Auf Schnuppertour im Museum
Düfte Ein neues Führungskonzept im Museum Ulm lässt den Betrachter neue Facetten an Bildern entdecken, genauer gesagt erschnuppern. Nebenbei wird auch die Frage beantwortet: „Wie riecht eigentlich die Hölle?“
Ulm Ganz vorsichtig drückt Sascha Saumer auf das Duftfläschchen in seiner Hand. Er weiß: Der Geruch, der ihm gleich in die Nase steigt, wird kein angenehmer sein. Faulige Banane, alte Zigarettenstummel, im besten Fall vielleicht schaler Wein? In jedem Fall aber wird es ein Duft sein, der ganz untypisch ist für einen Museumsbesuch.
Saumer steht im Museum Ulm neben einem von Daniel Spoerris Fallenbildern. Das Tableau Piège No. 7 des schweizer Künstlers zeigt einen schmutzigen Teller, leer getrunkene Gläser, einen Aschenbecher – kurz: die Überbleibsel eines gemütlichen Abendessens, in Kunstharz für die Ewigkeit konserviert. Das Werk des Schweizer Künstlers ist Teil des neuen Führungsformats „Der Nase nach!“. Parfumeurinnen haben dafür Düfte passend zu ausgewählten Bildern kreiert. Dass die Expertinnen von IFF (International Flavors and Fragrances) sich nicht nur mit Chanel No. 5 und Co. auskennen, beweisen nicht nur die beiden Spoerri-Düfte, in denen tatsächlich Noten von vergammeltem Essen und kaltem Rauch zu riechen sind.
Die Idee zu „Der Nase nach!“kommt von einem EU-Forschungsprojekt namens Odeuropa. Ziel dabei ist es, über den Geruchssinn neue Zugänge zu unserer Kulturgeschichte zu eröffnen. Mehr als alle anderen unserer Sinne sei dieser mit Emotionen und Erinnerungen verknüpft, heißt es auf der Website von Odeuropa. Das Projekt soll zeigen, dass Gerüche ein Tor zum materiellen und immateriellen Erbe Europas sein können. Für das Ulmer Museum sind dazu in Zusammenarbeit mit IFF Düfte zu insgesamt acht Bildern aus dessen Dauerausstellung entstanden.
Fünf davon zeigt die Kunsthistorikerin und Kunstvermittlerin Florence Riecker den rund 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Duftführung an diesem Nachmittag. So abschreckend wie die Düfte zu Spoerris Bild sind nicht alle – im Gegenteil. Die Gruppe steuerte als Erstes ein Porträt aus dem 16. Jahrhundert an. Auf den ersten Blick nicht ersichtlich verkörpert es das, was in der Frühen Neuzeit als Inbegriff des Wohlgeruchs galt. Was an dem Bild gut riechen könnte? Einer Museumsbesucherin fällt die kleine silberne Kugel auf, die der reiche Ulmer Ratsherr Eitel Besserer in der Hand hält.
Bisamäpfel nennen sich diese Duftkugeln – ein beliebtes Luxusaccessoire zu Besserers Zeit. Gefüllt mit allem, was gut riecht, waren die Bisamäpfel nicht nur schick. Ihre Träger glaubten auch daran, durch gute Gerüche Krankheitserreger von sich fernzuhalten. Im Museum Ulm teilt Rieker kleine Pumpfläschchen aus. Dann beginnt das Ratespiel. Gewürze, Zirbe, ein bisschen Tabak. All diese Zutaten werden in Eitel Besserers Bisamapfel vermutet. Die Nasen der Museumsbesucherinnen und Besucher sind ganz schön gefordert. Bettina Schlipf, die mit ihrer Familie extra für diese Führung aus Westhausen (Ostablkreis) nach Ulm gekommen ist, findet gerade das gut. Schließlich sei die Nase das Sinnesorgan, das in der Regel am seltensten bewusst eingesetzt wird. Der Mensch fokussiert sich doch lieber aufs Sehen und Hören. Kein Wunder, dass nicht alle Inhaltsstoffe des Bisamapfels richtig erkannt wurden.
Tabak und Zirbe sucht man in dem Rezept vergeblich. Dafür enthält es noch blumige Komponenten wie Lavendel und Rose. Auch Zibet, ein Drüsensekret ähnlich wie Moschus, zudem Amber, eine Substanz, die am Magen von Pottwalen zu finden ist, Zitrus und Kräuter wurden im Original verarbeitet. Was die Museumsbesucher heute riechen, sind synthetisch hergestellte Gerüche. Luxuszutaten wie Eitel Besserer sie sich leisten konnte, sind für Einrichtungen des öffentlichen
Kulturbetriebs noch immer unerschwinglich. Der Kilopreis für Amber liegt etwa im oberen fünfstelligen Bereich.
Ein Höhepunkt der rund einstündigen Führung ist sicherlich das Gemälde „Christus in der Vorhölle“des Ulmers Martin Schaffner, von dem auch das Porträt Besserers stammt. Denn wen interessiert nicht, wie die Hölle riecht? Vor allem, wenn man, um das zu erfahren, nur ins Museum gehen und nicht persönlich vor Ort sein muss. Den Schwefelgeruch, den einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer vermutet hatten, haben die Duftexpertinnen bewusst nicht in den Vordergrund gestellt. Stattdessen haben sie einen Geruch von Fäulnis und Fäkalien kreiert, der dem heutigen Besucher einen Hauch der grauenvollen Höllenvorstellungen der damaligen Zeit vermitteln soll.
Kreativität ist bei Ellsworth Kellys „Orange-Blue“gefragt. Einen bestimmten Duft hätten vermutlich die wenigsten Betrachterinnen und Betrachter mit dem orangenen Oval auf blauem Grund in Verbindung gebracht, meint Kunstvermittlerin Rieker. Die Parfumeurinnen hätten bei diesem Bild versucht, die Erfahrungswelt von Synästhetikern – Menschen die Farben riechen können – aufzugreifen.
Eine Seebrise mit Zitrusgeruch – das haben die IFF-Expertinnen aus dem Bild gemacht. Es war einer der Düfte und Bilder, die Teilnehmerin Isolde Graf nach der Führung besonders in Erinnerung blieb. Aber auch die übel riechenderen Bilder fand sie spannend. „Das war gut gemacht. Es gibt ja auch schlechte Gerüche, die einen regelrecht umhauen, aber die hier waren dezent genug“, findet sie. Auch das Resümee der Familie Schlipf zum neuen Führungsformat fällt positiv aus. Mutter Bettina sagt: „Durch die Gerüche entsteht ein anderer Eindruck. Das belebt ein Bild.“