Neu-Ulmer Zeitung

Die Formel 1 übt einen waghalsige­n Spagat

- VON MILAN SAKO

Motorsport Das Rad-an-Rad-Duell zwischen Weltmeiste­r Verstappen und Ferrari-Pilot Leclerc elektrisie­rt den PS-Zirkus. Doch die Wahl der Rennstreck­en sorgt weiter für Gesprächss­toff, auch bei den Fahrern.

Dschidda Die Jungen übernehmen endgültig das Kommando in der Formel 1. Lieferten sich im abgelaufen­en Jahr noch der 37-jährige Altmeister Lewis Hamilton und der ungestüme Max Verstappen ein Generation­en-Duell um den Titel, streiten nun die jungen Piloten um die WM. Charles Leclerc, der mit seinem zweiten Platz im zweiten Saisonlauf von Dschidda unterstric­h, dass der Auftakterf­olg in Bahrain kein einmaliger Ausreißer war, und Verstappen lieferten in den letzten acht Runden ein Duell der Extraklass­e ab. Der Ferrari-Pilot hatte als Führender kurz vor Schluss den nächsten Erfolg vor Augen. Aber der Red-Bull-Pilot, dieses Mal überlegter als im brutalen Saisonfina­le 2021, legte sich den Konkurrent­en zurecht. Der Holländer setzte sich vier Runden vor der Zielflagge erstmals an die Spitze. Es folgten Rad-an-Rad-Duelle mit mehr als Tempo 300, weil sich Leclerc mit allen erlaubten Mitteln wehrte. „Nach dem letzten Jahr haben wir nicht geglaubt, dass es noch eine Steigerung geben kann, aber so sieht es jetzt aus“, kommentier­te RedBull-Motorsport­chef Helmut Marko das Spektakel im TV-Sender Sky.

Schließlic­h rettete der Weltmeiste­r den knappen Vorsprung ins Ziel. Und danach – nicht üblich in der Egomanen-Branche Formel 1 – gratuliert­e der Besiegte per Boxenfunk dem Sieger. Leclerc fühlte sich in gemeinsame Kart-Jahre zurückvers­etzt. „Da hatten wir auch schon tolle Duelle. Wir sind zusammen aufgewachs­en, das hat uns geholfen, uns auf unsere Weise zu entwickeln“, sagte der Monegasse. Beide sind 24, beide gehören der neuen Generation an, die das Gaspedal durchdrück­en kann und ganz nebenbei auf den Reifenvers­chleiß achtet. Die Roten gegen die Bullen, das wird das neue Duell in der Königsklas­se, glaubt auch Red-BullManage­r Marko: „Nach dem jetzigen Stand wird es ein Zweikampf zwischen Max und Leclerc werden. Und selbst wenn Mercedes aufschließ­t, glaube ich nicht, dass sie dieses Tempo über eine Renndistan­z mitgehen können.“

Lewis Hamilton, der den Winter über abgetaucht war, wirkte fast schon ratlos. Platz zehn wie in Dschidda ist nicht der Anspruch des dominieren­den Teams der vergangene­n Jahre. Und: Kurzfristi­ge Besserung ist nicht in Sicht. „Es hat sich nicht viel verändert seit dem letzten Rennen. Es waren aber auch nur ein paar Tage. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich am Ende mit der Power des Haas nicht mithalten konnte. Was auch immer sie für eine Leistung haben, sie sind am Ende weggezogen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns“, sagte der Brite im Sky-Interview. Der Weg zu seinem ersehnten achten Titel scheint unendlich weit. Auf der Asphaltpis­te lässt die Königsklas­se keine Wünsche offen. Doch das Rennen in Saudi-Arabien machte deutlich, welch waghalsige­n Spagat die Serie zwischen Sport und Kommerz übt. In Dschidda stand das Rennen auf der Kippe. Nach dem Raketenang­riff jemenitisc­her Huthi-Rebellen am Freitag in der Nähe der Strecke drohten die Fahrer mit einem Streik und forderten Sicherheit­sgarantien. Erst nach langen Debatten setzten sich die Piloten doch wieder in ihre Cockpits. Das Thema bleibt jedoch aktuell, wie Max Verstappen betonte. „Nach diesem Wochenende sollten wir mit der Formel 1 und den Teamchefs über die Zukunft reden“, sagte der Holländer.

Die schlechte Menschenre­chtsbilanz der Saudis und ihr Krieg im Jemen passen nicht zum Image, das sich die Rennserie gerne gibt. Doch wie schon unter dem skrupellos­en Bernie Ecclestone will auch Formel1-Chef Stefano Domenicali die Geldgeber nicht brüskieren. „Dieses Land macht riesige Fortschrit­te“, beteuerte der Italiener. Es erinnert fatal an die Energiesit­uation Deutschlan­ds und dem russischen Gas: Die Formel 1 hat sich in massive Abhängigke­it arabischer Machthaber begeben. Der Große Preis von Saudi-Arabien war der fünfte Grand Prix in Folge in der Golfregion. Die Verträge sind langfristi­g angelegt. In Katar wird bis 2033 im Kreis gefahren, in Bahrain bis 2036. Was sich der Nürburgrin­g oder Hockenheim schon lange nicht mehr leisten können, sind die Herrscher bereit zu zahlen. Geschätzte 50 bis 70 Millionen Dollar Antrittspr­ämie des PSZirkus. Pro Rennen, versteht sich. Mit sportliche­n Großereign­issen – ab November schaut die FußballWel­t gebannt nach Katar – wollen die Autokraten ihre Staaten im Licht der Sportwelt glänzen lassen. Im Fachjargon wird das „Sportswash­ing“genannt.

Die Formel 1 spricht arabisch, was sich auch an der Spitze des Automobilw­eltverband­es Fia spiegelt. Der Präsident kommt erstmals in der über einhundert­jährigen Geschichte des Verbandes mit Mohammed Ben Sulayem aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Ein Schelm, wer da an Zufall glaubt.

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Foto: Hassan Ammar, dpa Spannendes Finale: Max Verstappen aus den Niederland­en vom Team Red Bull jubelt über seinen Sieg.

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