Seniorin muss Hundetrainer engagieren
Prozess Eine 84-Jährige steht vor Gericht, weil ihr Hund in Senden eine Passantin gebissen hat.
Neu‐Ulm/Senden Wie lässt sich sicherstellen, dass ein Hund keine fremden Menschen mehr beißt, wenn es trotz Leinenpflicht und Maulkorbzwang zu einer weiteren Attacke kam? Wie bestraft man die 84 Jahre alte Halterin, die die Vorgaben missachtet hat, aber inständig darum bittet, ihr den Hund nicht wegzunehmen? Mit diesen Fragen hat sich das Amtsgericht Neu-Ulm am Montag befasst, nachdem schon zwei Geldstrafen offenbar keine Wirkung gezeigt haben. Das Alter sei kein Hinderungsgrund für eine Haftstrafe, sagte Strafrichter Thorsten Tolkmitt drohend. Schließlich seien bei fahrlässiger Körperverletzung auch Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren möglich. Doch so weit ging er am Ende nicht.
Schon mehrfach war das Haustier der Seniorin negativ aufgefallen, allein vier Bissattacken auf andere Personen im Jahr 2018 sind in den Akten vermerkt. Wegen dieser Vorfälle hatte die Stadt Senden eine Leinenpflicht und einen Maulkorbzwang für die Mischlingshündin angeordnet. Doch an einem Freitag im September 2021 trug das Tier den Maulkorb nicht, als es vor dem Haus, in dem die Seniorin wohnt, auf eine Passantin zurannte und dieser mindestens zweimal in die Beine biss. Die Geschädigte erlitt eine tiefe Wunde im rechten Knöchelbereich sowie mehrere Hautabschürfungen am linken Unterschenkel.
Sofort räumte die 84-Jährige die Vorwürfe gegen sie ein: Sie habe ihre Hündin von der Leine gelassen und ihr den Maulkorb abgenommen, weil sie vom Gassigehen zurückkamen und schon kurz vor der Haustür gewesen seien, erzählte die Seniorin, die zum ersten Mal als Angeklagte in einem Gerichtssaal saß. Sie gab auch zu, dass sie eigentlich strenger mit dem Tier sein müsste und als „Rudelführerin“nicht so ganz geeignet sei.
Vor fünf Jahren hat die verwitwete Frau nach eigenen Angaben ihr „Hundle“vom Ulmer Tierheim übernommen. Es sei ein Straßenhund, mutmaßlich aus Rumänien, gewesen. Im Grunde sei es ein großer Dackel, mit 30 Zentimetern Stockmaß und einem Gewicht von 16 Kilogramm. Ihr Begleiter liege ihr sehr am Herzen, berichtete die Angeklagte. „Ich bin froh, dass ich ihn in der schweren Zeit gehabt habe.“Die Frau erlebte einen sehr schmerzhaften Verlust: Ihre Tochter starb. Ihr Sohn sei der Ansicht, dass sie den Hund brauche, sagte sie. Sie wolle ihn auch unbedingt behalten, fügte die Seniorin hinzu.
Zwei Geldstrafen in Höhe von 300 und 1000 Euro musste die Angeklagte bereits bezahlen, weil der Vierbeiner andere Hundehalterinnen im Sendener Stadtpark und eine Passantin vor einem Drogeriemarkt gebissen hatte. Die Geschädigten erhielten auch ein Schmerzensgeld von der Versicherung. Dreimal sei sie mit dem Tier auch in der Hundeschule gewesen, doch das habe am Verhalten nichts geändert, berichtete die 84-Jährige. Die Geschädigte des jüngsten Vorfalls schilderte in der Verhandlung, dass sie mit einer solchen Attacke überhaupt nicht gerechnet habe. „Wenn ich den Hund sehe, würde ich nicht daran denken, dass von ihm eine Gefahr ausgeht.“
Ein Hundeführer der Polizei Neu-Ulm begutachtete die Mischlingshündin im Oktober 2021. „Ich denke, sie kann keinen Erwachsenen lebensgefährlich verletzten“, sagte der Beamte, der als Zeuge geladen war. Bei einem Kleinkind wäre die Sache aber anders. „Der Hund gehört immer angeleint“, sagte der Polizist. Und ein geeigneter Maulkorb könne Beißvorfälle um bis zu 90 Prozent reduzieren.
Staatsanwältin Bernadette Högel hielt die letztmalige Ansetzung einer Geldstrafe für angemessen, um die Halterin an ihre Pflichten zu erinnern. Der Geschädigten zufolge hatte sich die Seniorin seit dem letzten Vorfall wohl an die Auflagen gehalten. Sie berichtete, das Tier seither hin und wieder gesehen zu haben.
Richter Tolkmitt war der Ansicht, dass man der Frau den Hund nicht wegnehmen müsse. Aber sie brauche einen Hundetrainer. Binnen sechs Monaten muss sie dem Gericht nachweisen, dass sie auf eigene Kosten ein Tierverhaltenstraining in Anspruch nimmt. Kommt sie dem nicht nach, muss sie eine Geldstrafe in Höhe von 2400 Euro zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.