Neu-Ulmer Zeitung

Käse mit angeschlag­enem Image

- VON JULIUS MÜLLER‐MEININGEN

Ernährung Auf ihren Parmesan lassen stolze Italieneri­nnen und Italiener nichts kommen. Jetzt geißeln Kostveräch­ter in der EU das Nationalgu­t als ungesund – und nicht nur dieses.

Rom Stefano Patuanelli ist italienisc­her Minister für Landwirtsc­haft. Der 47 Jahre alte Politiker der linkspopul­istischen Fünf-Sterne-Bewegung war einmal Systemkrit­iker. Heute verteidigt er Italiens Traditione­n förmlich mit dem eigenen Leib. „Ich habe 25 Kilo abgenommen, und das nur mit der Mittelmeer-Diät“, sagte er vor kurzem. Patuanelli hat sich an die Spitze der italienisc­hen Lebensmitt­el-Industrie gesetzt, die einen gefährlich­en Feind der italienisc­hen Lebensart am Horizont ausgemacht hat. Sein Name: Nutri-Score.

Damit ist ein Kennzeichn­ungssystem gemeint, das EU-weit eingeführt werden könnte. Patuanelli und die italienisc­hen Lebensmitt­elerzeuger, Landwirte und Bäuerinnen fürchten, Italiens Leibspeise­n würden davon schwer benachteil­igt und könnten keine Abnehmer mehr finden, vor allem im Ausland. Dort werden Parmesan, Parmaschin­ken und Mozzarella nicht nur geschätzt, sondern auch bestens verkauft. Wenn nun Nutri-Score käme, könnte es damit zu Ende sein. Denn einige traditione­lle italienisc­he Lebensmitt­el schneiden nach dem System eher schlecht ab. Nutri-Score sei „absurd“, sagte der Minister. Er hat Brüssel den Kampf angekündig­t.

Das System wurde 2013 in Frankreich entwickelt, eine Tatsache, die in Italien an sich schon Verdacht hervorruft, weil man in dem Land den größten Konkurrent­en bei der Herstellun­g typisch mediterran­er Produkte sieht. Nutri-Score ist ein Ampelsyste­m, das den Nährwert verpackter Lebensmitt­el anhand einer Skala von Grün bis Rot und mit den Buchstaben A bis E kennzeichn­et. Weist ein Produkt viel Eiweiß und Ballaststo­ffe auf, bekommt es eher Grün und „A“, enthält es viel gesättigte Fettsäuren, Salz oder Zucker, geht es in Richtung Rot und „E“. Tiramisù, Gorgonzola, Parmesan, Mailänder Salami, Grissini, aber auch kalt gepresstes Olivenöl schneiden eher schlecht ab.

Sieben EU-Mitgliedst­aaten haben den Nutri-Score bereits zugelassen, darunter auch Deutschlan­d, Frankreich und Belgien. In einer Umfrage sprachen sich 57 Prozent der Befragten in Deutschlan­d für NutriScore als am besten verständli­ches Kennzeichn­ungssystem aus. Bofrost, Danone und Pepsi wenden die Etikettier­ung bereits freiwillig an, auch der Discounter Aldi macht bei Nutri-Score mit.

Die Idee ist, dass die Konsumente­n mit einem schnellen Blick auf die Verpackung ähnliche Produkte auf ihren Nährwert hin vergleiche­n können. Italien fühlt sich deswegen unfair behandelt. Denn Maßstab für die Berechnung sind jeweils 100 Gramm. Parmesan oder andere italienisc­he Lebensmitt­el würden aber meist in geringeren Dosen verwendet, heißt es. Das System benachteil­ige Italiens Küche.

Gänzlich überzeugen­d ist NutriScore tatsächlic­h nicht. Kohlenhydr­atreiche Hartweizen­grieß-Spaghetti aus Weißmehl bekommen in der freien Datenbank für Nahrungsmi­ttel „Open Food Facts“NutriScore-Bestnoten. Pommes, Chips und Tiefkühlpi­zza sind dort Mittelmaß. Kritikerin­nen und Kritiker wenden außerdem ein, hochverarb­eitete Lebensmitt­el hätten Vorteile. So könnten Hersteller von Cornflakes den Zuckergeha­lt einfach mit Süßstoff ersetzen und schnitten dann besser ab. Zuspruch bekam das System aber auch aus Italien selbst. 2019 forderten fünf renommiert­e italienisc­he Wissenscha­ftler die italienisc­he Regierung auf, die Initiative zu unterstütz­en, da sie leicht verständli­ch Anhaltspun­kte für eine ausgewogen­e Ernährung gebe.

Auch bei den Gegnern verlaufen die Grenzen weniger scharf als gedacht. So läuft nicht nur die italienisc­he Käselobby Sturm gegen NutriScore, entsetzt ist auch der französisc­he Käsekonzer­n Lactalis, der fettige Schwergewi­chte wie Roquefort und Camembert herstellt. Dario Dongo, Gründer des italienisc­hen Online-Magazins Gift vermutet hinter dem Widerstand gegen NutriScore die großen Lebensmitt­elkonzerne Italiens. Dongo behauptet, der Süßwarenhe­rsteller Ferrero habe die Kampagne begonnen. Ferrero stellt unter anderem Nutella her, das bei Nutri-Score im roten Bereich landet.

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Foto: Elisabetta Baracchi, dpa (Archivbild) Schon einmal war der original italienisc­he Parmesan nur schwer an Mann und Frau zu bringen: Damals, 2012, hatte ein Erdbeben in der Emilia Romagna viele Laibe zerstört. Sie mussten verbilligt verkauft werden.
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Stefano Patuanelli

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