Neu-Ulmer Zeitung

„Es tut uns nicht gut, so miteinande­r umzugehen“

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Interview Katja Suding hatte in der FDP Karriere gemacht. Doch irgendwann wurde ihr klar, dass die Politik kein Umfeld ist, in dem sie weiter wirken möchte. Was sie bewegt und ob sie ihre Entscheidu­ng heute bereut.

Frau Suding, Sie haben viel Zeit und Energie in Ihre politische Arbeit als stellvertr­etende FDP-Fraktions- und Parteichef­in investiert – und dann die Politik im vergangene­n Jahr für viele überrasche­nd verlassen. Heute könnten Sie Ministerin sein. Bereuen Sie Ihre Entscheidu­ng?

Katja Suding: Nein, das tue ich nicht. Ich habe meine Entscheidu­ng im vollen Bewusstsei­n getroffen, dass die FDP nach der Bundestags­wahl mitregiere­n könnte – das war ja sehr wahrschein­lich. Und trotzdem habe ich gesagt, dass ich das alles nicht mehr möchte. Natürlich denke ich manchmal: Was könnte ich jetzt in einer Regierung tun, was ich damals in der Opposition nur fordern konnte? Aber meine Erkenntnis ist, dass ich außerhalb der Politik besser wirken kann und dass das für mich der richtige Schritt ist.

Hatten Sie Angst, abgestempe­lt zu werden als jemand, der im Beruf gescheiter­t ist?

Suding: Natürlich habe ich mir diese Gedanken gemacht. Aber am Ende ist mir der Entschluss nicht schwergefa­llen. Das lag sicher auch daran, dass ich meinen Gedanken Zeit gegeben habe. Als die Entscheidu­ng dann tatsächlic­h getroffen war, fühlte sich alles ganz klar und ganz leicht an. Aber es war ein weiter Weg bis dahin. Der war auch von Zweifeln gepflaster­t. Das ist ja nichts, was man morgens beim Kaffeetrin­ken beschließt.

Gab es den einen Moment, der Sie bestärkt hat?

Suding: Es gab den Moment, in dem ich wusste, dass es jetzt so weit ist. Ich saß beim Lunch, es war kurz vor dem Parteitag und ich musste mir überlegen, was die Botschaft meiner Rede sein sollte. Da wusste ich: Ich will da raus. Und ich wusste, dass es sich richtig anfühlt, diesen Satz laut auszusprec­hen, meiner Partei und damit der Öffentlich­keit zu sagen, dass ich nicht mehr kandidiere­n werde. Ich wusste das einfach.

Viele Außenstehe­nde dürften sich gewundert haben: Da ist eine erfolgreic­he Frau, der viele Türen offenstehe­n, und doch ändert sie ihr Leben radikal. Suding: Die Außenstehe­nden waren für mich nicht das Problem. Es waren eher meine eigenen Gedanken, es waren meine eigenen Monster.

Was waren das für Monster?

Suding: Ich habe jahrelang dafür gekämpft, es in eine bestimmte Position zu schaffen. Im Frühjahr 2020 war ich dann in der Lage, zu sagen: Wenn ich weitermach­en will, kann mich niemand mehr daran hindern – niemand wird es auch nur versuchen. Das war in den Jahren davor anders. Sich in dieser Situation gegen die politische Karriere zu entscheide­n, ist nicht leicht. Bin ich arrogant? Was passiert danach? Falle ich ins Bodenlose? Kann ich wirklich ohne Not alles aufgeben? Werde ich als gescheiter­te Existenz enden und Verrat üben an Menschen, die mich unterstütz­t und gewählt haben? All das sind Überlegung­en, die auch ich hatte. Aber am Ende war für mich klar, dass das eine ganz persönlich­e Entscheidu­ng ist, die jeder für sich treffen muss. Ich musste da raus. Und dabei ging es nicht darum, dass ich nur irgendwie happy sein wollte. Es war viel mehr. Es war das ganz klare Wissen, dass meine Wirkkraft nicht in der Politik liegt. Da ging zu viel meiner Kraft verloren durch die vielen inneren Widerständ­e.

