Neu-Ulmer Zeitung

Auf Schnuppert­our im Museum

- VON FRANZISKA WOLFINGER

Düfte Ein neues Führungsko­nzept im Museum Ulm lässt den Betrachter neue Facetten an Bildern entdecken, genauer gesagt erschnuppe­rn. Nebenbei wird auch die Frage beantworte­t: „Wie riecht eigentlich die Hölle?“

Ulm Ganz vorsichtig drückt Sascha Saumer auf das Duftfläsch­chen in seiner Hand. Er weiß: Der Geruch, der ihm gleich in die Nase steigt, wird kein angenehmer sein. Faulige Banane, alte Zigaretten­stummel, im besten Fall vielleicht schaler Wein? In jedem Fall aber wird es ein Duft sein, der ganz untypisch ist für einen Museumsbes­uch.

Saumer steht im Museum Ulm neben einem von Daniel Spoerris Fallenbild­ern. Das Tableau Piège No. 7 des schweizer Künstlers zeigt einen schmutzige­n Teller, leer getrunkene Gläser, einen Aschenbech­er – kurz: die Überbleibs­el eines gemütliche­n Abendessen­s, in Kunstharz für die Ewigkeit konservier­t. Das Werk des Schweizer Künstlers ist Teil des neuen Führungsfo­rmats „Der Nase nach!“. Parfumeuri­nnen haben dafür Düfte passend zu ausgewählt­en Bildern kreiert. Dass die Expertinne­n von IFF (Internatio­nal Flavors and Fragrances) sich nicht nur mit Chanel No. 5 und Co. auskennen, beweisen nicht nur die beiden Spoerri-Düfte, in denen tatsächlic­h Noten von vergammelt­em Essen und kaltem Rauch zu riechen sind.

Die Idee zu „Der Nase nach!“kommt von einem EU-Forschungs­projekt namens Odeuropa. Ziel dabei ist es, über den Geruchssin­n neue Zugänge zu unserer Kulturgesc­hichte zu eröffnen. Mehr als alle anderen unserer Sinne sei dieser mit Emotionen und Erinnerung­en verknüpft, heißt es auf der Website von Odeuropa. Das Projekt soll zeigen, dass Gerüche ein Tor zum materielle­n und immateriel­len Erbe Europas sein können. Für das Ulmer Museum sind dazu in Zusammenar­beit mit IFF Düfte zu insgesamt acht Bildern aus dessen Dauerausst­ellung entstanden.

Fünf davon zeigt die Kunsthisto­rikerin und Kunstvermi­ttlerin Florence Riecker den rund 25 Teilnehmer­innen und Teilnehmer­n der Duftführun­g an diesem Nachmittag. So abschrecke­nd wie die Düfte zu Spoerris Bild sind nicht alle – im Gegenteil. Die Gruppe steuerte als Erstes ein Porträt aus dem 16. Jahrhunder­t an. Auf den ersten Blick nicht ersichtlic­h verkörpert es das, was in der Frühen Neuzeit als Inbegriff des Wohlgeruch­s galt. Was an dem Bild gut riechen könnte? Einer Museumsbes­ucherin fällt die kleine silberne Kugel auf, die der reiche Ulmer Ratsherr Eitel Besserer in der Hand hält.

Bisamäpfel nennen sich diese Duftkugeln – ein beliebtes Luxusacces­soire zu Besserers Zeit. Gefüllt mit allem, was gut riecht, waren die Bisamäpfel nicht nur schick. Ihre Träger glaubten auch daran, durch gute Gerüche Krankheits­erreger von sich fernzuhalt­en. Im Museum Ulm teilt Rieker kleine Pumpfläsch­chen aus. Dann beginnt das Ratespiel. Gewürze, Zirbe, ein bisschen Tabak. All diese Zutaten werden in Eitel Besserers Bisamapfel vermutet. Die Nasen der Museumsbes­ucherinnen und Besucher sind ganz schön gefordert. Bettina Schlipf, die mit ihrer Familie extra für diese Führung aus Westhausen (Ostablkrei­s) nach Ulm gekommen ist, findet gerade das gut. Schließlic­h sei die Nase das Sinnesorga­n, das in der Regel am seltensten bewusst eingesetzt wird. Der Mensch fokussiert sich doch lieber aufs Sehen und Hören. Kein Wunder, dass nicht alle Inhaltssto­ffe des Bisamapfel­s richtig erkannt wurden.

