Rigoletto feiert endlich Premiere
Theater Die Gilda im Rollstuhl – Hinrich Horstkotte greift in seiner Inszenierung auf bislang unbekannte Bilder zurück. Im Vorgespräch erklärt er, wie er die Verdi-Oper versteht.
Ulm Hinrich Horstkotte inszeniert gerade am Theater Ulm die VerdiOper „Rigoletto“, am kommenden Freitag ist Premiere im Großen Haus. „Im dritten Anlauf“, sagt der 50-Jährige, der mehrmals in der Vergangenheit als Kostüm- oder Bühnenbildner des Jahres nominiert war: Die Premiere musste wegen Corona-Infektionen zweimal verschoben werden. Die Theaterbesucher erwartet ein Opernabend um das zeitlose Thema der persönlichen Verantwortung – ein Stoff, an den Horstkotte mit viel Feingefühl und Wissen herangeht.
Ein einziges Mal wurde Victor Hugos Drama „Le roi s’amuse“aufgeführt – und dann sofort von der Zensur verboten, weil es Anspielungen auf historische Personen (speziell auch auf den als Schürzenjäger geltenden französischen Herrscher Franz I.) enthält, die als beleidigend empfunden worden waren. Verdi hatte es leichter, verlegte sein Librettist den Stoff um das zügellose amouröse Leben von Herrschern seiner Zeit doch von Paris nach Mantua, wo sich der Herzog aus der zu Verdis Lebzeiten bereits lange erloschenen Familie der Gonzaga den buckligen Hofnarren Rigoletto hält. Markus Francke wird den Herzog singen, Dae-Hee Shin die Titelrolle, und Maryna Zubko die weibliche Hauptrolle von Rigolettos Tochter Gilda, die vom Vater um jeden Preis vor den Nachstellungen des Herzogs bewahrt werden soll.
Auf dem Plakat des Theaters Ulm hält Rigoletto seine Tochter krampfhaft fest – Gilda soll für Männer nicht sichtbar sein. Horstkotte sieht in Rigoletto so etwas wie ein Münchhausen-by-proxy-Syndrom; eine psychische Erkrankung, bei der Betroffene Krankheiten und Symptome bei Dritten erfinden und sie regelrecht krank machen, meist um dann selbst in die Rolle des Pflegenden zu schlüpfen. In Horstkottes Version des Rigoletto zwingt der Narr seine Tochter in den Rollstuhl, um sie für Männer unattraktiv zu machen – doch genau das fordert den Herzog heraus, der sich gern mit Menschen mit Makeln umgibt, um selbst umso makelloser zu erscheinen, schildert der Regisseur, der auch die Kostüme der Inszenierung schuf. Sein Thema, erklärt Hinrich Horstkotte: Kann der Mensch sagen, er sei ohne Schuld daran, dass die Existenz anderer zerstört wird, nur weil er den Befehl hat, zu tun, was er tut? Ob heute im ukrainischen Butscha, ob in der NSZeit, ob als kalter Schreibtisch-Vollzieher in welchem Land auch immer: „Man ist nicht schuldlos, wenn man einem Befehl folgt, der andere Menschen ins Unglück stürzt“, ist Horstkotte sicher. Und: „Es fällt auf einen zurück!“
Das Ulmer Bühnenbild stand zwei Jahre lang aufgrund der Pandemie auf der Drehbühne, nun darf es ans Tageslicht. Maryna Zubko sei eine großartige Gilda, verspricht Horstkotte. Und im Rollstuhl zu singen, ist das schwer? „Ich habe während der Proben nicht daran gedacht, dass ich in dieser Rolle im Rollstuhl sitze“, sagt die Sopranistin. „Ich versuche, mich in die Situation zu vertiefen und sie zu erleben. Dieses Erleben und die innere Welt, die dadurch entsteht, sind dann die Realität in der Musik.“