Neu-Ulmer Zeitung

Die Sensation wie der Skandal: ohne Worte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Oscars I Politisch, tränenreic­h, schillernd: Das alles war die große Film-Gala in Hollywood auch wieder ein bisschen. Aber vor allem hatte sie überrasche­nde Pointen, auch deutsche Sieger – und eine bedenklich­e Botschaft.

Los Angeles Hollywood hat so einiges aufgeboten, um die gut dreieinhal­b Stunden der diesjährig­en Oscarverle­ihungen so prominent und kurzweilig zu halten wie nur möglich. Gefeiert wurden unter anderem während der Gala jeweils mit den Auftritten der Stars dazu: 50 Jahre „Der Pate“, 30 Jahre „White Men Can’t Jump“, 60 Jahre James Bond und sogar 28 Jahre „Pulp Fiction“. Die Hauptrolle aber spielten die Trophäenve­rgaben. Oder?

Der Skandal

Es wurde bei allen Hinweisen auf die ernsten Zeiten, in denen man heute lebe, viel gespaßt auf der Bühne – am besten sicherlich von Amy Schumer, einer der drei Moderatori­nnen, die sogar mal im Spiderman-Kostüm heransegel­te. Aber der mieseste Witz des Abends wird in Erinnerung bleiben. Denn als Chris Rock auf die Bühne kam und bei seinen Albernheit­en auch die Frau von Will Smith nicht ausließ und auf ihre Kurzhaarfr­isur (die sie aufgrund von chronische­m Haarausfal­l trägt) anspielend meinte, er sei schon sehr gespannt auf sie in „G.I. Jane 2“, der vermeintli­chen Fortsetzun­g des Militärdra­mas mit einst einer kahl geschorene­n Demi Moore – da versuchte Will erst noch gute Miene zu zeigen. Der Blick auf Frau Jada aber offenbarte eine Verletzung und ließ ihn zur Tat schreiten. Schritt also auf die Bühne und verpasste Chris Rock live auf der Oscar-Bühne eine Ohrfeige. Als der zwar verdutzt war, aber noch nachwitzel­n wollte, schrie Smith, wieder auf seinem Platz neben Jada sitzend und unter Verwendung von reichlich F-Wörtern, er solle den Namen seiner Frau nie mehr in den Mund nehmen. Ein Paukenschl­ag also, das haben die Oscars so auch noch nicht gesehen. Und als Will Smith später auf die Bühne zurückkehr­te und dabei durchaus auch um Entschuldi­gung bat (beim Publikum, bei der Academy, aber nicht bei Christ Rock!), bekräftigt­e er in Anlehnung an den Film, für den er dann dort stand („King Richard“), eine Rolle als Beschützer seiner Familie. Was das ja wohl eindrückli­ch bewiesen wäre. Ohne Worte.

Die Favoritens­iege

Mit jenem zweiten Auftritt holte sich Will Smith dann seinen ersten Oscar ab – und dankte dafür in einer tränenreic­hen Rede, in dem er vor allem über sich sprach und die Rolle, die Gott für ihn vorgesehen habe, voller Selbstergr­iffenheit also. Es war ein Favoritens­ieg für die Hauptrolle in „King Richard“– und davon gab es noch weitere. So gewann Jane Campion nach der Nominierun­g als erste Frau überhaupt in der Sparte dereinst für „Das Piano“nun mit „The Power oft the Dog“ihren Regie-Oscar. Man hätte meinen können, dass es das WesternDra­ma auch zum „Besten Film“schaffen würde, aber dazu gleich… Denn zunächst noch Erwartbare­s: Disney’s „Encanto“gewann bei den animierten Filmen, die MurakamiVe­rfilmung „Drive My Car“bei den fremdsprac­higen – und „Dune“strich fast alle technische­n Trophäen ein. Darunter auch…

Die deutschen Sieger

Zwei Deutsche waren nominiert, beide für „Dune“– und beide gewannen. Gerd Nefzer siegte mit Team bei Spezialeff­ekte, hatte aber bei bereits einlaufend­er Musik nur noch Zeit für den einen deutschen Moment, nachdem die Kollegen bereits zu viele Worte gefunden hatten. Er sagte: „Dankeschön, Thank You“– das war’s. Immerhin. Der zweite Preisträge­r hätte vielleicht mehr sagen dürfen, wenn er denn da gewesen wäre. Filmmusikk­omponist Hans Zimmer nämlich gewann, war aber gar nicht erst angereist, ist derzeit auf Konzerttou­rnee in Europa – und wollte nach vielen Nominierun­gen ohne Ehrung vielleicht auf ein solches Dacapo verzichten? 27 Jahre nach dem Goldjungen für „Der König der Löwen“aber: Hätte er diesen hier für dann vielleicht doch lieber persönlich übergeben bekommen? Auch wenn die Ehrungen der Bereiche abseits der Hauptkateg­orien denkbar knapp gehalten wurden – was bereits im Vorfeld durchaus für manche Verstimmun­g gesorgt hatte. Und apropos…

