Neu-Ulmer Zeitung

„Fußball ist keine Mathematik“

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Interview Nationalhe­iligtum Darko Pancev hofft auf eine WM-Teilnahme der Nordmazedo­nier. Nach der Sensation gegen Italien scheint auch gegen Portugal alles möglich.

Herr Pancev, die Nationalma­nnschaft hat mit ihrem sensatione­llen Sieg in Palermo für reichlich Furore gesorgt. Ist anschließe­nd in Ihrem Café-Restaurant „9“reichlich „MastikaSch­naps“geflossen?

Darko Pancev: (schmunzeln­d) Klar war die Euphoriewe­lle in Skopje und Umgebung riesig. Die Leute sind mit Nationalfl­aggen auf die Straßen gegangen und ließen ihrer Freude freien Lauf. Es kommt auch nicht oft vor, dass man den amtierende­n Europameis­ter und viermalige­n Weltmeiste­r um eine WM-Teilnahme bringt und das noch, obwohl die squadra azzurra vor heimischer Kulisse gespielt hat.

Der Fußball hat am letzten Donnerstag den Italienern sein grausames Gesicht gezeigt. Während der Gastgeber 32 Torabschlü­sse und 16 Eckbälle verzeichne­te, kam das Team von Blagoja Milevski lediglich zu vier Abschlüsse­n, ohne nur einen einzigen Eckball ausgeführt zu haben. Meinte es etwa der Fußballgot­t zu gut mit Nordmazedo­nien?

Pancev: Zum Glück ist Fußball nicht immer Mathematik und schreibt seit Jahrzehnte­n die verrücktes­ten Geschichte­n, weswegen er auch so eine gewaltige Anziehungs­kraft hat. Natürlich war Italien das klar dominieren­de Team. Es hat uns quasi überrollt, ohne jedoch zum Sieg zu gelangen. Man darf hier die Einstellun­g und kollektive Aufopferun­gsbereitsc­haft unserer Mannschaft nicht außer Acht lassen. Sie haben die Italiener regelrecht zur Verzweiflu­ng getrieben.

Arrigo Sacchi schrieb in seiner Kolumne in der „Gazzetta dello sport“, dass die Misere des italienisc­hen Fußballs ihre Anfänge schon vor über zehn Jahren genommen hat. Teilen Sie die Ansicht des ehemaligen AC-MailandTra­iners?

Pancev: Wie könnte ich einer Koryphäe wie Sacchi widersprec­hen (lächelt). Ich werde seit vielen Jahren nicht müde zu wiederhole­n, dass sich der „calcio“in einer Abwärtsspi­rale bewegt. Der letzte internatio­nale Erfolg einer italienisc­hen Mannschaft war der ChampionsL­eague-Titel von meinem Ex-Klub Inter Mailand im Jahr 2010. In den 1980er und 1990er Jahren war die Serie A die begehrtest­e Liga Europas. Das ist seit vielen Jahren nicht mehr der Fall. Hinzu kommt, dass die Nachwuchsa­rbeit in den Vereinen eine schlechte Entwicklun­g genommen hat, nachdem dort sehr viele und eher durchschni­ttliche ausländisc­he Jugendlich­e angeheuert werden, was sich wiederum kontraprod­uktiv auf die italienisc­hen Talente auswirkt. Insofern betrachte ich den EM-Erfolg Italiens als singuläre Ausnahme, die auf die Homogenitä­t und Kompakthei­t des Teams zurückzufü­hren ist. Del Piero, Baggio oder Totti hat Italien jedenfalls nicht mehr vorzuweise­n.

Jahrelang war Rekordnati­onalspiele­r Goran Pandev der Eckpfeiler in der nordmazedo­nischen Fußball-Auswahl. Kann es sein, dass sein Karriereen­de positive Nebeneffek­te in den Reihen der Nationalma­nnschaft ausgelöst hat?

Pancev: Die Verdienste von Goran Pandev für den nordmazedo­nischen Fußball sind unumstritt­en. Man darf nicht vergessen, dass er uns mit seinem Treffer im Play-off-Spiel gegen Georgien zur Europameis­terschaft geschossen hat. Allerdings haben wir mal mit ihm auch gegen Andorra verloren. Ich habe aber entnommen, dass nach seinem Abgang Spieler wie Elmas, Bardhi oder Ademi sich noch mehr entfalten können, was sehr förderlich für das Mannschaft­sbild ist.

Wie bewerten Sie den Beitrag von Nationalco­ach Blagoja Milevski, der nach der EM Igor Angelovski beerbt hat?

Pancev: Wenn ich Verbandspr­äsident wäre, würde ich sofort seinen Vertrag um weitere vier Jahre verlängern. Ich bin von seiner Arbeit und seinem Konzept sehr angetan, zumal er zuvor auch im Nachwuchsb­ereich hervorrage­nde Arbeit geleistet hat. Für mich ist er der beste Nationaltr­ainer, den wir bis dato auf der Bank gehabt haben.

Werden seine Motivation­skünste ausreichen, um am Dienstag im „Estadio do Dragao“gegen den Ansturm von Ronaldo & Co zu bestehen?

Pancev: Das wird wieder eine Schlacht, jedoch ist der Schwierigk­eitsgrad diesmal etwas höher. Portugal hat vier, fünf Weltklasse­spieler und einen sehr erfahrenen Trainer. Aber, wie bereits erwähnt, geschehen im Fußball immer wieder Wunder. Wir müssen nur daran glauben und das Maximum dafür geben! Unabhängig vom Ausgang verdient dieses Team aufgrund seiner bisherigen Leistungen den höchsten Respekt und hat noch eine große Zukunft vor sich.

Interview: Dimitri Dimoulas

Darko Pancev galt Ende der 1980er Jahre als einer der torgefährl­ichs‐ ten Stürmer in Europa. 1991 avan‐ cierte er zum besten Torschütze­n Europas. Im selben Jahr holte er mit Roter Stern Belgrad 1991 so‐ gar Europapo‐ kal der Landes‐ meister. Nach dem Zerfall Jugo‐ slawiens folg‐ ten Stationen bei Inter Mailand,

VfB Leipzig und Fortuna Düsseldorf. Heute betreibt der 56‐jährige Nordmazedo­nier ein Cafe‐Restaurant in seiner Heimat‐ stadt Skopje.

 ?? Foto: Imago Images ?? Darko Pancev gewann mit Roter Stern Belgrad 1991 den Europapoka­l der Landesmeis­ter. Im Halbfinale schaltete der jugoslawi‐ sche Meister den FC Bayern (im Bild: Hansi Pflügler) aus.
Foto: Imago Images Darko Pancev gewann mit Roter Stern Belgrad 1991 den Europapoka­l der Landesmeis­ter. Im Halbfinale schaltete der jugoslawi‐ sche Meister den FC Bayern (im Bild: Hansi Pflügler) aus.
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