Fuggerei‐Bewohner freuen sich auf Promi‐Besuch
Jubiläum Mit namhaften Gästen startet das fünfwöchige Jubiläumsprogramm der ältesten Sozialsiedlung der Welt in Augsburg. Es blickt in die Zukunft, will inspirieren und sorgt vor allem bei zwei Frauen für Aufregung.
Augsburg Diese Gelegenheit will Johanna Grünwald nicht verpassen. Wenn Ursula von der Leyen am Samstag durch die Gassen der Augsburger Fuggerei streift, will die 66-Jährige dabei sein. Sie freut sich darauf, weil sie die Politikerin für eine beeindruckende, geradlinige und durchsetzungsfähige Person hält, die die Frauen gut präsentiere. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen wird nicht nur die Fuggerei besuchen, sondern im Goldenen Saal des Rathauses einen Festvortrag anlässlich des 500-jährigen Bestehens der ältesten Sozialsiedlung der Welt und des anstehenden Programms halten.
Johanna Grünwald hat extra einen Termin am Samstag verschoben – Ursula von der Leyen trifft man schließlich nicht alle Tage. Die Vorfreude über den Rundgang der Politikerin in der ältesten Sozialsiedlung ist allgemein groß. Grünwald schätzt, dass die prominente Besucherin dabei auch an die Menschen denkt, die dort leben. Rund 150 bedürftige Augsburgerinnen und Augsburger wohnen in der Fuggerei. Sie haben es oft nicht leicht in ihrem Leben gehabt – eben so wie die 66-Jährige, die Jahrzehnte in der Pflege arbeitete und am Ende nicht genug Geld zum Leben erhielt. „Aufgrund meiner Augenerkrankung habe ich Erwerbsminderungsrente erhalten. Das hat dann nicht gereicht. Ich musste zusätzlich von meinen Ersparnissen leben“, erzählt sie. Seit 2013 lebt Grünwald in der Fuggerei. Dort habe sie viele Freundschaften geschlossen und auch „Lebensqualität gewonnen“. Gemeinsam mit Ilona Barber, 71, und weiteren Bewohnern der Fuggerei wird sie in den kommenden fünf Wochen Veranstaltungen im
„Fuggerei next 500“-Pavillon auf dem Augsburger Rathausplatz besuchen und auch aktiv Teil so manchen Programmpunkts sein.
Eine Mini-Fuggerei ganz aus Holz wurde im Herzen der Stadt aufgebaut. Eine Ausstellung, Diskussionen und ein vielseitiges Rahmenprogramm werden den Blick darauf lenken, was Stiftungen bewirken können und wie die Idee hinter der seit 500 Jahren funktionierenden Fuggerei in die Welt getragen werden könnte. Die Augsburger Fuggerei solle als Beispiel dienen und Nachahmer finden. Das hat schon der Stifter selbst, Jakob Fugger, genannt „der Reiche“, in eine Steintafel meißeln lassen, die über einem der Tore angebracht ist: in exemplum. Am 23. August 1521 unterzeichnete Jakob Fugger die Urkunde, die den Grundstein für die Sozialsiedlung legte, die auch 500 Jahre später noch beispielhaft ist.
Zum 500-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr wurde bereits gefeiert, es gab zahlreiche Diskussionen über die Frage, warum die Fuggerei so lange überdauern konnte. Gemeinsam mit Experten überlegen die Fugger’schen Stiftungen, was die Sozialsiedlung ausmacht und weshalb sie als Stiftung über Kriege, Krisen und andere globale Herausforderungen hinweg Bestand hatte. Die Ergebnisse sollen im Pavillon präsentiert und diskutiert werden. Eigentlich hätte das mehrwöchige Programm bereits im vergangenen
Jahr auf dem Rathausplatz stattfinden sollen – aufgrund der CoronaPandemie wurde das Vorhaben aber verschoben.
In der Augsburger Mini-Fuggerei werden in den kommenden Wochen nun viele Menschen zu Wort kommen. Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten wird neben von der Leyen auch der ehemalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, heute Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, anwesend sein. Angesagt haben sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der Bauminister Christian Bernreiter, Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber und die Mitglieder des Fugger’schen Familienseniorats. In den Wochen darauf wird etwa der ehemalige Skirennläufer Felix Neureuther über seinen Weg vom Sportler zum Stifter sprechen, Fußballspieler Neven Subotic redet über sein Engagement in Äthiopien. Unternehmensberater Roland Berger berichtet über ein Stipendienprogramm, Schauspielerin Jutta Speidel über ihre Arbeit mit obdachlosen Müttern und ihren Kindern.
Johanna Grünwald und Ilona Barber werden ebenfalls immer wieder vor Ort sein und bei einem Kaffee mit Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch kommen. „Wir werden erzählen, wie es ist, in der Fuggerei zu leben“, berichten sie und wollen auch so manches Missverständnis aus dem Weg räumen. So mancher Tourist glaube tatsächlich, dass es sich bei den Bewohnern um Statisten handele. „Und abends gehen Sie dann wieder nach Hause?“, diese Frage hätten sie schon das eine oder andere Mal gehört. Zu unglaublich scheint die Tatsache, dass in der Sozialsiedlung Menschen für 0,88 Euro Kaltmiete im Jahr leben können – was vor 500 Jahren so war und heute auch noch so ist.
Die Fugger-Familien wollen, dass die Einrichtung weitere Stifter inspiriert, an anderen Orten Ähnliches zu schaffen. Zwei Ideen sind bereits konkret: In Litauen will der Demografie-Experte Gintaras Grachauskas die soziale Lage älterer Bürger und die Pflegesituation im baltischen Staat verbessern. Den Frauen Rugiatu Neneh Turay und Stella Rothenberger geht es darum, die Situation junger Frauen in Sierra Leone zu verändern. Vom fünfwöchigen Pavillon-Programm in Augsburg erhoffen sich die Fugger neue Ideen und Impulse, wie eine „Fuggerei der Zukunft“aussehen könnte.