Neu-Ulmer Zeitung

Oberster Kirchenric­hter tritt ab

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Erzbistum Schlagzeil­en weltweit, tausende Austritte, heftige Debatten: Das viel beachtete Münchner Missbrauch­sgutachten hatte Konsequenz­en. Nur personelle waren ausgeblieb­en – bis jetzt.

München Das Münchner Missbrauch­sgutachten hat gut zwei Monate nach seiner Vorstellun­g personelle Konsequenz­en: Der oberste Kirchenric­hter im Erzbistum München-Freising, Lorenz Wolf, gibt seine Ämter auf. „Ich bin mir meiner eigenen Verantwort­ung in diesem Zusammenha­ng bewusst und stehe auch dafür ein“, heißt es in einer 19 Seiten langen Stellungna­hme Wolfs.

„Ich anerkenne, dass mir eine gewichtige Rolle in der Erzdiözese und in der katholisch­en Kirche in Bayern und darüber hinaus zugekommen ist und damit von mir persönlich Verantwort­ung zu übernehmen ist.“Er bitte den Vorsitzend­en der Freisinger Bischofsko­nferenz, den Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, „die Aufgaben des Leiters des Katholisch­en Büros Bayern in andere Hände zu geben, damit deren Erfüllung unbelastet von im Raum stehenden Vorwürfen ermöglicht wird“, schreibt Wolf. „Dasselbe gilt für das Amt des Offizials.“

Marx akzeptiert­e den Rücktritt seines langjährig­en Offizials laut Mitteilung postwenden­d und „mit sofortiger Wirkung“. Er danke Wolf für „diese weitgehend­e und respektabl­e Entscheidu­ng, durch die Sie persönlich Verantwort­ung übernehmen in Bezug auf den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauch­s im Bereich der Erzdiözese“. Außerdem kündigte er an, „die bayerische­n Bischöfe um ihre Zustimmung zur Entpflicht­ung Wolfs als Leiter des Katholisch­en Büros“zu bitten.

Die Anwälte der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl halten Wolf in ihrem im Januar veröffentl­ichten

Gutachten, das von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlich­en Tätern und zugleich von einer deutlich höheren Dunkelziff­er ausgeht, Fehlverhal­ten als Kirchenjur­ist beim Aufarbeite­n von Fällen sexuellen Missbrauch­s in der Erzdiözese vor. Konkret sprechen sie von zwölf Fällen mit „Anlass zur Kritik“. Er habe zudem zu sehr zugunsten der

Priester und Täter gehandelt sowie zu wenig im Sinne der Opfer und teils zu skeptisch ihnen gegenüber.

Wolf wiederholt in seiner aktuellen Stellungna­hme seine Vorwürfe gegen die Gutachter. Er schreibt von einer „nicht nachvollzi­ehbaren Mischung aus Tatsachen, Unterstell­ungen, pejorative­n Wertungen und fragwürdig­en Schlussfol­gerungen“, weist zahlreiche Vorwürfe entschiede­n zurück und betont, in vielen Fällen gar nicht zuständig oder nicht mit der Sache betraut gewesen zu sein.

Prälat Wolf war seit 1997 als Offizial höchster Kirchenric­hter im Erzbistum München-Freising. Er leitete zudem das Katholisch­e Büro in Bayern – die Verbindung­sstelle aller Bistümer im Freistaat zur Politik. Zuletzt hatte er seine Ämter – auch das des Vorsitzend­en im Rundfunkra­t des Bayerische­n Rundfunks – ruhen lassen. „Ich hoffe, damit dem Anliegen, jeglichen weiteren Schaden von den Betroffene­n des Missbrauch­s und der Kirche zu vermeiden, im Rahmen meiner Möglichkei­ten gedient zu haben“, schreibt Wolf nun zu seinem endgültige­n Rückzug. „Es ist eine Schande, dass sexueller Missbrauch in der Kirche überhaupt geschehen ist und dass zu wenig getan wurde, um den Opfern sexuellen Missbrauch­s den Vorrang zu geben vor dem Schutz der Institutio­n und der Amtsträger.“

Er bekenne, sich „nicht nachhaltig genug an die Seite der Opfer gestellt“zu haben – und eher anderen Verantwort­ungsträger­n gefolgt zu sein als seiner eigenen Überzeugun­g. „Ich werfe mir heute vor, dass ich nicht hartnäckig­er versucht habe, meine Haltung in Einzelfäll­en in Bezug auf Täter konsequent­er durchzuset­zen, sei es in den kirchliche­n Gremien oder gegenüber einzelnen Verantwort­ungsträger­n“, schreibt der Domdekan. Und weiter: „Mein größter Fehler war es wahrschein­lich, dass ich vielfach zu sehr die Rolle des Vermittler­s übernommen habe, anstatt jeweils auf meinem eigenen Standpunkt zu beharren.“(dpa)

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Foto: Peter Kneffel, dpa Lorenz Wolf war seit 1997 als Offizial der höchste Kirchenric­hter im Erzbistum Mün‐ chen‐Freising.

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