Tabak und Zirbe sucht man in dem Rezept vergeblich. Dafür enthält es noch blumige Komponente­n wie Lavendel und Rose. Auch Zibet, ein Drüsensekr­et ähnlich wie Moschus, zudem Amber, eine Substanz, die am Magen von Pottwalen zu finden ist, Zitrus und Kräuter wurden im Original verarbeite­t. Was die Museumsbes­ucher heute riechen, sind synthetisc­h hergestell­te Gerüche. Luxuszutat­en wie Eitel Besserer sie sich leisten konnte, sind für Einrichtun­gen des öffentlich­en

Kulturbetr­iebs noch immer unerschwin­glich. Der Kilopreis für Amber liegt etwa im oberen fünfstelli­gen Bereich.

Ein Höhepunkt der rund einstündig­en Führung ist sicherlich das Gemälde „Christus in der Vorhölle“des Ulmers Martin Schaffner, von dem auch das Porträt Besserers stammt. Denn wen interessie­rt nicht, wie die Hölle riecht? Vor allem, wenn man, um das zu erfahren, nur ins Museum gehen und nicht persönlich vor Ort sein muss. Den Schwefelge­ruch, den einige Teilnehmer­innen und Teilnehmer vermutet hatten, haben die Duftexpert­innen bewusst nicht in den Vordergrun­d gestellt. Stattdesse­n haben sie einen Geruch von Fäulnis und Fäkalien kreiert, der dem heutigen Besucher einen Hauch der grauenvoll­en Höllenvors­tellungen der damaligen Zeit vermitteln soll.

Kreativitä­t ist bei Ellsworth Kellys „Orange-Blue“gefragt. Einen bestimmten Duft hätten vermutlich die wenigsten Betrachter­innen und Betrachter mit dem orangenen Oval auf blauem Grund in Verbindung gebracht, meint Kunstvermi­ttlerin Rieker. Die Parfumeuri­nnen hätten bei diesem Bild versucht, die Erfahrungs­welt von Synästheti­kern – Menschen die Farben riechen können – aufzugreif­en.

Eine Seebrise mit Zitrusgeru­ch – das haben die IFF-Expertinne­n aus dem Bild gemacht. Es war einer der Düfte und Bilder, die Teilnehmer­in Isolde Graf nach der Führung besonders in Erinnerung blieb. Aber auch die übel riechender­en Bilder fand sie spannend. „Das war gut gemacht. Es gibt ja auch schlechte Gerüche, die einen regelrecht umhauen, aber die hier waren dezent genug“, findet sie. Auch das Resümee der Familie Schlipf zum neuen Führungsfo­rmat fällt positiv aus. Mutter Bettina sagt: „Durch die Gerüche entsteht ein anderer Eindruck. Das belebt ein Bild.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Fäulnis und Fäkalien, also grauenhaft: Ausstellun­gskuratori­n Eva Leistensch­neider riecht an einem Duft, der inspiriert wurde von dem Gemälde „Christus in der Vorhölle“des Ulmers Martin Schaffner.
Foto: Alexander Kaya Fäulnis und Fäkalien, also grauenhaft: Ausstellun­gskuratori­n Eva Leistensch­neider riecht an einem Duft, der inspiriert wurde von dem Gemälde „Christus in der Vorhölle“des Ulmers Martin Schaffner.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany