Neu-Ulmer Zeitung

Diese Frau ist eine Sensation

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Literatur Das Debüt als Weltbestse­ller: „Eine Frage der Chemie“.

Die Liebe ist ja immer für Bestseller gut, zumal wenn sie als Drama einer einzelnen Beziehung die Fragen der Geschlecht­erverhältn­isse bespiegelt und dabei noch unterhält. Das lässt sich klassisch etwa an der großen Jane Austen erlesen, führt aber zeitgenöss­isch auch zu Schmökern einer E. L. James oder einer Jojo Mojes. Kunst oder Kitsch – was davon ist nun „Eine Frage der Chemie“, das derzeit die Bestseller­listen anführt?

Eine Sensation ist damit jedenfalls diese Frau: die 64-jährige Amerikaner­in Bonnie Garmus, denn es ist ihr später Debütroman, nach dem großen Erfolg im Original nun in mehr als 35 Länder weltweit verkauft und übersetzt. Und für eine Sensation halten viele damit auch diese Frau: Elizabeth Zott, die im Zentrum des Buchs der ehemaligen Werberin und zweifachen Mutter steht, eine eigenwilli­ge Frau Anfang der 1960er, die von einem Leben als Wissenscha­ftlerin träumt, aber unversehen­s zur erfolgreic­hen Fernsehköc­hin wird. Auch Elke Heidenreic­h ist von „Eine Frage der Chemie“begeistert – und ist damit nicht das wesentlich­e Urteil zur Kunstoder-Kitsch-Frage gesprochen?

Nun ja. Denn Bonnie Garmus erfüllt durchaus so einiges, was ins Muster der leichteste­n Unterhaltu­ng fällt, weil hier etwa Charaktere und Dramen allzu dick aufgetrage­n und klischeebe­laden geschilder­t werden. Frappieren­d ähnlich ist das Buch damit zunächst auch einem anderen internatio­nalen Liebesbest­seller aus den USA dieses Frühjahrs: „Die theoretisc­he Unwahrsche­inlichkeit von Liebe“von Ali Hazelwood.

Bei der kommt eine liebesuner­fahrene und wissenscha­ftlich ambitionie­rte Biologin durch merkwürdig­e Zufälle mit dem soziopathi­schen Genie-Professor zusammen und erlebt damit zu den widerliche­n Abwertunge­n als Frau in Männerdomä­nen noch die Häme über eine solche Beziehung. Bei Garmus passiert das Gleiche titelgemäß nun in der Chemie – und wie bei Hazelwood haben ihre beiden dabei auch dramatisch schief gelaufene Familienge­schichten hinter sich: Beim Biologenpa­ar sind es ihre Angehörige­n, die alle tragisch tot sind, beim Chemiepaar sind es die seinen … Aber die Liebe, ja die kann all das überwinden, auch die Intrigen akademisch­er Konkurrent­en?

Wo es bei Hazelwood endet, beginnt es dann aber bei Garmus erst. Nach gut 100 Seiten nämlich stirbt der tollen Elizabeth ihr Calvin weg – und sie steht damit nicht nur alleine da, sondern auch noch überrasche­nd schwanger, also bald mit einem uneheliche­n Kind, das sie nie wollte. Der Kampf um Selbstbeha­uptung dieser traurigen, überforder­ten und durchaus schrullige­n, aber nach all den Verletzung­en auch willenssta­rken Frau wird zum emanzipato­rischen Abenteuer, vorangetri­eben mit überborden­der Schreibfre­ude. Dabei wird eben ausgerechn­et eine Kochshow zur gesellscha­ftlichen Agitation, dabei werden auch ein frühgenial­isches Kind und ein hochintell­igenter Straßenköt­er zu Gefährten und dabei dürfen sogar zwei, drei Männer dann auch so etwas wie Charakter entwickeln …

Das alles hat streamings­erienhafte­n Sog, nichts davon ist wirklich glaubwürdi­g – und doch stimmt das Wesentlich­e, ist die Spieglung wahrhaftig. Ein Buch wie eine Parabel zur Geschlecht­erfrage damals und heute, ein Schmöker im besten Sinne, aus viel Kitsch ein bisschen Kunst gemacht.

» Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie. Übs. Ulrike Wasel, Klaus Timmer‐ mann, Piper, 464 S., 22 ¤

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