Neu-Ulmer Zeitung

Paris zum Gruseln

- VON BIRGIT HOLZER

Frankreich Unsere Korrespond­entin hat einen Städteführ­er geschriebe­n. Und darin geht es auch um einen Besuch in den Katakomben.

„Bleib stehen! Hier ist das Reich des Todes.“Ich stocke kurz, als ich die Aufschrift an einer Steinmauer lese. Und da will ich wirklich hin? Aber kneifen gilt nicht mehr, jetzt, wo ich bereits in der Schlange angestande­n habe und 130 Treppenstu­fen hinabgesti­egen bin, 20 Meter in die Tiefe. Also rein in das „Reich des Todes“, wie sich die Katakomben von Paris nennen – und ich bin ja nicht alleine, sondern in der Gesellscha­ft anderer Besucherin­nen und Besucher und der Kunsthisto­rikerin Trâm. Sie wird uns ja hoffentlic­h sicher durch den knapp zwei Kilometer langen Bereich bringen, der öffentlich zugänglich ist. Eigentlich handelt es sich um ein rund 300 Kilometer langes System aus labyrinthi­sch verschlung­enen Gängen und finsteren Räumen, in denen illegal hinabgesti­egene „Kataphile“Partys feiern und sich manchmal auch verirren – ein lebensgefä­hrlicher Spaß.

Mir ist der offizielle Teil gruselig genug. Die Luft ist kühl und abgestande­n und das Licht schummerig. Ich höre nicht nur jeden meiner Schritte, sondern auch das dumpfe Nachhallen. Weit weg scheint der Trubel der französisc­hen Metropole jetzt. In einer anderen Welt, der oberirdisc­hen. In einer anderen Zeit, der Zeit der Lebenden. Hier unten lagern hingegen die Gebeine von sechs bis sieben Millionen Menschen. Ordentlich sind ihre Knochen und Schädel entlang der schmalen Gänge aufgereiht, dahinter liegt alles kreuz und quer. Religiöse Inschrifte­n erinnern an die Vergänglic­hkeit des Lebens. Algen und Schimmelpi­lze ziehen sich über die schmierige­n Wände; die Luftfeucht­igkeit liegt bei 70 Prozent. Das unterirdis­che Paris wird gerne mit einem Emmentaler verglichen:

Ein dicker Laib mit großen Löchern.

In den unzugängli­chen Arealen liegen die Kanalisati­on, U-BahnSchäch­te und die Versorgung­sleitungen. Doch es gab auch schon andere Verwendung­smöglichke­iten. Anfang des letzten Jahrhunder­ts nutzten sie Winzer als Weinkeller und Anwohnerin­nen und Anwohner zum Anbau von Pilzen. Im Zweiten Weltkrieg diente der Untergrund Widerstand­skämpfern als Versteck.

Der Ursprung der Katakomben fällt mit dem von Paris zusammen: Zum Bau der Stadt wurde der so typische Kalkstein aus der Tiefe hervorgeho­lt, zunächst in offenen Steinbrüch­en, ab dem 13. Jahrhunder­t erfolgte der Abbau nur noch unter Tage. Die fortschrei­tende Unterhöhlu­ng führte aber nicht nur zu Sorgen der Bevölkerun­g, sondern auch zu tödlichen Unfällen. Da zugleich die völlig überfüllte­n Friedhöfe der Stadt zu einem hygienisch­en Problem wurden, schloss man diese und verlegte bis Mitte des 19. Jahrhunder­ts Millionen Skelette unter die Erde. Und da liegen sie noch immer – sollten nicht Besucherin­nen und Besucher versuchen, einen Knochen als Souvenir mitzunehme­n. Weil dies immer wieder passiert, müssen am Ausgang alle ihre Taschen öffnen. Meine ist natürlich leer geblieben: Die Gebeine lasse ich lieber an ihrem Ruheort. Die morbide Atmosphäre zu erleben, ist eindrucksv­oll, aber als es wieder hinauf und zurück ins pralle Pariser Leben geht, spüre ich Erleichter­ung: Da oben mag die Luft nicht sehr sauber sein; aber sie ist herrlich frisch!

Die Katakomben 1 Avenue du Colo‐ nel Henri Rol‐Tanguy Metro 4/6 Den‐ fert‐Rochereau, RER B Denfert‐Roche‐ reau, catacombes.paris.fr, Dienstag bis Sonntag 9.45 bis 20.30 Uhr

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Foto: Dirk Wenzel, stock.adobe.com Millionen Bürgerinne­n und Bürger von Paris haben in den Katakomben ihre letzte Ruhe gefunden. Doch manchmal kommen Touristen.

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