Was ist möglich bei der Wasserkraft?
Hintergrund Die Staatsregierung hat schon mehrfach angekündigt, diesen Sektor der erneuerbaren Energien auszubauen. Bisher ist sie damit weitgehend gescheitert. Experten sind skeptisch, dass sich daran etwas ändern wird.
München In kaum einer Grundsatzrede der Staatsregierung zur Energiewende in Bayern fehlt das hohe Lied auf die Wasserkraft: Bayern sei die Nummer eins auf diesem Sektor. In Bayern gebe es noch Ausbaupotenzial. Und das sei doch wunderbar, weil Strom aus Wasserkraft – im Gegensatz zu Wind und Sonne – nicht vom Wetter oder von der Jahreszeit abhängig sei. Dieses hohe Lied wird stets dann angestimmt, wenn es energiepolitisch gerade mal wieder brisant ist: Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011, im Dauerstreit um die 10H-Abstandsregel für Windräder seit 2014 oder jetzt nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine, der die extreme Abhängigkeit des Freistaats von russischem Gas offenkundig gemacht hat. Auch in der jüngsten Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fehlte es nicht an Bekenntnissen und Forderungen zur Wasserkraft.
Tatsächlich aber gibt es keinen Anlass für vollmundige Freudengesänge. Schon der Blick auf das vergangene Jahrzehnt zeigt, dass zwischen den politischen Ankündigungen und der Wirklichkeit eine große Lücke klafft. Unter Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) wurde im Jahr 2011 als Ziel ausgegeben, die jährliche Bruttostromerzeugung der bayerischen Wasserkraftwerke von durchschnittlich 12,5 auf 14,5 Terawattstunden pro Jahr zu steigern. Daraus wurde nichts. Im Gegenteil. Der Wert 12,5 wurde nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums zuletzt 2013 übertroffen. Danach ging’s bergab. Im Jahr 2020 lag er nur noch bei 11,1 – ohne Pumpspeicherwerke, die ja keinen Strom erzeugen, sondern ihn nur speichern. Rechnet man die Pumpspeicherwerke dazu, dann lieferte die Wasserkraft 12,4 Terawattstunden Strom. Das entspricht einem Anteil von 15,7 Prozent an der Stromversorgung in Bayern.
Trotzdem hielt das Ministerium in einem neuen Aktionsprogramm an dem Ausgangswert von 12,5 Terawattstunden fest, reduzierte jedoch das Ausbauziel auf eine Terawattstunde bis zum Jahr 2022. Doch auch daraus wird nichts werden. Auf Nachfrage unserer Redaktion räumte das Ministerium jetzt ein: „Es ist absehbar, dass dieses Ziel in diesem Zeitraum nicht erreicht wird.“Begründung: „Dies ist im Wesentlichen auf die derzeitigen Rahmenbedingungen zurückzuführen, die keine ausreichenden Anreize für Investitionen geben.“
Jetzt soll die neue Bundesregierung richten, was die frühere, unionsgeführte Bundesregierung seit 2011 nicht hinbekommen hat. Söder schwärmte in seiner Regierungserklärung Mitte März: „Die großen Potenziale Bayerns liegen in den klassischen bayerischen Südenergien.“Dazu gehöre neben Photovoltaik, Biomasse und Geothermie auch Wasser. Er fordert „Effizienzprogramme für die große Wasserkraft, Mehrvergütung für die kleine Wasserkraft und rechtliche Erleichterungen im Wasser- und Naturschutzrecht.“Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gibt sich da zurückhaltender. Er sagte nach dem Energiekonvent vergangene Woche, er „sehe hier noch einiges Potenzial, aber nicht mehr sehr viel.“
Nach Recherchen unserer Zeitung dürfte Aiwangers Aussage der Realität ziemlich nahekommen. Bei der Vereinigung Wasserkraftwerke Bayern (VWB) hält man es zwar theoretisch für möglich, durch Neubau von Kraftwerken und Modernisierung bestehender Anlagen irgendwann eine Terawattstunde zusätzlich zu erreichen. Aber die Genehmigungsverfahren, so sagt der erste Vorsitzende Fritz Schweiger, seien „hoch kompliziert.“Im Ministerium schätzt man die Verfahrensdauer für ein Projekt auf bis zu zehn Jahre.