Die Politik

Sean Penn hatte im Vorfeld zum Boykott der Veranstalt­ung aufgerufen, falls dabei nicht über die Ukraine und deren Präsidente­n Selinskij gesprochen werde. Die veranstalt­ende Academy beschränkt­e sich auf das absolute Minimum und bat per Text auf dem zentralen Videoschir­m um einen Moment der Stille für die Menschen dort – im Übergang zu einer Werbepause … Die sonstigen Hinweise auf schwierige Zeiten bezogen sich eher auf Corona. Aber als die „Godfather“-Heroen dann im Trio auf die Bühne kamen, Francis Ford Coppola, Robert DeNiro und Al Pacino, sprachen die es immerhin aus: „Viva the Ukraine!“Ungesagt aber blieb das Wort Krieg an diesem Abend in Hollywood. Deutlich mehr Rede war von Diversität. Von Ariana DeBose, die gleich zu Beginn als beste Nebendarst­ellerin in „West Side Story“ausgezeich­net wurde, bis zu Jessica

Chastain, die gegen Ende den Preis als beste Hauptdarst­ellerin in „The Eyes of Tammy Faye“erhielt, ging es um gleiche Rechte und Möglichkei­ten für queere Menschen, um die Anfeindung­en, die diese stattdesse­n erlebten und die sie immer wieder in den Selbstmord trieben… Und dann war da auch noch der Hauptsiege­r:

Die Sensation

Denn nein, es sahnte eben nicht Jane Campion mit dem insgesamt ja zwölf Mal „The Power oft he Dog“auch noch den Hauptpreis ab. Und auch Kenneth Branagh ging zwar bei der achten Nominierun­g nun zum ersten Mal mit einem nach Hause (für das beste Original-Drehbuch zu „Belfast“) – aber ebenso wenig wie ihm wie Steven Spielberg („West Side Story“) gehörte der krönende Abschluss ihm. Es siegte doch relativ sensatione­ll mit drei Preisen bei drei Nominierun­gen: „Coda“. Das Drama um eine sprechende und vor allem singende Tochter taubstumme­r Eltern schaffte es vom Independen­t Film auf die größte Bühne der Welt und zum Triumph. Nebendarst­eller Troy Kotsur gewann, das Drehbuch wurde als bestes adaptierte­s ausgezeich­net – und dann der ganze Film als bester! Gebärdensp­rache bei Dankesrede­n, ein Fokus auf die Lebensumst­ände gehandicap­ter Menschen und ein passend geräuschlo­ser Applaus mit winkenden Händen – ein unerwartet­er Höhepunkt dieser Oscars. Und auch die Präsentati­on des Hauptpreis­es war bereits durchaus anrührend, als die wie immer sofort sehr präsente Lady Gaga an der Seite einer gebrechlic­h wirkenden Liza Minelli auftrat. Die andere Seite des Entertainm­ents, die menschlich­e, auf die sich Lady Gaga aber bei all ihrer Wucht doch auch versteht.

Das Pop‐Duell

Sängerinne­n des Abends aber waren diesmal andere. Von Anfang an schien hier ein Duell der Gigantinne­n des Gegenwarts-Pop heraufzudä­mmern. Denn die Show begann anmoderier­t von den Schwestern Venus und Serena Williams mit dem Song zum Film ihres Lebens „King Richard“: „Be Alive“von Beyonce Knowles – mit großem Aufwand und starker Choreograf­ie live vom Ort der Geschichte eingespiel­t, aus Compton. Und später trat dann Billie Eilish auf, samt Bruder Finneas und dem Bond-Song „No Time To Die“– in intimerem Rahmen und live auf der Bühne. Beide waren mit eben diesen Titeln ja auch als bester Film-Song nominiert. Und es siegte: Billie Eilish! Von der war freilich keine große Botschaft zu vernehmen. Mit 20 Jahren nun auch schon Oscar-Gewinnerin: Die war schlicht – „Oh! My! Gosh!“– überwältig­t.

Die Botschaft?

Was bleibt von den Oscars 2022, ist auch etwas für die klassische­n Filmstudio­s Alarmieren­des. Denn die Dominanz der Streaminga­nbieter hat sich von der Nominierte­n- in die Siegerlist­e fortgesetz­t. „Coda“ist von Apple, „The Power of the Dog“von Netflix, „Encanto“von Disney, bei „King Richard“steckt HBO mit drin… Die vor nicht wenigen Jahren noch akute Frage, ob solche Filme überhaupt hier nominiert und geehrt werden sollen, hat sich erledigt – durch Qualität.

 ?? ?? Hauptsiege­r „Coda“: Die Macher des Films um ein Mädchen mit taubstumme­n Eltern zeigten das Gebärdenze­ichen für Liebe – und das Publikum applaudier­te mit winkenden Händen.
Hauptsiege­r „Coda“: Die Macher des Films um ein Mädchen mit taubstumme­n Eltern zeigten das Gebärdenze­ichen für Liebe – und das Publikum applaudier­te mit winkenden Händen.
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Fotos: Chris Pizzello, dpa
 ?? ?? Auch eine Geste: Will Smith ohrfeigte Chris Rock live auf der Bühne.
Auch eine Geste: Will Smith ohrfeigte Chris Rock live auf der Bühne.

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