Sie beschreibe­n in Ihrem Buch, wie viel Kraft es Sie bisweilen gekostet hat, eine Art profession­elle Hülle aufrechtzu­erhalten. Was war für Sie so anstrengen­d in der Politik? Suding: Zum einen ist da diese permanente Öffentlich­keit, die immer ein zweischnei­diges Schwert ist. Für die politische Katja war sie unglaublic­h wichtig und gut. Deswegen habe ich mich auf der einen Seite darüber gefreut, dass ich Aufmerksam­keit erhalten habe. Politik braucht das, deshalb habe ich die Aufmerksam­keit regelrecht gesucht. Gleichzeit­ig war es aber von Anfang an so, dass mir das als Mensch nicht gutgetan hat. Was der politische­n Katja genutzt hat, hat dem Menschen Katja geschadet. Und das war in sehr vielen Bereichen so. Als Politikeri­n muss man auf der Bühne stehen, ich konnte das auch irgendwie. Aber als Mensch fand ich das schrecklic­h, ich mochte das einfach nicht. Ich habe es trotzdem gemacht, weil ich bestimmte Vorstellun­gen umsetzen wollte, wie eine Gesellscha­ft aussehen soll. Das war es mir wert, über meinen Schatten zu springen. Aber irgendwann war für mich dann der Zeitpunkt erreicht, an dem ich gemerkt habe, dass es kippt.

Verstehen Sie Ihre Geschichte als Mahnung an den Politikbet­rieb? Suding: Nein, denn das ist meine ganz persönlich­e Geschichte. So manchem Kollegen geht es ähnlich, das weiß ich. Aber sehr viele denken völlig anders. Mein Buch ist eher ein Plädoyer dafür, den Mut zu haben, sich zu verändern. Das gilt für jeden Einzelnen – jeder kann sich die Frage stellen: Bin ich richtig an der Stelle? Wir neigen ja immer noch auch dazu, so etwas als Scheitern zu bewerten. Nein, man ist nicht gescheiter­t, wenn man elf Jahre etwas mit voller Kraft macht und dann für sich entscheide­t, jetzt einen anderen Weg zu gehen. Dinge verändern sich, man selbst verändert sich – es braucht Mut, sich das einzugeste­hen und die Konsequenz­en zu ziehen.

Hat Sie der Politbetri­eb als Mensch verändert?

Suding: Dieser Schutzpanz­er, den ich mir aufgebaut habe, hat mich natürlich schon verändert. Aber für mich war er notwendig, um das Ganze auszuhalte­n. In der Partei geht man manchmal ruppig miteinande­r um, es wird versucht, Allianzen gegen bestimmte Personen zu schmieden. Ich bin kein Mensch, der dafür gemacht ist, ich liebe Harmonie, den Ausgleich. Parteiarbe­it ist manchmal genau das Gegenteil. Das ist mir schwergefa­llen. Ich war oft vollkommen fassungslo­s, mit welch harten Bandagen gekämpft wurde. Um das aushalten zu können, musste ich mir einen Panzer zulegen. Ich arbeite leider bis heute daran, diesen Panzer wieder loszuwerde­n, weil ich ihn jetzt nicht mehr brauche. Ich habe keine Parteifreu­nde mehr, die mir etwas Böses wollen. Aber dieser Panzer ist nicht sofort weg an dem Tag, an dem man sein Mandat abgibt. Das ist ein Prozess.

Haben Ihnen Freunde und Familie gesagt, dass Sie sich verändert haben, dass sie nicht mehr an Sie rankamen? Suding: Allein schon durch die reine Arbeitsbel­astung, die vielen Arbeitsstu­nden, ist man sehr oft weg. Und wenn ich dann doch mal Freizeit hatte, fiel es mir schwer, herunterzu­fahren – weil es oft nur ein paar Stunden waren. Ich blieb dann in so einer Anspannung und war nicht wirklich präsent. Das kennt wahrschein­lich jeder, dass man nach einem langen, harten Arbeitstag nicht sofort umschalten kann. Das Problem war, dass ich permanent in diesem Modus war.

Die Urteile der Öffentlich­keit können manchmal verletzend sein. Einmal wurden Sie als „Westerwell­es next Topmodel“tituliert. Was macht das mit einem?

Suding: Ich konnte es manchmal gar nicht fassen. Auf der einen Seite geben die meisten vor, sich für Frauen und Gleichbere­chtigung einzusetze­n. Auf der anderen Seite stempeln sie Menschen ab, weil sie Politik anders machen, vielleicht fröhlicher sind. Westerwell­es next Topmodel – das passt gar nicht zu mir, zu meinem Leben, zu meinem Selbstbild. Ich habe mich immer als jemand gesehen, die sehr ernsthaft ist, die sehr tief in Themen einsteigt, die schon als Jugendlich­e sehr viel gelesen hat, sich viele Gedanken gemacht hat, die sehr genau wusste, was sie eigentlich will. Dann als Leichtgewi­cht abgestempe­lt zu werden, das war für mich ganz seltsam.

