Neu-Ulmer Zeitung

Porca miseria!

- VON JULIUS MÜLLER‐MEININGEN

Fußball Italien scheitert erneut an der WM-Qualifikat­ion. Das Aus des Europameis­ters kommt überrasche­nd – und hatte sich dennoch in den vergangene­n Monaten schon dezent angedeutet.

Palermo Am Ende lagen sie alle auf dem Boden, wie Schatten ihrer selbst. Gianluigi Donnarumma hatte den Kopf in den Armen vergraben. Abwehrchef Alessandro Bastoni presste die Stirn auf den Rasen, Giorgio Chiellini rang mit den Tränen. Ciro Immobile lag auf dem Rücken ausgestrec­kt auf dem Spielfeld des Renzo-Barbera-Stadions von Palermo und gab keinen Mucks von sich. Konnte es schlimmer kommen als 2017, als Italien in den Play-offs gegen Schweden die WM im darauffolg­enden Jahr verpasste? Die Antwort lautete: Ja – und wird wohl als Schmach von Palermo in die Annalen eingehen.

Im Play-off-Halbfinale am Donnerstag­abend gegen Nordmazedo­nien ging die Squadra Azzurra mit 0:1 als Verlierer vom Platz. Der amtierende Europameis­ter und viermalige Weltmeiste­r verpasst damit auch die im November beginnende WM 2022 in Katar. „Es ist die schlimmste Niederlage in 112 Jahren italienisc­her Fußballges­chichte“, schrieb La Repubblica. Sprachlosi­gkeit und Katastroph­enstimmung herrschten am Freitag bei den fußballbeg­eisterten Italienern.

„Im vergangene­n Juli habe ich die größte Freude meiner Karriere erlebt und jetzt die größte Enttäuschu­ng“, kommentier­te Trainer Roberto Mancini die Niederlage, die in letzter Minute zustande gekommen, sich aber doch schon seit Monaten angedeutet hatte. In der Nachspielz­eit zog Aleksandar Trajkovski aus 20 Metern ab und traf, unhaltbar für Torwart Donnarumma, ins linke untere Eck. Bis dahin hatte Italien das Spiel zwar dominiert, es aber verpasst, die vielen Chancen in Treffer zu verwandeln. 34 Torschussv­ersuche zählten die Statistike­r, die Nordmazedo­nier kamen gerade mal auf zwei.

Der während der Partie immer verzweifel­ter agierende und nach Spielschlu­ss regelrecht schockiert­e Coach Mancini machte zunächst höhere Mächte für die Niederlage verantwort­lich. „Während der EM hatten wir Glück und das ist jetzt in totales Pech umgeschlag­en“, sagte er. Er müsse die Enttäuschu­ng nun erst einmal verdauen. Der Corriere dello Sport sah Italien auf dem Weg „zur Hölle“. Dabei hatte sich der Niedergang Italiens schon länger angedeutet. Manche machen den Anfang vom Ende sogar bereits im EMViertelf­inale gegen Belgien aus.

Damals hatte sich Leonardo Spinazzola, der unermüdlic­he Flügelstür­mer und Mancinis „Geheimwaff­e“, an der Achillesse­hne verletzt. Die begeistern­den Auftritte der Mannschaft waren damit dahin. Im Halbfinale gegen Spanien und im Finale gegen England setzten sich die Azzurri erst im Elfmetersc­hießen durch.

Dem Triumph von Wembley folgte die erste Niederlage nach knapp drei Jahren in der Nations League gegen Spanien. In der WMQualifik­ation kam Italien über vier Unentschie­den gegen Bulgarien, Nordirland und die Schweiz nicht hinaus. In beiden Spielen gegen die Schweiz verschoss Mittelfeld­regisseur Jorginho Elfmeter. Ein mentales Tief, die Ideenlosig­keit und auch die Überheblic­hkeit der EM-Sieger waren nicht mehr zu übersehen.

„Wir haben immer sehr schön gespielt, aber in den letzten Spielen Probleme mit dem Abschluss gehabt“, gestand Jorginho. Mit der Schuldfrag­e tat sich Italien am Tag eins nach der Katastroph­e allerdings schwer. Das gesamte „System Fußball“müsse neu aufgerollt werden, forderte die Gazzetta dello Sport. Gemeint war die ungenügend­e Infrastruk­tur, der Mangel an einheimisc­hen Talenten in den Jugendabte­ilungen der Klubs, die 60 Prozent ausländisc­he Kicker beschäftig­en.

Bemängelt wird auch, dass seit 2010 und dem Triumph Inter Mailands keine italienisc­he Mannschaft mehr die Champions League gewinnen konnte. Der Calcio hat ein Problem.

Früher richtete sich Italiens Zorn in solchen Momenten stets gegen den Commissari­o tecnico, den Nationaltr­ainer. Diesmal nicht. „Hoffen wir, dass Mancini bleibt“, sagte Kapitän Giorgio Chiellini. „Dem Trainer den Prozess zu machen, wäre falsch“, schrieb die Gazzetta. Mancini scheint Italiens letzte Hoffnung zu sein. Der Betroffene selbst bat um Bedenkzeit, er wisse noch nicht, ob er bleiben werde. „Was soll ich sagen über ein Spiel, in dem wir 40-mal aufs Tor geschossen haben und am Ende ein Tor kassiert haben und nicht wissen, warum?“Der Blick nach vorne ist derzeit verstellt, könnte aber Hoffnung machen. Die WM 2026 soll erstmals mit 48 statt mit nur 32 Teilnehmer­n ausgetrage­n werden. Als viermalige­r Weltmeiste­r unter jenen Umständen zum dritten Mal hintereina­nder nicht bei der WM teilzunehm­en, wäre ein regelrecht­es Kunststück.

 ?? Foto: Antonio Calanni, dpa ?? Nicht zu glauben: zum zweiten Mal in Folge verpassen die Italiener die Fußball‐Weltmeiste­rschaft. Die Niederlage gegen Nordmazedo­nien war ebenso unerwartet wie unnötig. Nun steht das Team vor schwierige­n Jahren – aber das kennt man in Italien ja schon.
Foto: Antonio Calanni, dpa Nicht zu glauben: zum zweiten Mal in Folge verpassen die Italiener die Fußball‐Weltmeiste­rschaft. Die Niederlage gegen Nordmazedo­nien war ebenso unerwartet wie unnötig. Nun steht das Team vor schwierige­n Jahren – aber das kennt man in Italien ja schon.

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