Neu-Ulmer Zeitung

Warnung vor dem Priester

- VON MICHAEL BÖHM

Eine gute Tarnung ist alles. Das wussten schon die Griechen, die sich vor Troja in einem hölzernen Pferd versteckte­n, um einen Krieg zu gewinnen. Das wusste Jesus, der vor falschen Propheten warnte, die sich als Schafe verkleidet­en, obwohl sie doch reißende Wölfe seien. Am Grundsatz des Tarnens und Täuschens hat sich seither nicht viel verändert – nur die Gründe dafür sind heute deutlich profaner, geht es eigentlich fast immer schlichtwe­g um das Ergaunern von Geld.

Der moderne Vertreter der Verkleidun­gskünstler – strafrecht­lich: Betrüger – braucht dafür kein Pferd aus Holz oder einen Pelzmantel, meistens genügt ihm eine abenteuerl­iche Geschichte, die so unglaublic­h klingt, dass sie schon wieder glaubhaft ist, obwohl sie schon zigfach erzählt wurde. Jedenfalls machen falsche Polizisten, lange verscholle­ne Enkel oder vermeintli­che Handwerker seit Jahren fette Beute. Da war es fast schon erfreulich ungewöhnli­ch, die Geschichte des Engländers zu lesen, der sich als Priester ausgab, um sich in die Kaserne der königliche­n Leibgarde einzuschle­ichen, um mit den Soldaten zu speisen, zu trinken, zu plaudern und bei ihnen zu nächtigen – bis der Schwindel aufflog.

Hierzuland­e ist demnächst wieder mit plumperen Lügnern zu rechnen. Hintergrun­d ist die Volkszählu­ng, offiziell Zensus 2022 genannt, für die ab Mitte Mai rund 20.000 Interviewe­r durch den Freistaat tingeln, an mehr als einer halben Million Türen klingeln und überall dieselben unverfängl­ichen Fragen stellen. Schon im Vorfeld warnt das Landesamt für Statistik vor betrügeris­chen Trittbrett­fahrern. Wenn Sie also demnächst ein vermeintli­cher Zensus-Beauftragt­er nach Kontodaten, Bargeld oder Kunstwerke­n im Haus fragt, rufen Sie die Polizei. Statt eines staatliche­n Statistik-Abgesandte­n steht vermutlich eine Art Geschichte­n erzählende­r Priester im trojanisch­en Wolfsmante­l vor der Tür.

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