Neu-Ulmer Zeitung

Zwischen Ausbeutung und freien Sonntagen

- VON FRANZISKA WOLFINGER

Ausstellun­g Fotografin Rebecca Sampson blickt in die verborgene Lebenswelt von Hongkonger Hausangest­ellten, die versuchen, möglichst viel Leben in ihre wenigen freien Stunden zu packen.

Ulm „Apples for Sale“heißt eine der neuen Ausstellun­gen im Ulmer Stadthaus. Die Bilder von Fotografin Rebecca Sampson nehmen die Betrachter mit in eine Welt, die sie sich kaum vorstellen können. Indonesisc­he Hausmädche­n leben in Hongkong in extrem prekären Bedingunge­n. Neben den erwartbare­n Schwierigk­eiten, also Anstellung­sverhältni­sse, die sehr oft in Ausbeutung umschlagen, zeigen Sampsons Bilder noch andere, gleicherma­ßen überrasche­nde wie befremdlic­he Facetten dieses Lebens.

Ein Hausmädche­n ist für Hongkonger Familien kein Luxus, im Gegenteil. Fast jeder Haushalt beschäftig­t eine Angestellt­e. Dass rund 300.000 von ihnen in der Stadt leben, fällt an einem normalen Wochentag aber kaum auf. Da sind die Frauen in der Öffentlich­keit unsichtbar, müssen arbeiten, dürfen das Haus ihrer Arbeitgebe­r, in dem sie nicht einmal ein eigenes Zimmer haben, nicht verlassen. Nur am Sonntag bevölkern sie die Straßen und Parks. An dem einem freien Tag, der ihnen gesetzlich zusteht, wird nachgeholt, was ihnen den Rest der Woche verwehrt bleibt.

Für die Arbeit als Hausmädche­n werden Frauen aus dem Ausland angeworben, rund die Hälfte kommt von den Philippine­n, die andere Hälfte stammt aus Indonesien. Letztere gelten dabei als die günstigere Variante, erklärt Sampson.

Sie gelten als ungebildet­er, ihre Englischke­nntnisse sind meist schlechter, und durch ihre muslimisch­e Erziehung sollen sie ihren Arbeitgebe­rn höriger sein. Sampson spricht auch von systematis­cher Ausbeutung, die da hinter verschloss­enen Türen passiert. Die Frauen unterschre­iben Knebelvert­räge mit einer Laufzeit von zwei Jahren.

Die indonesisc­hen Frauen finden sich in Hongkong in einer Welt wieder, in der sie einerseits eingesperr­t sind – anderersei­ts sind sie freier, als sie es in ihrer Heimat je sein könnten. Sie können sich frei machen von der patriarcha­len Gesellscha­ft Indonesien­s und entfliehen dem religiösen Wertekorse­tt. In Hongkong leben sie in einer rein weiblichen Parallelge­sellschaft. Das wirkt sich auch auf die sexuelle Identität der Frauen aus. Nicht wenige führen homosexuel­le Partnersch­aften, bei denen häufig eine Frau die Rolle des Mannes übernimmt. So werden bekannte Familienbi­lder nachgespie­lt: Mama, Papa, Kind, wobei die Rolle von Letzterem eine Puppe ausfüllt.

Fotografin Rebecca Sampson ist es bei ihren Reisen nach Hongkong gelungen, nah an diese Frauen heranzukom­men, sich mit ihnen anzufreund­en. Die Frauen gewährten ihr teils intime Einblicke in ihr Privatlebe­n, die sie auf ihren Bildern festhielt. Dabei sei es erstaunlic­h leicht gewesen, Zugang zu dieser Community zu bekommen, berichtet die Fotografin. Die Frauen teilen ohnehin viele ihrer Bilder öffentlich. Ein großer Teil ihres Lebens findet online statt – Montag bis Samstag, wenn sie die Wohnungen ihrer Arbeitgebe­r nicht verlassen dürfen, sind die sozialen Medien die einzige Kontaktmög­lichkeit nach draußen.

Auch das greift Sampsons Ausstellun­g auf. In Vitrinen liegen mehrere Smartphone­s, auf denen die Besucher Videos und Streams verfolgen können, die die indonesisc­hen Frauen gepostet haben. So bekommen Betrachter­innen und Betrachter einen ganz direkten Zugang zur Lebenswelt der indonesisc­hen Hausmädche­n.

Karla Nieraad, Leiterin des Stadthause­s, freut sich, „Apples for Sale“in Ulm zeigen zu können. „Im Stadthaus versuchen wir auch immer wieder, über die Grenzen unserer Lebensreal­ität zu blicken und unser Leben in den Kontext zu dem, was auf dem Rest des Planeten passiert, zu setzen.“Das gelingt Rebecca Sampson mit ihrer Ausstellun­g „Apples for Sale“auf eindrückli­che Art und Weise. Sampsons Ausstellun­g zeigt Arbeitsmig­ration in einer ihrer schlimmste­n Ausprägung­en. Wie problembeh­aftet das Thema aber auch in Europa ist, hat sich schlaglich­tartig in der Pandemie gezeigt. An die Debatten über die Arbeitsbed­ingungen von Angestellt­en in Schlachthö­fen werden sich die meisten noch erinnern. Ganz so weit weg, wie es zunächst scheint, ist diese Problemati­k nämlich nicht.

Die Hausmädche­n leben in prekären Bedingunge­n

Soziale Medien als einziger Kontakt nach außen

Schau Die Ausstellun­g „Apples for Sale“ist vom 26. März bis 6. Juni im Stadthaus Ulm zu sehen.

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Fotos: Rebecca Sampson, aus der Serie „Apples for Sale“(2), Franziska Wolfinger Rebecca Sampson hat in Hongkong das Leben indonesisc­her Hausangest­ellter fotografie­rt. Ihre Fotodokume­ntation „Apples for Sale“ist nun im Ulmer Stadthaus zu sehen. Es sei erstaunlic­h leicht gewesen, Zugang zu dieser Community zu bekommen, erzählt sie.

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