Die Sensation wie der Skandal: ohne Worte
Oscars I Politisch, tränenreich, schillernd: Das alles war die große Film-Gala in Hollywood auch wieder ein bisschen. Aber vor allem hatte sie überraschende Pointen, auch deutsche Sieger – und eine bedenkliche Botschaft.
Los Angeles Hollywood hat so einiges aufgeboten, um die gut dreieinhalb Stunden der diesjährigen Oscarverleihungen so prominent und kurzweilig zu halten wie nur möglich. Gefeiert wurden unter anderem während der Gala jeweils mit den Auftritten der Stars dazu: 50 Jahre „Der Pate“, 30 Jahre „White Men Can’t Jump“, 60 Jahre James Bond und sogar 28 Jahre „Pulp Fiction“. Die Hauptrolle aber spielten die Trophäenvergaben. Oder?
Der Skandal
Es wurde bei allen Hinweisen auf die ernsten Zeiten, in denen man heute lebe, viel gespaßt auf der Bühne – am besten sicherlich von Amy Schumer, einer der drei Moderatorinnen, die sogar mal im Spiderman-Kostüm heransegelte. Aber der mieseste Witz des Abends wird in Erinnerung bleiben. Denn als Chris Rock auf die Bühne kam und bei seinen Albernheiten auch die Frau von Will Smith nicht ausließ und auf ihre Kurzhaarfrisur (die sie aufgrund von chronischem Haarausfall trägt) anspielend meinte, er sei schon sehr gespannt auf sie in „G.I. Jane 2“, der vermeintlichen Fortsetzung des Militärdramas mit einst einer kahl geschorenen Demi Moore – da versuchte Will erst noch gute Miene zu zeigen. Der Blick auf Frau Jada aber offenbarte eine Verletzung und ließ ihn zur Tat schreiten. Schritt also auf die Bühne und verpasste Chris Rock live auf der Oscar-Bühne eine Ohrfeige. Als der zwar verdutzt war, aber noch nachwitzeln wollte, schrie Smith, wieder auf seinem Platz neben Jada sitzend und unter Verwendung von reichlich F-Wörtern, er solle den Namen seiner Frau nie mehr in den Mund nehmen. Ein Paukenschlag also, das haben die Oscars so auch noch nicht gesehen. Und als Will Smith später auf die Bühne zurückkehrte und dabei durchaus auch um Entschuldigung bat (beim Publikum, bei der Academy, aber nicht bei Christ Rock!), bekräftigte er in Anlehnung an den Film, für den er dann dort stand („King Richard“), eine Rolle als Beschützer seiner Familie. Was das ja wohl eindrücklich bewiesen wäre. Ohne Worte.
Die Favoritensiege
Mit jenem zweiten Auftritt holte sich Will Smith dann seinen ersten Oscar ab – und dankte dafür in einer tränenreichen Rede, in dem er vor allem über sich sprach und die Rolle, die Gott für ihn vorgesehen habe, voller Selbstergriffenheit also. Es war ein Favoritensieg für die Hauptrolle in „King Richard“– und davon gab es noch weitere. So gewann Jane Campion nach der Nominierung als erste Frau überhaupt in der Sparte dereinst für „Das Piano“nun mit „The Power oft the Dog“ihren Regie-Oscar. Man hätte meinen können, dass es das WesternDrama auch zum „Besten Film“schaffen würde, aber dazu gleich… Denn zunächst noch Erwartbares: Disney’s „Encanto“gewann bei den animierten Filmen, die MurakamiVerfilmung „Drive My Car“bei den fremdsprachigen – und „Dune“strich fast alle technischen Trophäen ein. Darunter auch…
Die deutschen Sieger
Zwei Deutsche waren nominiert, beide für „Dune“– und beide gewannen. Gerd Nefzer siegte mit Team bei Spezialeffekte, hatte aber bei bereits einlaufender Musik nur noch Zeit für den einen deutschen Moment, nachdem die Kollegen bereits zu viele Worte gefunden hatten. Er sagte: „Dankeschön, Thank You“– das war’s. Immerhin. Der zweite Preisträger hätte vielleicht mehr sagen dürfen, wenn er denn da gewesen wäre. Filmmusikkomponist Hans Zimmer nämlich gewann, war aber gar nicht erst angereist, ist derzeit auf Konzerttournee in Europa – und wollte nach vielen Nominierungen ohne Ehrung vielleicht auf ein solches Dacapo verzichten? 27 Jahre nach dem Goldjungen für „Der König der Löwen“aber: Hätte er diesen hier für dann vielleicht doch lieber persönlich übergeben bekommen? Auch wenn die Ehrungen der Bereiche abseits der Hauptkategorien denkbar knapp gehalten wurden – was bereits im Vorfeld durchaus für manche Verstimmung gesorgt hatte. Und apropos…
