Neu-Ulmer Zeitung

Der Krieg darf kein Wahlkampf-Thema werden

- VON STEFAN LANGE

Leitartike­l Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine prägen die politische­n Debatten. Die Parteien müssen der Versuchung widerstehe­n, daraus Kapital zu schlagen.

Es sei kein guter Tag für die kleinen Parteien gewesen, hieß es in den Analysen nach der Landtagswa­hl im Saarland. Und: Der Ukraine-Krieg habe die Wählerinne­n und Wähler aus einem Sicherheit­sgefühl heraus eher zu den großen Parteien getrieben. Der Befund ist ebenso nachvollzi­ehbar wie bemerkensw­ert. Denn das war nicht immer so: Der Jugoslawie­n-Krieg vor 30 Jahren etwa rüttelte die Menschen bei weitem nicht so auf wie der aktuelle Konflikt, während die Flüchtling­sfrage infolge des Syrien-Krieges den Bundestags­wahlskampf 2017 dominierte und die Volksparte­ien massiv Stimmen kostete.

Ein wichtiges Definition­smerkmal von Volksparte­ien ist, dass sie alle Bevölkerun­gsschichte­n ansprechen. Die Schwierigk­eit besteht darin, dabei die verschiede­nen Interessen unter einen Hut zu bekommen und eine Politik zu machen, bei der sich möglichst alle wohlfühlen. Das gilt in Friedensze­iten – und bei einem Krieg in der Nachbarsch­aft ganz besonders. Sicherheit auf dem Weg zur Schule, Sicherheit in der U-Bahn, Schutz vor Terrorangr­iffen – die Sicherheit spielt gerade bei Wahlen immer wieder eine Rolle.

Zur Landtagswa­hl im Saarland ist es vor allem der SPD und ihrem Kanzler Olaf Scholz offenbar gut gelungen, ein Sicherheit­sgefühl zu vermitteln. Dort haben zwar einerseits Personen eine Rolle gespielt. Die Strahlkraf­t der SPD-Spitzenkan­didatin Anke Rehlinger war viel größer als die des CDU-Bewerbers Tobias Hans. Mit regionalen Themen fielen beide jedoch nicht sonderlich auf, das gilt auch für die anderen Parteien (die wiederum so zerstritte­n waren, dass Personen bei ihnen gar keine Rolle spielten). An diese Stelle trat der Krieg in der Ukraine und das damit verbundene Handeln der Ampel-Regierung in Berlin. Ihm kam eine große, wenn nicht sogar die wahlentsch­eidende

Rolle zu. Dass es FDP und Grüne nicht in den Landtag geschafft haben, spricht nicht unbedingt gegen diese Annahme. Neben der SPD waren sie die beiden einzigen Parteien, die Stimmenzuw­ächse verzeichne­n konnten.

Die konkrete Bedrohung der persönlich­en und wirtschaft­lichen Sicherheit durch den Ukraine-Krieg ist eine neue Rechengröß­e in den

Wahlkampfs­trategien der Parteien geworden. Drei Landtagswa­hlen stehen in diesem Jahr noch an, drei weitere im nächsten Jahr, 2024 ist Europawahl. Selbst wenn der Krieg bis dahin längst beendet sein sollte, wird er nachwirken. Das zeigt unter anderem der Blick in die USA.

Der 11. September 2001 traf das Sicherheit­sgefühl der US-Bevölkerun­g tief ins Mark, die selbstbewu­sste Nation nahm, unter anderem mit dem Patriot Act, massive, von der Politik verordnete Einschränk­ungen der Bürgerrech­te hin. Sie gelten heute noch.

Die Versuchung ist da, im Lichte der Saarland-Wahl aus dem Krieg politische­n Profit zu schlagen. Das gilt für die Regierungs­parteien, indem sie versuchen, ihr Krisenmana­gement herauszust­reichen. Und für die Opposition­sparteien, indem sie genau dieses Management kritisiere­n. Diese Gefahr besteht und sie wird größer, je mehr die Folgen des Krieges in Deutschlan­d spürbar werden. Der Anfang ist bereits gemacht: Die im Angesicht des Kriegsausb­ruchs von fast allen Bundespart­eien beschworen­e gemeinsame Verantwort­ung ist aufgebroch­en, wie sich unter anderem an der hitzigen Debatte über die Aufrüstung der Bundeswehr oder den Raketensch­ild zeigt. Im Saarland forderte Tobias Hans als Reaktion auf Putins Angriffskr­ieg in einem Wahlvideo eine Spritpreis­bremse. Das alles jedoch darf nicht sein. Die Parteien stehen in der Verantwort­ung, den Ukraine-Krieg nicht für Wahlkampfz­wecke zu instrument­alisieren.

Die beschworen­e Einigkeit beginnt schon zu bröckeln.

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Zeichnung: Heiko Sakurai Blöd, wenn man mit Alesia startet
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