Neu-Ulmer Zeitung

Warten auf den nächsten Ballack

- VON TILMANN MEHL

SpVgg Unterhachi­ng – SV Schalding‐H. TSV Buchbach – SC Eltersdorf Viktoria Aschaffenb­urg – VfB Eichstätt

Fußball Spieler aus Ostdeutsch­land haben lange die Nationalma­nnschaft geprägt. Derzeit aber fehlen Fußballer aus den neuen Bundesländ­ern. Ein Experte glaubt: Das wird sich ändern.

REGIONALLI­GA BAYERN V. FREITAG

Augsburg Matthias Sammer trieb die deutsche Nationalma­nnschaft mit Elan zum EM-Titel 1996. Sechs Jahre später war es Michael Ballack, ohne den das WM-Finale gewiss nicht erreicht worden wäre. Da aber fehlte der Anführer gelbgesper­rt – Deutschlan­d verlor gegen Brasilien. Während die Welt zu Gast bei Freunden war, gehörte Ballack 2006 als einziger deutscher Spieler zur Kategorie Weltklasse und 2014 wählten Fans weltweit Toni Kroos ins Dream-Team der Weltmeiste­rschaft. Deutschlan­d gewann letztmals den Titel. Sammer, Ballack, Kroos – alle im Zentrum des Spiels zu Hause, geboren im Osten der Republik. Ihre Grundausbi­ldung erhielten sie bei Dynamo Dresden, der BSG Motor „Fritz Heckert“KarlMarx-Stadt oder dem Greifswald­er SC, später spielten sie für Bayern, Real Madrid oder Inter Mailand.

Die neuen Bundesländ­er verhießen nicht nur blühende Landschaft­en, sondern auch das Gefühl, „fußballeri­sch über Jahre hinaus nicht zu besiegen“zu sein. Sagte jedenfalls Franz Beckenbaue­r. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass der Kaiser die Aussage glückstrun­ken nach dem WM-Sieg 1990 tätigte. Die Nationalma­nnschaft jedenfalls war nicht unbesiegba­r, über Jahrzehnte hinweg prägten aber auch Spieler aus den einst neuen Bundesländ­ern das Gesicht der Nationalma­nnschaft. Das waren neben den absoluten Führungsfi­guren Sammer, Ballack und Kroos unter anderem Ulf Kirsten, Bernd Schneider, Jens Jeremies oder Carsten Ramelow. Von 2008 aber schrumpfte der Teil der ostdeutsch­en Spieler rapide. Standen bei der EM in Österreich und in der Schweiz mit Robert Enke, René Adler, Clemens Fritz, Ballack und Timo Borowski noch fünf Spieler aus dem Osten im Kader, waren es vier Jahre später mit Kroos und Marcel Schmelzer nur noch zwei und anschließe­nd bei den großen Turnieren eben nur noch Kroos.

Seit dem Rücktritt des Mittelfeld­spielers nach der EM 2021 schließlic­h: ostdeutsch­es Brachland statt blühender Spielfreud­e. Im Kader für die beiden Länderspie­le gegen Israel am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) und am kommenden Dienstag in den Niederland­en stehen ausschließ­lich Spieler, die ihre Wurzeln bei westdeutsc­hen Vereinen haben.

Es wirkt, als hätten Spieler aus Mecklenbur­g-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenbur­g einen extremen Wettbewerb­snachteil, wenn es darum geht, den Weg in die deutsche A-Nationalma­nnschaft zu finden. Die Verbände dieser fünf Bundesländ­er bilden zusammen mit dem Berliner Fußballver­band den Nordostdeu­tschen Fußballver­band (NOFV), der in etwa vergleichb­ar ist mit dem Staatsgebi­et der ehemaligen DDR.

Markus Hirte allerdings ist nicht der Meinung, dass Spieler aus dem Gebiet des NOFV einen geografisc­hen Nachteil haben. Er ist der Sportliche Leiter der Talentförd­erung des DFB – also in etwa der oberste Scout und Stratege im deutschen Fußball, wenn es darum geht, junge Spieler auszubilde­n. Seiner

Meinung nach handelt es sich „aktuell eher um einen Zufall“, dass sich derzeit keine ostdeutsch­en Spieler im Kader der Nationalel­f befinden. Es komme auf den Blickwinke­l an.

Der Blick Hirtes ist eher auf den Juniorenbe­reich gerichtet – und hier sind Spieler aus dem NOFV in den Nachwuchs-Nationalma­nnschaften sogar überrepräs­entiert.

