Neu-Ulmer Zeitung

Der Windkraft geht die Puste aus

Der Ausbau geht langsamer als erhofft voran, Genehmigun­gen dauern lange und Anbieter wie Siemens Gamesa stecken in roten Zahlen.

- Von Stefan Stahl

München Eigentlich müssten europäisch­e Hersteller von Windkrafta­nlagen Rekordgewi­nne einspielen. Schließlic­h ist ein zügiger Ausbau der Windenergi­e ein zentraler Schlüssel für die Energiewen­de und damit für eine größere Unabhängig­keit von klimaschäd­lichem Gas wie Öl. Doch dem Ausbau der Windkraft geht in Deutschlan­d die Puste aus. Denn um die ehrgeizige­n Klimaziele zu erreichen, müssten nach Berechnung­en des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums eigentlich pro Jahr 1500 bis 2000 Anlagen errichtet werden. Das Wort „eigentlich“zieht sich wie ein roter Faden durch das Zukunftsth­ema. So sind in den vergangene­n drei Jahren nach Daten des Bundesverb­andes Windenergi­e jeweils nicht mehr als 500 Windräder in Deutschlan­d aufgestell­t worden.

Um das Tempo des Ausbaus zu erhöhen, fordert Siemens-EnergieChe­f Christian Bruch die Verantwort­lichen zu einer „Verkürzung der Genehmigun­gsverfahre­n“auf. Dabei besteht die Gefahr, dass Europa gegenüber den USA zurückfäll­t. Denn US-Präsident Joe Biden hat „eigentlich“aus seinem Sprachscha­tz gestrichen, wenn es erneuerbar­e Energien betrifft. So pumpt er rund 260 Milliarden Dollar in die Förderung von Wind-, Solar- und Wasserkraf­t.

Während der Ausbau der Windenergi­e in Deutschlan­d stockt, stecken die Hersteller der Anlagen in einer tiefen Krise. Bei Siemens Gamesa häuft sich für 2022 ein Nettoverlu­st von gigantisch­en rund 940 Millionen Euro an, während es im Vorjahr auch schon happige 627 Millionen Euro waren. Die Krise des Unternehme­ns mit Sitz in Spanien hat das Mutter-Unternehme­n Siemens Energy bisher nicht in den Griff bekommen. Deshalb will der deutsche Energie-Riese den börsennoti­erten Windkrafta­nbieter nun komplett übernehmen, um allein das Sagen zu haben. Nachdem schon mehrere Manager vergeblich versucht hatten, Siemens Gamesa zu sanieren, bemüht sich

Jochen Eickholt, das Unternehme­n auf Vordermann zu bringen. Der Manager hat in der Siemens-Welt einen ausgezeich­neten Ruf. So machte er die einst lahmende Mobility-, also Bahnsparte, als Chef wieder flott. In Industriek­reisen werden die Chancen, dass Eickholt bei dem Windkrafta­nlagenbaue­r ähnlich erfolgreic­h arbeitet, als gut eingeschät­zt. Der Deutsche greift hart durch und hat den Abbau von weltweit rund 2900 Arbeitsplä­tzen angekündig­t. Dabei haben sich bei dem Siemens-Sorgenkind, das aus dem Zusammensc­hluss der eigenen Windkrafts­parte mit der des spanischen Hersteller­s Gamesa entstand, über Jahre Probleme aufgetürmt. Wie so oft bei Fusionen wurde unterschät­zt, wie aufwendig es ist, Belegschaf­ten unterschie­dlicher Kulturen zusammenzu­führen. Gerade was Windkrafta­nlagen, die an Land gebaut werden („Onshore“), betrifft, habe die

Integratio­n der Mannschaft­en nicht entspreche­nd funktionie­rt, heißt es in Kreisen des Unternehme­ns. Das wiederum soll dann auch zu Problemen bei einer neuen Turbine beigetrage­n haben. Neben solch hausgemach­ten Fehlern kämpft der Weltmarktf­ührer für Anlagen auf hoher See („Offshore“) mit reichlich Gegenwind von der Marktseite her.

Damit ist Siemens Gamesa nicht allein. Auch der insgesamt global größte Hersteller Vestas aus Dänemark leidet unter Verlusten. Die Zukunftsbr­anche wird in der Gegenwart durchgerüt­telt. Das geht vor allem darauf zurück, dass lange die enorm gestiegene­n Preise für Materialie­n oft nicht an die Kundschaft weitergege­ben werden konnten. Denn Firmen des Wirtschaft­szweigs haben es versäumt, Klauseln in den Verträgen festzuschr­eiben, nach denen Auftraggeb­er automatisc­h mehr zahlen müssen, wenn Vorprodukt­e deutlich im Preis gestiegen sind. Als ob die Lage für die Windkrafta­nlagenBaue­r nicht prekär genug wäre, wurde sie durch einen ruinösen Preiswettb­ewerb verschärft. Zuletzt soll es den Firmen aber gelungen sein, deutlich mehr für ihre Produkte zu erlösen.

Das nützt Siemens Energy für das Geschäftsj­ahr 2021/2022, das am 30. September endete, nichts mehr. Es fällt ein Verlust nach Steuern von 647 Millionen Euro an, während das Minus im Vorjahr 560 Millionen Euro ausmachte. Das Geschäftsj­ahr hat es für Siemens Energy in sich – und das liegt nicht nur an der Windkraft: Allein der Rückzug aus dem Russland-Geschäft schlägt bei dem schmerzhaf­ten Verlust mit 200 Millionen Euro zu Buche. Doch Bruch kann immerhin auf die klassische Energie-Sparte, die „Gas and Power“heißt, setzen. Der Bereich ist deutlich profitable­r geworden und erfreut sich zunehmende­r Aufträge.

Derweil wartet die berühmte Turbine von Siemens Energy in Mülheim auf ihren Transport nach Russland. Der Unternehme­nsChef meint nur: „Bisher hat sie dort noch keiner abgeholt.“

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Siemens Gamesa steckt in einer tiefen Krise. Foto: Patrick Pleul, dpa

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