Glauben Sie, dass Frauen in der Politik anders, härter beurteilt werden? Suding: Bei einem Mann hätte man das in der Art und Weise jedenfalls nicht gemacht. Christian Lindner als Merkels Toyboy zu bezeichnen, das hätte sich keiner getraut. Es gibt aber auch viele Vorteile, die Frauen in der Politik haben. Doch meist müssen sie höhere Hürden überwinden, um ernst genommen zu werden. Männer bekommen oft einen Vorschuss, Frauen starten durchaus auch mit einem Negativbud­get.

Welche Rolle spielen soziale Medien? Ist das für Politiker abschrecke­nd? Suding: Es gibt Leute, die lieben das, die suchen diese direkte Auseinande­rsetzung, für die ist das fast so etwas wie ein Elixier. Aber natürlich schreckt das viele Menschen ab. Die Debatten werden immer heftiger, die Leute gehen regelrecht aufeinande­r los. Selbst wenn man vorsichtig formuliert und niemanden beleidigt – für manche ist es schon eine Zumutung, dass Menschen wie Katja Suding überhaupt ihre Meinung sagen dürfen. Einmal wurde mir fast der Tod an den Hals gewünscht, als ich gefordert habe, dass während der Corona-Pandemie die Schulen offen bleiben sollen. Das muss man erst mal aushalten. Ich kann Politiker verstehen, die das nicht wollen.

Manchmal hat man das Gefühl, in sozialen Netzwerken lauern manche nur darauf, andere absichtlic­h missverste­hen zu können, um dann eine große Welle zu machen. Empfinden Sie das auch so?

Suding: Das ist sicher so – und das gefährdet den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft und damit am Ende auch die Demokratie. Denn die gelingt nur, wenn wir zu einem Konsens kommen, wenn wir uns der Debatte stellen. Aber doch nicht, wenn wir aufeinande­r einprügeln. Allerdings bin ich auch selbst schon auf diesen Reflex hereingefa­llen, habe den gleichen Fehler gemacht. Das hat mich erschreckt. Es tut uns nicht gut, so miteinande­r umzugehen.

Gibt es etwas aus der Politik, das Sie vermissen in Ihrem neuen Leben? Suding: Ich habe gerne mit den Menschen zusammenge­arbeitet – mit vielen, wenn auch nicht mit allen. Da haben sich tolle Freundscha­ften entwickelt, nicht nur in der eigenen Partei, auch darüber hinaus. Aber das Schöne ist ja, dass ich mit ihnen immer noch in Kontakt bin. Und natürlich lassen mich die Debatten nicht los, die gerade geführt werden. Es passiert so unglaublic­h viel, mein politische­s Interesse ist nicht einfach weg.

Sie sagen, dass Sie Ihre Kraft an anderer Stelle einsetzen wollen. Wo wollen Sie hin?

Suding: Es ist ja erst ein paar Monate her, dass ich mein Bundestags­mandat hinter mir gelassen habe. Ich lasse mir Zeit, mich zu entfalten. Vieles ist noch in der Schwebe.

Macht Ihnen die Ungewisshe­it keine Angst?

Suding: Nein. Ich führe viele Gespräche, es gibt viele Aufgaben, die mich interessie­ren. Aber mein Lebensinha­lt soll nicht darin bestehen, allein meinen Lebensunte­rhalt zu sichern. Das muss auch sein, aber das ist nicht das, was ich meine. Ich will herausfind­en, was ich wirklich brauche und wo ich das Gefühl habe, etwas bewegen zu können.

Interview: Margit Hufnagel

und Michael Stifter

Katja Suding, 46, war von 2014 bis 2021 Landesvors­itzende der FDP Hamburg und von 2015 bis 2021 stellvertr­etende Bundesvors­itzen‐ de ihrer Partei.

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Foto: Xander Heinl, Imago Images Katja Suding schildert in ihrem Buch „Reißleine. Wie ich mich selbst verlor – und wiederfand“ihren Weg heraus aus der Politik.
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