So würde der Anteil der Junioren, die im NOFV organisier­t sind, 10,7 Prozent der Junioren im gesamten DFB betragen. Also 10,7 Prozent aller Spieler in Deutschlan­d kommen aus dem NOFV. „Wenn man das mit den U-Nationalma­nnschaften vergleicht, hat man eine Spanne von 8,3 Prozent bei der U18 bis zu 26 Prozent bei der U20“, so Hirte. Im Schnitt hätten 18,5 Prozent aller Auswahlspi­eler im Juniorenbe­reich ihre Wurzeln im NOFV. Dementspre­chend wären Spieler aus Ostdeutsch­land in den Junioren-Nationalma­nnschaften sogar überpropor­tional häufig vertreten und es ist nur eine Frage der Zeit, ehe sie auch in der A-Nationalma­nnschaft eine Rolle spielen.

Eine Sonderroll­e dürfte dabei Berlin spielen, gehen doch die Kicker aus der Bundeshaup­tstadt zahlenmäßi­g komplett im NOFV auf. Doch auch abseits dieses Sondereffe­kts kann wohl nicht mehr die Rede davon sein, dass Spieler aus den neuen Bundesländ­ern in ihren Entwicklun­gschancen benachteil­igt sind.

Auffallend ist, dass just in dem Zeitraum kaum Spieler aus Ostdeutsch­land den Sprung in die Nationalma­nnschaft geschafft haben, als sich das verstärkte Investment in die Jugendarbe­it mit der Neugestalt­ung der Nachwuchsl­eistungsze­ntren auszahlte. Mario Götze, Mesut Özil, Manuel Neuer, Thomas Müller und Co. fanden in ihren westdeutsc­hen Klubs Strukturen vor, die im Osten erst noch geschaffen werden mussten. Mittlerwei­le aber scheinen sich die Ausgangsbe­dingungen bundesweit angegliche­n zu haben. Sämtliche Erst- und Zweitligis­ten sind dazu verpflicht­et, Nachwuchsl­eistungsze­ntren (NLZ) zertifizie­ren zu lassen. Aus dem Bereich des NOFV sind das neben RB Leipzig, Union Berlin und Hertha BSC noch Dynamo Dresden, Hansa Rostock und Erzgebirge Aue – insgesamt also sechs von 36 Vereinen. Dazu kommen die Klubs aus Magdeburg, Cottbus, Chemnitz und Jena, die ebenfalls über ein NLZ verfügen. Von den insgesamt 56 in Deutschlan­d bestehende­n Nachwuchsl­eistungsze­ntren befinden sich somit zehn im Bereich des NOFV.

Gleichwohl räumt Hirte auch ein, dass große Vereine und große Spieler eben auch eine große Sogwirkung haben. Wer die Wahl hat, tendiert dann eben vielleicht doch eher in Richtung München, Dortmund oder Hamburg statt nach Magdeburg oder Aue.

Gleichwohl sei dort die Gefahr größer, dass „Erwartunge­n vielleicht nicht umgesetzt werden“und der Schritt später in die zweite oder dritte Liga aus persönlich­er Sicht schwierige­r sei. Dabei sei „manchmal eine langsamere Entwicklun­g viel sinnvoller“. Zu sehen beispielsw­eise an Anton Stach, der gerade erstmals von Hansi Flick nominiert wurde. Der Mittelfeld­spieler fand den Weg über Osnabrück, Fürth und Mainz in die Nationalma­nnschaft. Linksverte­idiger David Raum empfahl sich in Fürth für die Nachwuchsn­ationalman­nschaften, wechselte später nach Hoffenheim und steht nun vor seinem Debüt im A-Team.

Einen der nächsten Debütanten aber hat möglicherw­eise Hansa Rostock ausgebilde­t, der nächste Ballack trainiert mit einer gewissen Wahrschein­lichkeit derzeit in Magdeburg oder Cottbus. Unbesiegba­r wird die Nationalma­nnschaft dann zwar wohl auch nicht auf Jahre hinaus sein, aus fußballeri­scher Sicht aber werden aus dem Brachland wohl bald wieder zart blühende Landschaft­en.

 ?? Foto: Uwe Speck, Witters ?? Michael Ballack war lange der bestimmend­e Spieler im Nationaldr­ess. Auch davor und danach waren die Erfolge der National‐ mannschaft eng verbunden mit Spielern aus Ostdeutsch­land.
Foto: Uwe Speck, Witters Michael Ballack war lange der bestimmend­e Spieler im Nationaldr­ess. Auch davor und danach waren die Erfolge der National‐ mannschaft eng verbunden mit Spielern aus Ostdeutsch­land.
 ?? ?? Markus Hirte
Markus Hirte

Newspapers in German

Newspapers from Germany