Die Politik
Sean Penn hatte im Vorfeld zum Boykott der Veranstaltung aufgerufen, falls dabei nicht über die Ukraine und deren Präsidenten Selinskij gesprochen werde. Die veranstaltende Academy beschränkte sich auf das absolute Minimum und bat per Text auf dem zentralen Videoschirm um einen Moment der Stille für die Menschen dort – im Übergang zu einer Werbepause … Die sonstigen Hinweise auf schwierige Zeiten bezogen sich eher auf Corona. Aber als die „Godfather“-Heroen dann im Trio auf die Bühne kamen, Francis Ford Coppola, Robert DeNiro und Al Pacino, sprachen die es immerhin aus: „Viva the Ukraine!“Ungesagt aber blieb das Wort Krieg an diesem Abend in Hollywood. Deutlich mehr Rede war von Diversität. Von Ariana DeBose, die gleich zu Beginn als beste Nebendarstellerin in „West Side Story“ausgezeichnet wurde, bis zu Jessica
Chastain, die gegen Ende den Preis als beste Hauptdarstellerin in „The Eyes of Tammy Faye“erhielt, ging es um gleiche Rechte und Möglichkeiten für queere Menschen, um die Anfeindungen, die diese stattdessen erlebten und die sie immer wieder in den Selbstmord trieben… Und dann war da auch noch der Hauptsieger:
Die Sensation
Denn nein, es sahnte eben nicht Jane Campion mit dem insgesamt ja zwölf Mal „The Power oft he Dog“auch noch den Hauptpreis ab. Und auch Kenneth Branagh ging zwar bei der achten Nominierung nun zum ersten Mal mit einem nach Hause (für das beste Original-Drehbuch zu „Belfast“) – aber ebenso wenig wie ihm wie Steven Spielberg („West Side Story“) gehörte der krönende Abschluss ihm. Es siegte doch relativ sensationell mit drei Preisen bei drei Nominierungen: „Coda“. Das Drama um eine sprechende und vor allem singende Tochter taubstummer Eltern schaffte es vom Independent Film auf die größte Bühne der Welt und zum Triumph. Nebendarsteller Troy Kotsur gewann, das Drehbuch wurde als bestes adaptiertes ausgezeichnet – und dann der ganze Film als bester! Gebärdensprache bei Dankesreden, ein Fokus auf die Lebensumstände gehandicapter Menschen und ein passend geräuschloser Applaus mit winkenden Händen – ein unerwarteter Höhepunkt dieser Oscars. Und auch die Präsentation des Hauptpreises war bereits durchaus anrührend, als die wie immer sofort sehr präsente Lady Gaga an der Seite einer gebrechlich wirkenden Liza Minelli auftrat. Die andere Seite des Entertainments, die menschliche, auf die sich Lady Gaga aber bei all ihrer Wucht doch auch versteht.
Das Pop‐Duell
Sängerinnen des Abends aber waren diesmal andere. Von Anfang an schien hier ein Duell der Gigantinnen des Gegenwarts-Pop heraufzudämmern. Denn die Show begann anmoderiert von den Schwestern Venus und Serena Williams mit dem Song zum Film ihres Lebens „King Richard“: „Be Alive“von Beyonce Knowles – mit großem Aufwand und starker Choreografie live vom Ort der Geschichte eingespielt, aus Compton. Und später trat dann Billie Eilish auf, samt Bruder Finneas und dem Bond-Song „No Time To Die“– in intimerem Rahmen und live auf der Bühne. Beide waren mit eben diesen Titeln ja auch als bester Film-Song nominiert. Und es siegte: Billie Eilish! Von der war freilich keine große Botschaft zu vernehmen. Mit 20 Jahren nun auch schon Oscar-Gewinnerin: Die war schlicht – „Oh! My! Gosh!“– überwältigt.
Die Botschaft?
Was bleibt von den Oscars 2022, ist auch etwas für die klassischen Filmstudios Alarmierendes. Denn die Dominanz der Streaminganbieter hat sich von der Nominierten- in die Siegerliste fortgesetzt. „Coda“ist von Apple, „The Power of the Dog“von Netflix, „Encanto“von Disney, bei „King Richard“steckt HBO mit drin… Die vor nicht wenigen Jahren noch akute Frage, ob solche Filme überhaupt hier nominiert und geehrt werden sollen, hat sich erledigt – durch Qualität.