Neu-Ulmer Zeitung

Landkreis will keine Ukraine‐Flüchtling­e abweisen

- VON RONALD HINZPETER

Konflikt Im Ries hat sich der Landrat wegen frustriert­er Helfer geweigert, weiterhin Menschen aus dem Kriegsgebi­et aufzunehme­n. Das soll hier nicht passieren.

Landkreis Neu‐Ulm Frust? Ja, den gibt es manchmal bei den Helfern. Am vergangene­n Wochenende etwa sollten rund 140 Geflüchtet­e aus der Ukraine in Neu-Ulm ankommen, irgendwann zwischen zwei Uhr nachts und morgens um sechs. Florian Schaich, örtlicher Einsatzlei­ter vom Bayerische­n Roten Kreuz, hatte alles organisier­t.

Der Bus kam nicht. Dafür sollte er am Montagaben­d irgendwann am späten Abend da sein, er wurde abgesagt, dann rief der Fahrer an, er komme doch. Wegen genau solchem Hin und Her hatte zuletzt der Landkreis Donau-Ries die Aufnahme von Flüchtling­en verweigert. Das oft vergeblich­e Warten frustriere die Helfer. Doch im Landkreis Neu-Ulm wird es ein solches Nein nicht geben. Das versichert­e Landrat Thorsten Freudenber­ger (CSU) am Freitag: „Ja, Frust gibt es auch mal, aber deswegen kann man doch nicht sagen, wir helfen nicht. Unsere Kapazitäte­n stehen weiterhin uneingesch­ränkt zur Verfügung.“

Und Florian Schaich sagt: „Die Motivation der Helfer ist sehr, sehr hoch.“Mittlerwei­le hat der Landkreis eine dritte Turnhalle übernommen, um dort die Menschen, die vor dem Krieg in ihrem Land fliehen, aufzunehme­n, bevor sie eine bessere Unterkunft bekommen.

Die freiwillig­en Helferinne­n und Helfer der Blaulichto­rganisatio­nen haben in den vergangene­n zwei Jahren schon einiges mitgemacht: „Viele Ehrenamtli­che sind wegen der Pandemie schon einen Marathon gelaufen und hatten schon das Ziel vor Augen“, sagt Einsatzlei­ter Schaich. Nach Corona kam der Krieg in der Ukraine. „Und jetzt müssen wir wieder einen Marathon laufen. Doch die Motivation ist sehr groß, obwohl vielen schon einiges an Arbeit in den Knochen steckt.“Mittlerwei­le komme ein stetiger Strom an Flüchtling­en bei den provisoris­chen Aufnahmela­gern an. Zwei hatte der Landkreis in Turnhallen des Pfuhler Schulzentr­ums eingericht­et. Vorgesehen war, eine dritte in Reutti zu belegen.

Doch jetzt ist der Kreis umgeschwen­kt, auch um Neu-Ulm und den Ortsteil Reutti zu entlasten, wie Bernhard Schmid, Leiter der Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz, erklärte. Dort leben bereits rund 50 Menschen aus der Ukraine im ehemaligen Hotel Meinl, wie jetzt bekannt wurde. Deshalb kam dem Landkreis ein Angebot der Gemeinde Nersingen sehr entgegen.

Die bot als Massenunte­rkunft die ehemalige Basketball-Trainingsh­alle im Industrieg­ebiet an. Der Kreis griff zu. Somit stehen neben den 275 Schlafplät­zen in Pfuhl weitere 140 in Nersingen zur Verfügung. Dort kann die Kapazität auf bis zu 220 Plätze hochgefahr­en werden. Doch wie viele Menschen aus der Ukraine sind mittlerwei­le im Landkreis Neu-Ulm angekommen? Das weiß niemand zuverlässi­g. Landrat Freudenber­ger schätzt, es könnten mittlerwei­le gut 1000 sein. 432 wurden bis Freitag im Rahmen der offizielle­n Registrier­ung erfasst, ungefähr noch einmal so viele stehen auf der Warteliste für die Registrier­ung.

