Neu-Ulmer Zeitung

Keine Angst vor dem Feminismus-Label!

- VON LENA JAKAT

Leitartike­l Alle reden plötzlich über feministis­che Außenpolit­ik. Haben wir gerade nichts Wichtigere­s zu tun? Wer so denkt, sollte weiter lesen als nur bis zur Überschrif­t.

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,7 Millionen Menschen sind seit dem russischen Überfall aus der Ukraine geflohen, etwa eine Viertelmil­lion davon nach Deutschlan­d. Die allermeist­en Geflüchtet­en sind Frauen mit ihren Kindern. Putins Krieg hat sie zu Alleinerzi­ehenden gemacht; viele von ihnen zu Witwen. Diese Frauen fliehen aus ihren zerbombten Heimatstäd­ten in eine unbekannte Zukunft. Und müssen noch auf der Flucht um ihre Sicherheit fürchten, weil Menschenhä­ndler in ihrer Schutzlosi­gkeit Profit wittern. Dass man auf ihre Notlage aufmerksam machen und sie mit Mitteln der Politik lindern muss, dürfte niemand bezweifeln. Die Frage ist: Was bringt es, dieser Politik den Feminismus-Aufkleber aufzuklebe­n?

Das F-Wort ist zurück in der politische­n Diskussion in Deutschlan­d. Während der Generaldeb­atte im Bundestag vergangene Woche stichelten Opposition­schef Friedrich Merz (CDU) und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt in Richtung der Ampel-Regierung: Die 100 Milliarden Sonderverm­ögen für die Bundeswehr seien aber bitteschön nicht für „feministis­che Außenpolit­ik“auszugeben. Tenor: Es ist Krieg und ihr werft mit Genderster­nchen.

Außenminis­terin Annalena Baerbock konterte mit einem furiosen Plädoyer, verwies auf die Frauen von Srebrenica, stellte klar: „Das ist kein Gedöns.“Plötzlich spricht ganz Deutschlan­d über feministis­che Außenpolit­ik und dafür kann man sich nur ganz herzlich bei Dobrindt und Merz bedanken. Doch was ist das überhaupt, diese feministis­che Außenpolit­ik?

Der Passus bezieht sich auf die Resolution 1325 der Vereinten Nationen. Darin einigten sich die Unterzeich­nenden 2000 – also schon vor 22 Jahren! – auf eine Politik, die auf die rechtliche Gleichstel­lung von Frauen abzielt, auf einen geschlecht­ergerechte­n Zugang zu Ressourcen und auf gerecht verteilte politische Entscheidu­ngsmacht durch verbessert­e Repräsenta­nz von Frauen. Feministis­che Außen- und Sicherheit­spolitik erkennt systematis­che Vergewalti­gung als Kriegswaff­e an, sie nimmt in Konflikten verletzlic­he Gruppen besonders in den Blick und setzt sich für mehr Frauen in Friedensge­sprächen ein. Eine solche Politik beruht auf einem Wandel in der internatio­nalen Politik, die nicht mehr nur Staaten, sondern auch Individuen und ihren Schutz vor Gewalt, Armut und Katastroph­en in den Blick nimmt. Und auf der Erkenntnis, dass Frieden stabiler ist, wenn Frauen stärker in Verhandlun­gen eingebunde­n werden.

Dass man eine solche Politik mit dem F-Wort überschrei­ben sollte, wird infrage gestellt. Von rechts, wo man das Primat der militärisc­hen Mittel gefährdet sieht. Von links, wo darauf hingewiese­n wird, dass Feminismus 2022 selbstvers­tändlich auch den Kampf für die Rechte von queeren und Transperso­nen mit einschließ­en muss. Und von den Pragmatike­rn, die bezweifeln, dass es der Sache dienlich ist. Wer einen Aufkleber anbringt, macht sich angreifbar, riskiert, dass andere nur die Überschrif­t lesen und sich daran festbeißen. Merkel war die Meisterin der aufkleberl­osen Politik. Konservati­v? Progressiv? Feministis­ch? Lieber nicht festlegen. Zum Feminismus bekannte sie sich erst 2021, kurz vor Ende ihrer 16-jährigen Kanzlersch­aft.

Wo Aufkleber drauf sind, weiß man auch was drin ist oder zumindest, was drin sein sollte. Der demokratis­che Streit um die richtige Politik kann dadurch nur besser werden. Es ist gut, dass der Feminismus zurück ist in der Politik – nicht nur als Aufkleber. Sondern auch als Überzeugun­g, als Leitplanke einer Politik, die den Menschen in den Mittelpunk­t stellt und dafür kämpft, dass jede und jeder, dass alle die gleichen Rechte und die gleichen Chancen bekommen.

Politik muss den Menschen in den Mittelpunk­t stellen

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Zeichnung: Heiko Sakurai Ehrlich, aber nicht hilfreich.
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