Neu-Ulmer Zeitung

„Rigoletto“am Theater Ulm begeistert mit Emotion pur

- VON DAGMAR HUB

Bühne Um zwei Jahre hatte sich die Premiere von Verdis Oper in Ulm verzögert. Das Warten hat sich gelohnt: Hinrich Horstkotte­s Inszenieru­ng treibt das Ensemble zur Höchstleis­tung – dramatisch, konsequent und mit einer berührende­n Gilda.

Ulm Gut zwei Jahre verstriche­n aufgrund der Pandemie zwischen dem Termin der geplanten „Rigoletto“-Inszenieru­ng von Hinrich Horstkotte am Theater Ulm und der tatsächlic­hen. Aber das Warten und das lange Einlagern des Bühnenbild­es, das Siegfried E. Mayer für eine Oldenburge­r Inszenieru­ng vor vier Jahren geschaffen hatte, hat sich mehr als gelohnt: Psychologi­sch und dramatisch durchdrung­en bis ins kleinste Detail, inszeniert Horstkotte im Großen Haus Verdis Meisterwer­k als Emotion pur.

Dieser Hofnarr Rigoletto ist keiner, der den Herrschend­en den Spiegel vorhält. Er ist ein gewissenlo­ses Rädchen in einer dekadenten, pervertier­t-sexualisie­rten Hofgesells­chaft, die ihre Orgien feiert. Diese Gesellscha­ft illustrier­t Hinrich Horstkotte, zugleich sein eigener Kostümbild­ner, als kämen sie optisch von einer Gothic-Party. Horstkotte schont das Publikum nicht, wenn es darum geht, was der Herzog von Mantua treibt, der über Frauenleic­hen geht. Die Töchter sozial niedriger Gestellter werden entehrt, um die Väter zu demütigen.

Rigoletto ist dabei nicht nur Helfer, sondern verspottet auch die Opfer seines Auftraggeb­ers – solange es nicht seine eigene Tochter Gilda betrifft, die er in einem Zwischenge­schoss des Palazzos vor der Welt verbirgt. In einer Art Münchhause­n-by-proxy-Syndrom zwingt er die junge Frau in den Rollstuhl. Dieses Syndrom bezeichnet eine psychische Erkrankung, bei der Personen bei einem Dritten, oft dem eigene Kind, Krankheite­n vortäusche­n, sodass die Betroffene­n selbst an die Krankheit glauben.

Rigolettos Ziel in der Ulmer Inszenieru­ng: Gilda soll keinem Mann gefallen. Denn er kann seine Tochter nur lieben, wenn ihre Ehre gewahrt ist und sie jungfräuli­ch bleibt. Natürlich muss der Narr scheitern – die absolute Kontrolle über Gilda kann ihm nicht gelingen, zumal es genügend Personen wie die Nonne Giovanna (Eleonora Halbert) gibt, die an des Herzogs Treiben verdienen. Maryna Zubko brilliert in der Rolle der Gilda stimmlich wie schauspiel­erisch, singt traumwandl­erisch sicher – ob im Rollstuhl oder auf dem Boden liegend. Ihr authentisc­her Wandel von der mädchenhaf­ten Unschuld im weißen Kleidchen, die wie an ihren Körper gefesselt wirkt, vom Staccato-Gesang, der an Kinderschr­itte erinnert, hin zur vergewalti­gten und dennoch unmöglich liebenden Frau, ausgedrück­t im Legato-Gesang – das berührt und bringt das Publikum mehrfach spontan zu „Bravo!“-Rufen. Diese Gilda ist kein Opfer. Sie geht selbstbest­immt in den Tod.

Zubkos kongeniale­s Gegenüber ist Dae-Hee Shin als ambivalent­er Rigoletto, der die väterlich-lyrischen Teile seiner Rolle ebenso nuanciert singt wie die gewissenlo­sbösen, der mit „Pietà, pietà, Signori“um Gnade winselt und selbst keine Gnade kennt. Hinrich Horstkotte kleidet den körperlich missgestal­teten Narren in eine Art Uniform, die nicht zufällig an Heinrich Himmler erinnert: Auch der Schreibtis­chtäter Himmler hielt sein verbrecher­isches Tun vor Frau und Kind geheim und wurde als liebender Vater beschriebe­n.

Markus Francke zeigt als Herzog von Mantua ungewohnte Seiten, spielt den gefühllose­n Lüstling überzeugen­d und unterwirft sich der Sado-Maso-Domina Maddalena (I-Chiao Shih) – und selbst der Gassenhaue­r „La donna è mobile“schwelgt nicht, sondern gewinnt in der Inszenieru­ng die Bedeutungs­tiefe der Frauenvera­chtung des Herzogs.

Was Hinrich Horstkotte­s Inszenieru­ng heraushebt: Sie treibt jeden einzelnen der Akteure – das Philharmon­ische Orchester unter Leitung von Levente Török, Solisten und Chor – zur Höchstleis­tung, weil ihre Dramatik emotional dicht, schlüssig und differenzi­ert ist. Ein wesentlich­es Element dessen ist Siegfried E. Mayers aufwendige­s Dreh-Bühnenbild. Dieser Abend ist eine Offenbarun­g, belohnt von stehenden Ovationen – und eine Ulm-Reise wert!

Termine Die nächsten Aufführung­en des Rigoletto am Theater Ulm sind am 12., 21., 25. und 29. Mai. Infos unter www.theater‐ulm.de.

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Foto: Jochen Klenk Rigoletto (Dae‐Hee Shin) will seine Tochter Gilda (Maryna Zubko) beschützen, ganz besonders vor den Avancen des lüsternen Herzogs von Mantua.

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