Zwischen Ausbeutung und freien Sonntagen
Ausstellung Fotografin Rebecca Sampson blickt in die verborgene Lebenswelt von Hongkonger Hausangestellten, die versuchen, möglichst viel Leben in ihre wenigen freien Stunden zu packen.
Ulm „Apples for Sale“heißt eine der neuen Ausstellungen im Ulmer Stadthaus. Die Bilder von Fotografin Rebecca Sampson nehmen die Betrachter mit in eine Welt, die sie sich kaum vorstellen können. Indonesische Hausmädchen leben in Hongkong in extrem prekären Bedingungen. Neben den erwartbaren Schwierigkeiten, also Anstellungsverhältnisse, die sehr oft in Ausbeutung umschlagen, zeigen Sampsons Bilder noch andere, gleichermaßen überraschende wie befremdliche Facetten dieses Lebens.
Ein Hausmädchen ist für Hongkonger Familien kein Luxus, im Gegenteil. Fast jeder Haushalt beschäftigt eine Angestellte. Dass rund 300.000 von ihnen in der Stadt leben, fällt an einem normalen Wochentag aber kaum auf. Da sind die Frauen in der Öffentlichkeit unsichtbar, müssen arbeiten, dürfen das Haus ihrer Arbeitgeber, in dem sie nicht einmal ein eigenes Zimmer haben, nicht verlassen. Nur am Sonntag bevölkern sie die Straßen und Parks. An dem einem freien Tag, der ihnen gesetzlich zusteht, wird nachgeholt, was ihnen den Rest der Woche verwehrt bleibt.
Für die Arbeit als Hausmädchen werden Frauen aus dem Ausland angeworben, rund die Hälfte kommt von den Philippinen, die andere Hälfte stammt aus Indonesien. Letztere gelten dabei als die günstigere Variante, erklärt Sampson.
Sie gelten als ungebildeter, ihre Englischkenntnisse sind meist schlechter, und durch ihre muslimische Erziehung sollen sie ihren Arbeitgebern höriger sein. Sampson spricht auch von systematischer Ausbeutung, die da hinter verschlossenen Türen passiert. Die Frauen unterschreiben Knebelverträge mit einer Laufzeit von zwei Jahren.
Die indonesischen Frauen finden sich in Hongkong in einer Welt wieder, in der sie einerseits eingesperrt sind – andererseits sind sie freier, als sie es in ihrer Heimat je sein könnten. Sie können sich frei machen von der patriarchalen Gesellschaft Indonesiens und entfliehen dem religiösen Wertekorsett. In Hongkong leben sie in einer rein weiblichen Parallelgesellschaft. Das wirkt sich auch auf die sexuelle Identität der Frauen aus. Nicht wenige führen homosexuelle Partnerschaften, bei denen häufig eine Frau die Rolle des Mannes übernimmt. So werden bekannte Familienbilder nachgespielt: Mama, Papa, Kind, wobei die Rolle von Letzterem eine Puppe ausfüllt.
Fotografin Rebecca Sampson ist es bei ihren Reisen nach Hongkong gelungen, nah an diese Frauen heranzukommen, sich mit ihnen anzufreunden. Die Frauen gewährten ihr teils intime Einblicke in ihr Privatleben, die sie auf ihren Bildern festhielt. Dabei sei es erstaunlich leicht gewesen, Zugang zu dieser Community zu bekommen, berichtet die Fotografin. Die Frauen teilen ohnehin viele ihrer Bilder öffentlich. Ein großer Teil ihres Lebens findet online statt – Montag bis Samstag, wenn sie die Wohnungen ihrer Arbeitgeber nicht verlassen dürfen, sind die sozialen Medien die einzige Kontaktmöglichkeit nach draußen.
Auch das greift Sampsons Ausstellung auf. In Vitrinen liegen mehrere Smartphones, auf denen die Besucher Videos und Streams verfolgen können, die die indonesischen Frauen gepostet haben. So bekommen Betrachterinnen und Betrachter einen ganz direkten Zugang zur Lebenswelt der indonesischen Hausmädchen.
Karla Nieraad, Leiterin des Stadthauses, freut sich, „Apples for Sale“in Ulm zeigen zu können. „Im Stadthaus versuchen wir auch immer wieder, über die Grenzen unserer Lebensrealität zu blicken und unser Leben in den Kontext zu dem, was auf dem Rest des Planeten passiert, zu setzen.“Das gelingt Rebecca Sampson mit ihrer Ausstellung „Apples for Sale“auf eindrückliche Art und Weise. Sampsons Ausstellung zeigt Arbeitsmigration in einer ihrer schlimmsten Ausprägungen. Wie problembehaftet das Thema aber auch in Europa ist, hat sich schlaglichtartig in der Pandemie gezeigt. An die Debatten über die Arbeitsbedingungen von Angestellten in Schlachthöfen werden sich die meisten noch erinnern. Ganz so weit weg, wie es zunächst scheint, ist diese Problematik nämlich nicht.
Die Hausmädchen leben in prekären Bedingungen
Soziale Medien als einziger Kontakt nach außen
Schau Die Ausstellung „Apples for Sale“ist vom 26. März bis 6. Juni im Stadthaus Ulm zu sehen.