Der Narzisst aus den Niederlanden
Porträt Seit Jahrzehnten prägt Louis van Gaal den europäischen Fußball. Der 70-Jährige ist hochnäsig und widerborstig. Dennoch fällt die Trainerwahl oft auf ihn.
Dieser eine Satz sagt viel über Louis van Gaal aus. In einer Pressekonferenz fragte er einmal einen Reporter: „Bin ich so schlau, oder sind Sie so dumm?“Journalisten hält der 70-Jährige für unfähig, unqualifiziert und ganz allgemein unter seiner Würde. Wobei sich nicht nur Medienschaffende auf Arroganzanfälle des knurrigen Trainers einstellen sollten. Van Gaal scheint vor niemandem Respekt zu haben. Wenn überhaupt, dann vor seiner zweiten Ehefrau Truus.
Als der FC Bayern München den gebürtigen Amsterdamer verpflichtete, betonte der damalige Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge: „Wir müssen jetzt nicht Everybody’s Darling einkaufen, dann hätten wir George Clooney verpflichten müssen.“Kaum ein anderer Trainer ist derart unbeliebt im europäischen Spitzenfußball. Van Gaal und der Portugiese José Mourinho könnten wetteifern, wer denn nun der Unsympathischere ist. Umso erstaunlicher, dass der holländische Verband für die Trainerwahl wiederholt beim hochnäsigen Aloysius Paulus Maria Louis van Gaal landet. Zum dritten Mal schon befehligt der „General“die Elftal. Für die WM in Katar hat sich Oranje souverän qualifiziert, 2002 war van Gaal blamabel daran gescheitert. Beinahe drei Jahrzehnte liegt sein größter Triumph zurück. Aus einer Ansammlung von 18bis 22-Jährigen formte er einen Champions-League-Sieger. Patrick Kluivert, Clarence Seedorf oder Marc Overmars bildeten eine goldene Ajax
Generation, der jedoch große Titel im Nationalteam verwehrt blieben.
Van Gaal blickt auf eine bescheidene Spielerkarriere zurück, stets stand er im Schatten Johann Cruyffs. Mancher vermutet hinter dieser Kränkung seinen Narzissmus. Selbstverliebt, nach Würdigung lechzend. Bereitwillig lässt er sich von jenen beklatschen, die er belächelt. Seine Fähigkeiten als Trainer sind unbestritten, er war Meister in den Niederlanden, Spanien und Deutschland. Im modernen Fußball schien er den Anschluss verpasst zu haben, bei seinem bislang letzten Klub Manchester United versagte er. Doch im Klassiker gegen den ewigen Rivalen Deutschland (Dienstag, 20.45 Uhr/ARD) wird er beweisen wollen, wie taktisch variabel er agieren lässt. Wie lernfähig er im Rentenalter ist. Stets forderte und förderte er. Thomas Müller holte er von den Amateuren ins Münchner Profiteam, Bastian Schweinsteiger ermöglichte er als Stratege eine Weltstarkarriere. Van Gaal ist nicht nur für Spieler eine autoritäre Vaterfigur, von seinen beiden Töchtern Brenda und Renata lässt er sich siezen. Strenge prägte sein Leben. Mit zehn Jahren starb sein Vater, zu dem er ein schwieriges Verhältnis hatte. Mit 21 Jahren heiratete van Gaal seine große Liebe Fernanda, die 20 Jahre später an Leberkrebs starb. Es war die Zeit, als er im Wortsinn vom Glauben abfiel. „Mit einem Gott, der das passieren lässt, will ich nichts mehr zu tun haben“, schreibt er in einem seiner Bücher. Dass er seine Werke öffentlichkeitswirksam vorstellt, versteht sich von selbst. Johannes Graf