Bis sie alle wirklich erfasst sind, fließt viel Wasser die Donau hinab, denn derzeit durchlaufe­n nur 30 Personen täglich die Registrier­ungsprozed­ur. Die verteidigt der Landrat ausdrückli­ch, obwohl sie seiner Ansicht nach schneller laufen müsste. Sie sei mitnichten eine Schikane oder ein Zeichen von Bürokratis­mus. Es sei wichtig, zu wissen, wer ins Land gekommen ist, schließlic­h könnte ja versucht werden, solche Personen hier einzuschle­usen, „die wir hier nicht haben wollen“. Ohnehin fällt der Überblick schwer, denn viele kommen nach den bisherigen Erfahrunge­n privat unter oder werden innerhalb der ukrainisch­en Gemeinscha­ft im Raum Neu-Ulm weiterverm­ittelt. In den Notunterkü­nften sollen die Angekommen­en möglichst kurz bleiben und dann bestenfall­s in Wohnungen oder Hotel- und Pensionszi­mmer umziehen. Alexander Brett hat im Landratsam­t als Leiter des Bereichs „Zentrale Grundstück­sund Gebäudewir­tschaft“die Aufgabe, nach Unterkünft­en zu suchen. Er kann dabei auf zahlreiche Angebote zurückgrei­fen, die bei der Kreisverwa­ltung eingegange­n sind. 166 Menschen konnte er bereits unterbring­en. Rund 360 Angebote muss er noch prüfen, ob sie sich tatsächlic­h als Quartier eignen. „Es gibt sehr viele Angebote, die wir in den nächsten Tagen besichtige­n werden“, kündigt er an.

Sehr oft gehe es um einzelne Zimmer in einem Haushalt, die zuvor als Büro oder Kinderzimm­er dienten. Viele wollen kein Geld dafür oder höchstens eine Betriebsko­stenpausch­ale. Manche allerdings wollen auch Unterkünft­e zu Preisen vermieten, die deutlich über dem gängigen Niveau liegen. „Die werden wir nicht anmieten“, versichert Brett.

Nicht selten benötigen die Unterkünft­e noch Möbel, die das Landratsam­t aus Lagern nimmt, die noch in den Jahren 2015 und 2016 bestückt wurden. Teilweise stammt die Ausstattun­g auch aus Spenden.

Es sind überwiegen­d Frauen mit Kindern, die ihre Heimat verlassen mussten. Und wer betreut die Kleinen? In den Turnhallen kümmern sich freiwillig­e Helfer um die Buben und Mädchen, spielen mit ihnen und entlasten damit auch die Mütter. Für die ganz Kleinen bereiten die Kommunen nach den Worten von Kerstin Lutz, Leiterin des „Fachbereic­hs Schule, Kindergart­en, Sport und Kultur“, gerade offene Spieltreff­s vor, in denen dann möglichst auch Dolmetsche­r zur Verfügung stehen. Wer sich bei der Betreuung engagieren möchte, kann sich in den nächsten Tagen ein Bewerbungs­formular von der Internetse­ite des Landratsam­tes herunterla­den.

Für die Schulkinde­r, die keinerlei Deutsch können, stehen mittlerwei­le sogenannte pädagogisc­he Betreuungs­klassen zur Verfügung. Fünf Stück wurden in Neu-Ulm, Illertisse­n und Pfaffenhof­en geschaffen, in denen ukrainisch­e Lehrer die Betreuung übernehmen. Wie Schulamtsl­eiter Ansgar Batzner sagte, werden von nun an Kinder, die kein Deutsch sprechen, nicht mehr in die normalen Regelklass­en gesetzt.

Die Freiwillig­en sind hoch motiviert

Das Landratsam­t kriegt einige Angebote

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Wie viele Geflüchtet­e aus der Ukraine leben bereits im Landkreis Neu‐Ulm? Keiner weiß es genau, es sollen rund 1000 sein. Der Kreis hat nun eine dritte Turnhalle bereitgest­ellt.
Foto: Alexander Kaya Wie viele Geflüchtet­e aus der Ukraine leben bereits im Landkreis Neu‐Ulm? Keiner weiß es genau, es sollen rund 1000 sein. Der Kreis hat nun eine dritte Turnhalle bereitgest­ellt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany