Landkreis will keine Ukraine‐Flüchtlinge abweisen
Konflikt Im Ries hat sich der Landrat wegen frustrierter Helfer geweigert, weiterhin Menschen aus dem Kriegsgebiet aufzunehmen. Das soll hier nicht passieren.
Landkreis Neu‐Ulm Frust? Ja, den gibt es manchmal bei den Helfern. Am vergangenen Wochenende etwa sollten rund 140 Geflüchtete aus der Ukraine in Neu-Ulm ankommen, irgendwann zwischen zwei Uhr nachts und morgens um sechs. Florian Schaich, örtlicher Einsatzleiter vom Bayerischen Roten Kreuz, hatte alles organisiert.
Der Bus kam nicht. Dafür sollte er am Montagabend irgendwann am späten Abend da sein, er wurde abgesagt, dann rief der Fahrer an, er komme doch. Wegen genau solchem Hin und Her hatte zuletzt der Landkreis Donau-Ries die Aufnahme von Flüchtlingen verweigert. Das oft vergebliche Warten frustriere die Helfer. Doch im Landkreis Neu-Ulm wird es ein solches Nein nicht geben. Das versicherte Landrat Thorsten Freudenberger (CSU) am Freitag: „Ja, Frust gibt es auch mal, aber deswegen kann man doch nicht sagen, wir helfen nicht. Unsere Kapazitäten stehen weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung.“
Und Florian Schaich sagt: „Die Motivation der Helfer ist sehr, sehr hoch.“Mittlerweile hat der Landkreis eine dritte Turnhalle übernommen, um dort die Menschen, die vor dem Krieg in ihrem Land fliehen, aufzunehmen, bevor sie eine bessere Unterkunft bekommen.
Die freiwilligen Helferinnen und Helfer der Blaulichtorganisationen haben in den vergangenen zwei Jahren schon einiges mitgemacht: „Viele Ehrenamtliche sind wegen der Pandemie schon einen Marathon gelaufen und hatten schon das Ziel vor Augen“, sagt Einsatzleiter Schaich. Nach Corona kam der Krieg in der Ukraine. „Und jetzt müssen wir wieder einen Marathon laufen. Doch die Motivation ist sehr groß, obwohl vielen schon einiges an Arbeit in den Knochen steckt.“Mittlerweile komme ein stetiger Strom an Flüchtlingen bei den provisorischen Aufnahmelagern an. Zwei hatte der Landkreis in Turnhallen des Pfuhler Schulzentrums eingerichtet. Vorgesehen war, eine dritte in Reutti zu belegen.
Doch jetzt ist der Kreis umgeschwenkt, auch um Neu-Ulm und den Ortsteil Reutti zu entlasten, wie Bernhard Schmid, Leiter der Führungsgruppe Katastrophenschutz, erklärte. Dort leben bereits rund 50 Menschen aus der Ukraine im ehemaligen Hotel Meinl, wie jetzt bekannt wurde. Deshalb kam dem Landkreis ein Angebot der Gemeinde Nersingen sehr entgegen.
Die bot als Massenunterkunft die ehemalige Basketball-Trainingshalle im Industriegebiet an. Der Kreis griff zu. Somit stehen neben den 275 Schlafplätzen in Pfuhl weitere 140 in Nersingen zur Verfügung. Dort kann die Kapazität auf bis zu 220 Plätze hochgefahren werden. Doch wie viele Menschen aus der Ukraine sind mittlerweile im Landkreis Neu-Ulm angekommen? Das weiß niemand zuverlässig. Landrat Freudenberger schätzt, es könnten mittlerweile gut 1000 sein. 432 wurden bis Freitag im Rahmen der offiziellen Registrierung erfasst, ungefähr noch einmal so viele stehen auf der Warteliste für die Registrierung.
Bis sie alle wirklich erfasst sind, fließt viel Wasser die Donau hinab, denn derzeit durchlaufen nur 30 Personen täglich die Registrierungsprozedur. Die verteidigt der Landrat ausdrücklich, obwohl sie seiner Ansicht nach schneller laufen müsste. Sie sei mitnichten eine Schikane oder ein Zeichen von Bürokratismus. Es sei wichtig, zu wissen, wer ins Land gekommen ist, schließlich könnte ja versucht werden, solche Personen hier einzuschleusen, „die wir hier nicht haben wollen“. Ohnehin fällt der Überblick schwer, denn viele kommen nach den bisherigen Erfahrungen privat unter oder werden innerhalb der ukrainischen Gemeinschaft im Raum Neu-Ulm weitervermittelt. In den Notunterkünften sollen die Angekommenen möglichst kurz bleiben und dann bestenfalls in Wohnungen oder Hotel- und Pensionszimmer umziehen. Alexander Brett hat im Landratsamt als Leiter des Bereichs „Zentrale Grundstücksund Gebäudewirtschaft“die Aufgabe, nach Unterkünften zu suchen. Er kann dabei auf zahlreiche Angebote zurückgreifen, die bei der Kreisverwaltung eingegangen sind. 166 Menschen konnte er bereits unterbringen. Rund 360 Angebote muss er noch prüfen, ob sie sich tatsächlich als Quartier eignen. „Es gibt sehr viele Angebote, die wir in den nächsten Tagen besichtigen werden“, kündigt er an.
Sehr oft gehe es um einzelne Zimmer in einem Haushalt, die zuvor als Büro oder Kinderzimmer dienten. Viele wollen kein Geld dafür oder höchstens eine Betriebskostenpauschale. Manche allerdings wollen auch Unterkünfte zu Preisen vermieten, die deutlich über dem gängigen Niveau liegen. „Die werden wir nicht anmieten“, versichert Brett.
Nicht selten benötigen die Unterkünfte noch Möbel, die das Landratsamt aus Lagern nimmt, die noch in den Jahren 2015 und 2016 bestückt wurden. Teilweise stammt die Ausstattung auch aus Spenden.
Es sind überwiegend Frauen mit Kindern, die ihre Heimat verlassen mussten. Und wer betreut die Kleinen? In den Turnhallen kümmern sich freiwillige Helfer um die Buben und Mädchen, spielen mit ihnen und entlasten damit auch die Mütter. Für die ganz Kleinen bereiten die Kommunen nach den Worten von Kerstin Lutz, Leiterin des „Fachbereichs Schule, Kindergarten, Sport und Kultur“, gerade offene Spieltreffs vor, in denen dann möglichst auch Dolmetscher zur Verfügung stehen. Wer sich bei der Betreuung engagieren möchte, kann sich in den nächsten Tagen ein Bewerbungsformular von der Internetseite des Landratsamtes herunterladen.
Für die Schulkinder, die keinerlei Deutsch können, stehen mittlerweile sogenannte pädagogische Betreuungsklassen zur Verfügung. Fünf Stück wurden in Neu-Ulm, Illertissen und Pfaffenhofen geschaffen, in denen ukrainische Lehrer die Betreuung übernehmen. Wie Schulamtsleiter Ansgar Batzner sagte, werden von nun an Kinder, die kein Deutsch sprechen, nicht mehr in die normalen Regelklassen gesetzt.
Die Freiwilligen sind hoch motiviert
Das Landratsamt kriegt einige Angebote