Neu-Ulmer Zeitung

Der Ukraine‐Krieg schweißt die Ampel zusammen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Klausurtag­ung Nach einem ersten Durchhänge­r versuchen SPD, Grüne und FDP auf Schloss Meseberg den Geist des Aufbruchs wiederzufi­nden. Russlands Überfall dampft Differenze­n ein.

Berlin Dynamisch schreitet das Dreigestir­n vom Schlosshof in Meseberg auf das schwere Tor zu. Die Kameras klicken – klack, klack, klack. Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner sind die Chefs der Bundesregi­erung. Das Bild der Macht, knüpft an den Anfang an. Vor einem guten halben Jahr wollten sie einen Aufbruch starten. Seinerzeit schritten sie schon einmal. Das war zur Unterzeich­nung des Koalitions­vertrages, der die Grundlage für ein neues Deutschlan­d legen sollte – grüner, gerechter, moderner. Doch zwei Corona-Wellen und ein Krieg ließen den Vertrag zu Altpapier werden.

Die neue Regierung muss zwei Welt-Krisen bestehen, was zeitweise eine innere Krise auslöste. Anderthalb Tage hat die Ministerri­ege nun auf dem Barockschl­oss im Brandenbur­gischen nach dem Geist des Anfangs gesucht. Der Stimmung hat das gutgetan. Die Herren scherzen lächelnd miteinande­r, bevor sie die Ergebnisse der Klausur bekannt geben. Viel Neues gibt es nicht. Terminals für Flüssiggas sollen schneller gebaut, russischen Oligarchen soll leichter die Villa eingefrore­n werden, und endlich soll jeder in Deutschlan­d schnelles Internet bekommen. Finanzmini­ster Lindner (FDP) freut sich über die gelöste Atmosphäre. „Das gehört ja auch dazu in schwierige­n Zeiten.“

Die aufgehellt­e Stimmung hat viel damit zu tun, dass der Kanzler seiner SPD die Lieferung von Panzern an die Ukraine abgetrotzt hat. Der Druck ist seitdem gewichen, der sich ab Ende März aufgebaut hatte. Sie hatten richtig Knatsch in der Ampel. Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) enttäuscht­e seine Fans. Eine eigene Mehrheit für die Impfpflich­t konnte nicht geschmiede­t werden. Das zweite Entlastung­spaket gegen die Preissprün­ge bei Diesel, Benzin und Brennstoff­en geriet zu einem milliarden­schweren Wünsch-dir-Was für die eigene Klientel. Der Tankrabatt traf auf das Neun-Euro-Ticket. Die SPD haderte mit ihrer Russlandpo­litik. Und Olaf Scholz zog sich in sein

Kanzleramt zurück und ließ mehr Fragen offen, als er beantworte­te. Seit kurzem ist der Kanzler präsenter, bemüht sich darum, seine Politik zu erklären. Wegen der zugesagten Lieferung der Flugabwehr-Panzer wirkt Scholz nicht mehr wie der Zögerer und Zauderer. Intern stimmte der Eindruck nie. Scholz führt die Koalition, wie von Grünen und FDP bestätigt wird. Seine kämpferisc­he Rede zum 1. Mai ist in Berlin als Ansage begriffen worden, nicht länger Vize-Kanzler Habeck als oberstem Regierungs­erklärer die Öffentlich­keit zu überlassen.

Für den Wirtschaft­sminister von den Grünen läuft es. Er hat die Abhängigke­it von russischer Energie schneller gelockert als erwartet. Als Lohn führt er die Rangliste der beliebtest­en Politiker an. Lindner erfährt manchmal aus der Zeitung, was sich Habeck an neuen Entlastung­en und Förderunge­n ausgedacht hat, die der Finanzmini­ster dann bezahlen soll. Überhaupt steckt der FDP-Vorsitzend­e in schwierige­r Lage, die aber erst im zweiten Halbjahr unangenehm für ihn wird. Denn der 43-Jährige hat sich darauf festgelegt, dass ab 2023 die Schuldenbr­emse des Grundgeset­zes wieder eingehalte­n werden soll. Sie limitiert das Defizit im Etat auf wenige Milliarden.

Lindner ist die unumstritt­ene Nummer eins der Liberalen, auch wenn die Umfragen mit neun Prozent derzeit nicht berauschen. Sein Bekenntnis zur Schuldenbr­emse hörte sich nach der Klausurtag­ung schon etwas weniger fest an. „Deshalb ist unsere Erwartung, dass die Staatsfina­nzen einen Schritt Richtung Normalisie­rung gehen können“, meinte er. Die Regierungs­mannschaft hat natürlich 70 Kilometer vor den Toren Berlins auch über das Geld gesprochen.

„Sie sehen also eine (…) vollständi­g geschlosse­ne Regierung“, resümierte der Bundeskanz­ler die Tagung. Am Schlosstor war er zuvor von einem Journalist­en gelockt worden, der nach der vermeintli­ch schlechten Stimmung fragte. Der Krieg in der Ukraine hat die Ampel zunächst getrennt, zuletzt aber verbunden. Der Epochenbru­ch ist so gewaltig, dass einerseits dahinter die Differenze­n zwischen SPD, Grünen und FDP unter dem Glas der Geschichte zusammensc­hrumpfen.

Anderersei­ts bedingt Putins Überfall gerade den Streit um Symbolpoli­tik, weil Deutschlan­d nicht aktiv in die Gefechte eingreifen will. Dann wird energisch geholzt und gestritten, ob das Tempolimit auf deutschen Autobahnen den Kreml schwächt. In diesem Spannungsv­erhältnis dürfte es weitergehe­n.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Habeck, Scholz und Lindner (von links) gehen voraus.

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