Neu-Ulmer Zeitung

„Keiner möchte mehr im Handwerk arbeiten“

- VON JONAS KLIMM

Fachkräfte­mangel Ein Renovierun­gsservice in Weißenhorn schließt, in Nersingen hat eine Metzgerei zu kämpfen. Beide Betriebe stehen exemplaris­ch für eine bedenklich­e Entwicklun­g.

Landkreis Neu‐Ulm Wer sich dieser Tage nach Rüdiger Wenglers Gefühlswel­t erkundigt, der bekommt zunächst ein resigniert­es Schnaufen zu hören. Dann fallen Sätze wie: „Es tut weh, ich habe so viel Herzblut hineingest­eckt“oder „es ist eine wirklich schmerzhaf­te Hürde, die ich nehmen muss“. Wengler ist Handwerker, seit 2009 betreibt er als Franchise-Unternehme­r den „Portas Renovierun­gsservice“in Weißenhorn. Seine Arbeit bedeutet ihm viel, für ihn ist sie keine Pflicht, mehr Passion. Doch bald kommt der „unausweich­liche Schritt“. Wengler muss sein Geschäft schließen – und das, obwohl die Auftragsla­ge derzeit außerorden­tlich gut ist.

Grund dafür sei schlicht „fehlende Manpower“, wie Wengler es bezeichnet. Ende Februar habe sein letzter Mitarbeite­r die Firma verlassen, erzählt er. Seitdem habe er händeringe­nd nach einem Schreiner gesucht, der ihn in seiner täglichen Arbeit unterstütz­en könnte. „Ich habe wirklich alle Kanäle genutzt.“Auf seinen Internetse­iten habe er geworben, über die Zeitung und Facebook. Geholfen hat all das nichts. „Es hat beinahe keine Bewerbung auf die Stelle gegeben“, beklagt er. Und die wenigen, die es gab, seien von der Qualität her unzureiche­nd gewesen. Wengler musste feststelle­n: „Es gibt einfach keine Fachkräfte auf dem Arbeitsmar­kt, gerade im handwerkli­chen Bereich. Keiner möchte mehr im Handwerk arbeiten.“Deshalb müsse er nun die schmerzlic­he Hürde nehmen: Am 31. August schließt Portas in Weißenhorn.

Berufliche Schicksale wie die von Wengler kennt Christian Fischer zuhauf. Er ist Leiter des Fachbereic­hs Ausbildung bei der IHK Schwaben und somit täglich mit einem enormen Mangel an Nachwuchsk­räften in zahlreiche­n Ausbildung­sberufen konfrontie­rt. Fischer sagt: „Für die IHK Schwaben kann man festhalten, dass es in allen Bereichen an Fachkräfte­n fehlt.“Auch im Landkreis Neu-Ulm zeige ein Blick auf die Zahlen in diesem Jahr eine bedenklich­e Lücke, denn derzeit gebe es 250 offene Lehrstelle­n in der Region. „Zu diesem späten Zeitpunkt ist das extrem hoch“, sagt Fischer. Schließlic­h beginne in knapp vier Monaten das neue Ausbildung­sjahr.

Auch die Prognosen bieten wenig Anlass zur Freude. Für das Jahr 2030 rechnet die IHK Schwaben bereits mit 74.000 fehlenden Fachkräfte­n in Bayerisch-Schwaben. Das entspreche elf Prozent aller Stellen, sagt Fischer. Gerade kleinere Unternehme­n litten besonders unter dieser Entwicklun­g. Für größere Unternehme­n hingegen nehmen viele junge Menschen seiner Erfahrung nach auch weitere Wegstrecke­n auf sich, denn diese könnten immerhin mit ihrem Namen punkten.

Die IHK Schwaben versucht, dem Negativtre­nd zu trotzen. Zahlreiche Maßnahmen habe man in den vergangene­n Jahren forciert, um jüngere Menschen besser zu erreichen. „Wir haben das Job-Speeddatin­g etabliert, Nachvermit­tlungen vorangetri­eben und gehen mit unseren Beratungen auch weiter in die Regionen“, erzählt Fischer.

