Wenn die Wahrheit offline geht
Russland Der Kreml schaltet unabhängige Medien und soziale Netzwerke ab, um ungestört seine Staatspropaganda zu verbreiten. Auch die letzte unabhängige Zeitung erscheint nicht mehr.
Moskau Der Bildschirm bleibt weiß. Sobald in Russland die Apps von Instagram, Facebook, Twitter geöffnet werden, sobald im Internetbrowser die Buchstaben von Russlands unabhängigen Medien wie Meduza, Tayga.Info oder TV Rain eingegeben werden, sehen die Leser und die Zuschauer in Russland offiziell nichts als Leere. Auch die kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta stellt ihr Erscheinen wegen des Drucks von russischen Behörden bis zur Beendigung des Krieges in der Ukraine vorübergehend ein. Die Ausgaben im Internet und auf Papier werden bis zum Ende der „Spezialoperation auf dem Gebiet der Ukraine“nicht mehr erscheinen, teilte die Redaktion im Kurznachrichtendienst Twitter mit, der in Russland blockiert ist. Die von Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow geführte Zeitung ist eines der letzten verbliebenen unabhängigen Medien in Russland.
Seit Panzer auf Befehl von Präsidenten Wladimir Putin unter dem beschönigenden Begriff der „militärischen Spezialoperation“die Grenze zur Ukraine überschritten haben, schneidet der Kreml sein Volk von allen unabhängigen Informationen ab, was im Nachbarland passiert. Stattdessen lässt Putin über das Staatsfernsehen Propaganda senden.
Jede Kritik daran, jede Nachricht, die sich nicht an der offiziellen Verlautbarung des russischen Verteidigungsministeriums orientiert, wird als Falschinformation bezeichnet. Wer sie verbreitet, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft. Das Gesetz gilt nicht nur für die russische Bevölkerung, sondern auch für Ausländer, was auch die Arbeit von Auslandsmedien im Land erschwert. Es kriminalisiert das journalistische Grundprinzip, mehrere Quellen zu benennen. Vor allem Russlands unabhängigen Medienschaffenden sind dadurch die Hände gebunden. Sehr viele von ihnen haben seit Beginn der „Operation“das Land verlassen. Ihre Arbeit lassen sie sich dennoch nicht nehmen, auch wenn sie nun vor allem aus Armenien, Georgien oder Lettland über ihr Land berichten.
Viele Menschen in Russland appellieren an Medienschaffende, weiter unabhängig zu berichten. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Zuspruch so groß sein würde, dass die Menschen nach Informationen lechzen“, sagt Jekaterina Kotrikadse vom Online-Fernsehsender Doschd.
Doschd bedeutet Regen, international heißt der Sender auf Englisch TV Rain. Zusammen mit ihrem Mann Tichon Dsjadko, Chefredakteur von Doschd, war sie nach Georgien geflohen. Kotrikadse und Dsjadko senden nun unter KiD in Streams bei YouTube aus Tbilissi, ihre Doschd-Kollegen wie auch die
Kollegen vom Radiosender Echo Moskau, der seine Arbeit nach 30 Jahren einstellen musste, haben eigene YouTube- oder Telegram-Kanäle gegründet, machen Podcasts, schreiben Newsletter und E-Mails und informieren so über das Geschehen in Russland und auch in der Ukraine.
Auch Gesperrtes lässt sich nur noch über sogenannte virtuelle private Netzwerk, kurz VPN lesen, die den Datenverkehr durch verschlüsselte Tunnel leiten. Zwar sind in Russland diverse VPNs verboten, doch die Nachfrage stieg um bis zu 11.000 Prozent. Vor allem Kleinunternehmer in Russland nutzten Instagram als Plattform, ihre Dienste anzubieten. Kremltreue Internetdienstleister haben nun „Rossgram“gestartet, das Netzwerk sieht ähnlich aus wie Instagram, bietet Funktionen wie das US-Orginal, doch es behauptet von sich, ein „vaterländisches“Produkt zu sein. Die Verantwortlichen von Rossgram stören sich ebenso wenig wie jene der russischen Facebook-Variante „VKontakte“daran, dass die Geheimdienste ohne Probleme mitlesen können.