Die größeren Potenziale werden in der Modernisierung großer Kraftwerke gesehen – etwa an der Donau, am Lech oder am Inn. In Schwaben zum Beispiel hat die LEW Wasserkraft in den vergangenen zehn Jahren rund 60 Millionen Euro dafür investiert. Die Leistung des Kraftwerks Meitingen etwa wurde um 14 Prozent gesteigert. Gleichzeitig aber müssen bei nahezu allen Projekten die Vorschriften der Wasserrahmenrichtlinie der EU zum Schutz der Gewässer berücksichtigt werden.
Das betrifft vor allem die Restwassermenge, die nicht für die Stromerzeugung genutzt werden kann, und die Sicherstellung der Durchgängigkeit für Fische. „Leistungssteigerungen an den von uns betriebenen Kraftwerken kompensieren damit vorrangig die geringere Erzeugung, die aus der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie resultiert“, heißt es bei LEW Wasserkraft. Besonders umstritten sind Neubauprojekte. Die VWB sieht hier viele Möglichkeiten für die „kleine Wasserkraft“. Es gebe an den rund 100.000 Flusskilometern in Bayern über 50.000 Querbauwerke, rechnet VWB-Vorstandsmitglied Hermann Steinmaßl vor. Nach einer Prüfung durch das Wirtschaftsministerium seien aber nur rund 100 Standorte als geeignet für den Kraftwerksbau befunden worden. „Das ist eindeutig zu wenig“, sagt Steinmaßl. „Man hat das geprüft, aber so, dass praktisch nichts übrig bleibt.“
Seiner Ansicht nach könnten Neubauten sogar für eine „Versöhnung von Klimaschutz, Energieversorgung und Naturschutz stehen.“Werde an einem bestehenden Querbauwerk ein Kraftwerk errichtet, könne damit gleichzeitig etwas für die Ökologie getan werden. „Ich würde auf der Stelle mehrere Betreiber finden, die vor Ort mit Naturschützern und Fischern eine Lösung erarbeiten, um Durchgängigkeit herzustellen und Energie zu gewinnen. Das wäre, auf gut bayerisch gesagt, eine Win-win-Situation.“Und für den Staat wäre es kostenlos.
Widerspruch kommt vom Bund Naturschutz in Bayern. „Wir wehren uns nicht dagegen, bestehende Anlagen zu optimieren, aber wir sind grundsätzlich gegen den Neubau von Kraftwerken“, sagt Artenschutzreferentin Christine Margraf. Zum einen sei, was kleine Kraftwerke leisten, „energetisch absolut vernachlässigbar.“Außerdem stünden gerade kleine Anlagen bei anhaltender Trockenheit oft still.
Zum anderen gehe es, wenn man einen guten Zustand der Gewässer erreichen will, nicht nur um Durchgängigkeit für Fische, sondern um das gesamte Öko-System Fluss einschließlich der Auen. „Das sind die artenreichsten Landschaften, die wir in Mitteleuropa haben“, sagt Margraf. Die Ausbauziele der Staatsregierung hält sie für unrealistisch. „Das hätte schon bei der Ankündigung jedem in der CSU klar sein müssen, dass das nicht gehen kann“, sagt Margraf.
Die Bedeutung der Wasserkraft für den Energiemix stellt niemand infrage. Doch ob und wie viel Stromerzeugung zusätzlich möglich ist, bleibt offen. Eine Anfrage unserer Redaktion bei der Staatskanzlei beantwortete ein Sprecher mit nur einem Satz: „Wir gehen davon aus, dass das zuständige Ministerium alles daransetzt, seine selbst formulierten Hausaufgaben möglichst zeitnah zu erfüllen.“
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Aiwanger sieht „nicht mehr sehr viel Potenzial“