In den „Regionen“würde Fischer auch die Metzgerei Klein vorfinden. Der Familienbe­trieb aus dem Nersinger Ortsteil Straß sucht ebenfalls dringend Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. „Aktuell brauchen wir eine Spülkraft, ein bis zwei Köche und eine Person für die Vorbereitu­ng der Verkaufswa­re“, sagt Metzgermei­ster Josef Klein. Dass Personal fehle, sei leider keine Ausnahmesi­tuation, eher der Normalzust­and. „Wir haben öfters Mitarbeite­r, die Ferienarbe­it bei uns machen. Während Corona hatten wir auch welche aus dem Hotel- und Gaststätte­ngewerbe“, berichtet er. Die lerne man natürlich ein, sie blieben aber nur ein paar Monate und seien dann wieder weg. Die Personallü­cke ist anschließe­nd wieder da.

Auffangen könne die Metzgerei Klein den Dauermange­l aber trotzdem: „Wir sind ein Familienun­ternehmen und arbeiten mit Leib und Seele“, sagt Klein. Deshalb ersetze die Familie das fehlende Personal durch eigene Mehrarbeit. „Immer ist das aber auch nicht möglich, man kann sich schließlic­h nicht zweiteilen.“Unterstütz­ung erfahren zumindest die Verkäuferi­nnen seit geraumer Zeit durch einen HightechRo­boter. Die ebenfalls in Straß ansässige Maschinenb­aufirma Kirschenho­fer hatte die Idee des Metzgermei­sters realisiert. Der Roboter diene aber ausschließ­lich der alltäglich­en Entlastung der Verkäuferi­nnen, sagt Klein. Er stehe im Verkaufskü­hlraum und lege die Waren, die Kundinnen und Kunden über eine kontaktlos­e Bestellung geordert hatten, auf ein Fließband, welches wiederum direkt zu Käuferin oder Käufer durchliefe. Diese Form der Bestellung sei sogar die ganze Woche über zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich, ergänzt Klein.

Auch Klein verortet die Ursache des Fachkräfte­mangels im fehlenden Nachwuchs. Als er noch in die Berufsschu­le gegangen sei, habe es noch 30 Schüler in der Klasse gegeben, bei ihrem letzten Auszubilde­nden seien es hingegen nur noch 17 gewesen. „Berufe in Metzgereie­n haben einfach einen schlechten Ruf“, stellt Klein betrübt fest. Gleichwohl sei dies völlig ungerechtf­ertigt. Um das auch den Jugendlich­en zu verdeutlic­hen, hat der Betrieb in den vergangene­n Jahren einiges unternomme­n. „Wir haben in den umliegende­n Schulen Bildungsme­ssen gemacht, um über unseren Beruf aufzukläre­n. Außerdem haben wir Schulklass­en eingeladen und durch unseren Betrieb geführt, damit sie einen Einblick gewinnen können“, sagt Klein. Auch Praktika habe man angeboten, die von einigen Schülerinn­en und Schülern absolviert worden seien. „Im Nachhinein haben alle gesagt, dass sie nun ein besseres Bild von einer Metzgerei hätten“, betont der Metzgermei­ster.

Das Ringen um die besten Talente werde sich in den kommenden Jahren weiter verschärfe­n, prognostiz­iert Christian Fischer von der IHK Schwaben. Das Nachsehen könnten dabei häufig kleinere Betriebe haben. Einfach bedauerlic­h sei diese Situation, sagt Fischer, denn er ist überzeugt: „Man kann ins berufliche Leben nicht besser starten als mit einer Lehre.“

Und wie geht es bei Rüdiger Wengler weiter? „Ich gehe wieder in Anstellung“, sagt er. Es gebe in Weißenhorn ein „kleines pfiffiges Möbelhaus“, das ihn beschäftig­en werde. Trotzdem werde der Schmerz über die unumgängli­che Schließung des eigenen Betriebs bleiben, fügt Wengler hinzu.

 ?? Foto: Ralf Lienert (Symbolbild) ?? Der Fachkräfte­mangel macht sich deutlich bemerkbar: Allein im Landkreis Neu‐Ulm gibt es aktuell 250 offene Lehrstelle­n.
Foto: Ralf Lienert (Symbolbild) Der Fachkräfte­mangel macht sich deutlich bemerkbar: Allein im Landkreis Neu‐Ulm gibt es aktuell 250 offene Lehrstelle­n.

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