wieder international. Obwohl der Krebs eines Tages zurückgekehrt ist. Aber das erwähnt sie nur noch am Rande. Es wäre auch Stoff für ein eigenes Buch.
» Janina Fialkowska: A Note in Time. Novum Publishing, 374 S. Das nur auf Englisch erhältliche Buch ist in Deutschland über den Buchhandel zu beziehen.