„Keiner möchte mehr im Handwerk arbeiten“
Fachkräftemangel Ein Renovierungsservice in Weißenhorn schließt, in Nersingen hat eine Metzgerei zu kämpfen. Beide Betriebe stehen exemplarisch für eine bedenkliche Entwicklung.
Landkreis Neu‐Ulm Wer sich dieser Tage nach Rüdiger Wenglers Gefühlswelt erkundigt, der bekommt zunächst ein resigniertes Schnaufen zu hören. Dann fallen Sätze wie: „Es tut weh, ich habe so viel Herzblut hineingesteckt“oder „es ist eine wirklich schmerzhafte Hürde, die ich nehmen muss“. Wengler ist Handwerker, seit 2009 betreibt er als Franchise-Unternehmer den „Portas Renovierungsservice“in Weißenhorn. Seine Arbeit bedeutet ihm viel, für ihn ist sie keine Pflicht, mehr Passion. Doch bald kommt der „unausweichliche Schritt“. Wengler muss sein Geschäft schließen – und das, obwohl die Auftragslage derzeit außerordentlich gut ist.
Grund dafür sei schlicht „fehlende Manpower“, wie Wengler es bezeichnet. Ende Februar habe sein letzter Mitarbeiter die Firma verlassen, erzählt er. Seitdem habe er händeringend nach einem Schreiner gesucht, der ihn in seiner täglichen Arbeit unterstützen könnte. „Ich habe wirklich alle Kanäle genutzt.“Auf seinen Internetseiten habe er geworben, über die Zeitung und Facebook. Geholfen hat all das nichts. „Es hat beinahe keine Bewerbung auf die Stelle gegeben“, beklagt er. Und die wenigen, die es gab, seien von der Qualität her unzureichend gewesen. Wengler musste feststellen: „Es gibt einfach keine Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt, gerade im handwerklichen Bereich. Keiner möchte mehr im Handwerk arbeiten.“Deshalb müsse er nun die schmerzliche Hürde nehmen: Am 31. August schließt Portas in Weißenhorn.
Berufliche Schicksale wie die von Wengler kennt Christian Fischer zuhauf. Er ist Leiter des Fachbereichs Ausbildung bei der IHK Schwaben und somit täglich mit einem enormen Mangel an Nachwuchskräften in zahlreichen Ausbildungsberufen konfrontiert. Fischer sagt: „Für die IHK Schwaben kann man festhalten, dass es in allen Bereichen an Fachkräften fehlt.“Auch im Landkreis Neu-Ulm zeige ein Blick auf die Zahlen in diesem Jahr eine bedenkliche Lücke, denn derzeit gebe es 250 offene Lehrstellen in der Region. „Zu diesem späten Zeitpunkt ist das extrem hoch“, sagt Fischer. Schließlich beginne in knapp vier Monaten das neue Ausbildungsjahr.
Auch die Prognosen bieten wenig Anlass zur Freude. Für das Jahr 2030 rechnet die IHK Schwaben bereits mit 74.000 fehlenden Fachkräften in Bayerisch-Schwaben. Das entspreche elf Prozent aller Stellen, sagt Fischer. Gerade kleinere Unternehmen litten besonders unter dieser Entwicklung. Für größere Unternehmen hingegen nehmen viele junge Menschen seiner Erfahrung nach auch weitere Wegstrecken auf sich, denn diese könnten immerhin mit ihrem Namen punkten.
Die IHK Schwaben versucht, dem Negativtrend zu trotzen. Zahlreiche Maßnahmen habe man in den vergangenen Jahren forciert, um jüngere Menschen besser zu erreichen. „Wir haben das Job-Speeddating etabliert, Nachvermittlungen vorangetrieben und gehen mit unseren Beratungen auch weiter in die Regionen“, erzählt Fischer.
In den „Regionen“würde Fischer auch die Metzgerei Klein vorfinden. Der Familienbetrieb aus dem Nersinger Ortsteil Straß sucht ebenfalls dringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Aktuell brauchen wir eine Spülkraft, ein bis zwei Köche und eine Person für die Vorbereitung der Verkaufsware“, sagt Metzgermeister Josef Klein. Dass Personal fehle, sei leider keine Ausnahmesituation, eher der Normalzustand. „Wir haben öfters Mitarbeiter, die Ferienarbeit bei uns machen. Während Corona hatten wir auch welche aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe“, berichtet er. Die lerne man natürlich ein, sie blieben aber nur ein paar Monate und seien dann wieder weg. Die Personallücke ist anschließend wieder da.
Auffangen könne die Metzgerei Klein den Dauermangel aber trotzdem: „Wir sind ein Familienunternehmen und arbeiten mit Leib und Seele“, sagt Klein. Deshalb ersetze die Familie das fehlende Personal durch eigene Mehrarbeit. „Immer ist das aber auch nicht möglich, man kann sich schließlich nicht zweiteilen.“Unterstützung erfahren zumindest die Verkäuferinnen seit geraumer Zeit durch einen HightechRoboter. Die ebenfalls in Straß ansässige Maschinenbaufirma Kirschenhofer hatte die Idee des Metzgermeisters realisiert. Der Roboter diene aber ausschließlich der alltäglichen Entlastung der Verkäuferinnen, sagt Klein. Er stehe im Verkaufskühlraum und lege die Waren, die Kundinnen und Kunden über eine kontaktlose Bestellung geordert hatten, auf ein Fließband, welches wiederum direkt zu Käuferin oder Käufer durchliefe. Diese Form der Bestellung sei sogar die ganze Woche über zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich, ergänzt Klein.
Auch Klein verortet die Ursache des Fachkräftemangels im fehlenden Nachwuchs. Als er noch in die Berufsschule gegangen sei, habe es noch 30 Schüler in der Klasse gegeben, bei ihrem letzten Auszubildenden seien es hingegen nur noch 17 gewesen. „Berufe in Metzgereien haben einfach einen schlechten Ruf“, stellt Klein betrübt fest. Gleichwohl sei dies völlig ungerechtfertigt. Um das auch den Jugendlichen zu verdeutlichen, hat der Betrieb in den vergangenen Jahren einiges unternommen. „Wir haben in den umliegenden Schulen Bildungsmessen gemacht, um über unseren Beruf aufzuklären. Außerdem haben wir Schulklassen eingeladen und durch unseren Betrieb geführt, damit sie einen Einblick gewinnen können“, sagt Klein. Auch Praktika habe man angeboten, die von einigen Schülerinnen und Schülern absolviert worden seien. „Im Nachhinein haben alle gesagt, dass sie nun ein besseres Bild von einer Metzgerei hätten“, betont der Metzgermeister.
Das Ringen um die besten Talente werde sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, prognostiziert Christian Fischer von der IHK Schwaben. Das Nachsehen könnten dabei häufig kleinere Betriebe haben. Einfach bedauerlich sei diese Situation, sagt Fischer, denn er ist überzeugt: „Man kann ins berufliche Leben nicht besser starten als mit einer Lehre.“
Und wie geht es bei Rüdiger Wengler weiter? „Ich gehe wieder in Anstellung“, sagt er. Es gebe in Weißenhorn ein „kleines pfiffiges Möbelhaus“, das ihn beschäftigen werde. Trotzdem werde der Schmerz über die unumgängliche Schließung des eigenen Betriebs bleiben, fügt Wengler hinzu.