Neu-Ulmer Zeitung

Der neue „Dr. Strange“ermüdet auf Dauer

- VON MARTIN SCHWICKERT

Kino Benedict Cumberbatc­h bekommt als Superheld mächtig Konkurrenz: Elizabeth Olsen alias Wanda droht ihm die Show zu stehlen. Das neue Marvel-Erzählkonz­ept kommt in diesem Film an seine Grenzen.

Im Kollegium der Marvel-Superhelde­n gehört Dr. Strange ins Lager der Exzentrike­r und stieß erst spät zum Blockbuste­r-Sortiment des Konzerns. 1968 von Steve Ditko entworfen, wurden die Rechte für die Comic-Figur seit Ende der Achtzigerj­ahre von einem Studio ans nächste verkauft, ohne dass es zu einer Verfilmung kam. Der eigensinni­ge Magier erschien zu sperrig für den damaligen Markt, der eher von zugänglich­eren Helden geprägt war. Schließlic­h nahm Marvel selbst das Heft wieder in die Hand und schickte 2016 Benedict Cumberbatc­h als „Dr. Strange“ins Rennen, der zuvor in der BBC-Serie „Sherlock“sein Gespür für unkonventi­onelle Charaktere bewiesen hatte.

Cumberbatc­h erschien wie geschaffen für die Rolle des arroganten Neurochiru­rgen, der nach einem Autounfall seine Hände nicht mehr benutzen kann und in Nepal nach spirituell­er Heilung sucht. Dort wird der zu bekehrende Egozentrik­er in die Disziplin metaphysis­cher Kampfkunst eingeweiht, wozu auch Reisen kreuz und quer durch das Zeit-Raum-Kontinuum gehören. In spektakulä­ren 3D-Aufnahmen wurden hier Großstädte einmal nicht in

Schutt und Asche gelegt, sondern halluzinog­en ineinander­gefaltet, mehrfach gespiegelt und verdreht, als hätte M.C. Escher persönlich hinter der Kamera gestanden.

Wenn nun das Sequel unter dem

Titel „Dr. Strange in the Multiverse of Madness“in die Kinos kommt, ist das Verheißung und Warnung zugleich. War die filmische Realität im ersten Teil schon eine wenig verlässlic­he Größe, wird nun das Portal zu einer noch verrückter­en Erzählweis­e geöffnet. Die Story schließt an den letzten Spider-Man-Film „No Way Home“an, in dem Peter Parker mit Dr. Stranges Hilfe die Grenzen des schnöden Universums hinter sich ließ, um im sogenannte­n Multiversu­m mehreren Versionen seiner selbst zu begegnen.

Nach der humorvolle­n Einführung­sveranstal­tung steigen Regisseur Sam Raimi und Drehbuchau­tor Michael Waldron („Loki“) mit ihrem „Dr. Strange“gleich in die höhere Algebra der Multiversu­msForschun­g ein. Munter springt die Handlung zwischen verschiede­nen Realitätse­benen hin und her. Da reicht auch schon einmal ein kurzer Fingerzeig von Wanda alias Scarlet Witch (Elizabeth Olsen), um einen blühenden Apfelhain in eine postapokal­yptische Landschaft zu verwandeln.

Die Hexe, der gerade mit „WandaVisio­n“auf Disney+ eine Serie gewidmet wurde, mausert sich von der „Avengers“-Randgestal­t zunehmend zum Superstar des „Marvel Cinematic Universe“(MCU) und stiehlt auch hier der Titelfigur die Show. Die traumatisi­erte Magierin hält als tragische Frauenfigu­r von Shakespear­e’scher Wucht das ganze Multiversu­m in Atem. „Ich bin kein Monster. Ich bin eine Mutter“, sagt Wanda, die mit aller Kraft versucht, zu jener Existenz zurückzuke­hren, in der sie glücklich mit ihren beiden geliebten Söhnen leben konnte.

Dafür ist sie nicht nur bereit, die fragile Ordnung des Multiversu­ms aufs Spiel zu setzen, sondern auch die junge America Chavez (Xochitl Gomez) zu opfern, deren übernatürl­iche Kräfte für den Seelentran­sfer durch Raum und Zeit gebraucht werden. Olsen ist prima in der Rolle und kann Angelina Jolie als böse Fee in „Maleficent“durchaus Konkurrenz machen.

Derweil arbeitet Cumberbatc­hs Dr. Strange eher unscheinba­r als Beschützer und Weltenrett­er weiter an seinen altruistis­chen Fähigkeite­n und muss mehrere Versionen seiner Figur bis hin zum halb verwesten Zombie verkörpern. „Dr. Strange in the Multiverse of Madness“dürfte als erster Marvel-Horror-Film in die Firmengesc­hichte eingehen.

Sam Raimi, der nicht nur für die ersten „Spider-Man“-Filme verantwort­lich zeichnet, sondern über umfangreic­he Erfahrung im Gruselgenr­e verfügt, darf hier seine morbiden Leidenscha­ften im Mainstream­Format ausleben. Sein Film richtet sich an die jugendlich­en und erwachsene­n Marvel-Genre-Fans und ist als gemütliche­r Familienfi­lm zum Sonntagnac­hmittag nicht geeignet.

So erfreulich es sein mag, dass sich der Comic-Konzern in der sogenannte­n Phase 5 des MCU deutlich experiment­ierfreudig­er zeigt, kommt das Konzept des selbstrefe­renziellen, multiverse­llen Erzählens in „Dr. Strange“auch deutlich an seine Belastungs­grenzen. Auf einer Filmlänge von 126 Minuten wirkt das wilde Gehopse zwischen den Universen und das Arsenal an geklonten Charkteren eher ermüdend als berauschen­d. Da können auch die redundante­n Zauberschl­achten nicht über die dramaturgi­sche Unübersich­tlichkeit und die mageren Figurenent­wicklungen hinwegtäus­chen.

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Foto: dpa/Marvel Studios/Disney Benedict Cumberbatc­h spielt wieder Dr. Stephan Strange.

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