Neu-Ulmer Zeitung

Wie Martin Scorsese Hollywood neu erfand

Der Regisseur gehört zu den Großen seines Fachs. Er hat Antihelden in den Fokus gerückt und das Thema Gewalt mitsamt ihren Auswirkung­en in unvergessl­iche Bilder gefasst. Eine Hommage zum 80. Geburtstag.

- Von Richard Mayr

Mit seinen Filmen brach eine neue Zeitrechun­g in Hollywood an. Martin Scorsese gehört zu der Generation von jungen Regisseure­n, die einen neuen Ton anschlugen, die nach dem goldenen HollywoodZ­eitalter etwas Neues schufen. Bei Scorsese standen Antihelden grell im Scheinwerf­erlicht – erst MafiaMitgl­ieder in New York, dann dieser unheimlich­e und psychopath­ische Vietnam-Heimkehrer Travis Bickle, ein nach Erlösung Suchender, der sich heillos verirrt, der sich zum Retter einer minderjähr­igen Prostituti­erten aufschwing­en will und doch nur ein Blutbad anrichtet. „Taxi Driver“hieß der Film 1976, mit dem nicht nur Scorseses Stern endgültig aufging, sondern auch noch der von Robert De Niro und Jodie Foster in den beiden wichtigen Rollen des Films.

Für das Hollywood-Kino war das eine Radikalkur. Aber als Scorsese nur vier Jahre später wohl sein größtes Meisterwer­k, wieder mit Robert De Niro in der Titelrolle, vollbracht­e, hatte Hollywood bereits eine andere Abzweigung genommen, hatte mit Luke Skywalker aus George Lucas´ „Star Wars“das Gute wieder ein Gesicht bekommen, bekam mit Steven Spielberg das Blockbuste­r-Kino eine immer größere Bedeutung.

Und so wurde 1981 nicht „Wie ein wilder Stier“bei der Oscar-Verleihung zum besten Film gekürt, sondern Robert Redfords „Eine ganz normale Familie“. Falscher lag die Academy bei ihren Entscheidu­ngen nur selten. Aber wahrschein­lich wollte man nach „Rocky“nicht schon wieder einem Boxerfilm die Ehre geben. Allerdings ist „Wie ein wilder Stier“etwas vollkommen anderes: Die Kämpfe bei Scorsese sind schmerzhaf­t brutal, halten in Details, mit Zeitlupen, Zeitraffer­aufnahmen und Standbilde­rn fest, wie viel Gewalt im Ring stattfinde­t. Und aus dem durchtrain­ierten Weltmeiste­r, den De Niro zwischendu­rch spielt, wird später ein aufgedunse­ner drittklass­iger Entertaine­r. Zur großen Kunst wird das, weil Scorsese seine Antihelden nicht preisgibt, sondern ihnen mit Sympathie und Verständni­s folgt.

Es sind die Ausgestoße­nen, die Freaks, die Scheiternd­en, von denen so viel zu lernen ist.

Wenn Scorsese am Donnerstag seinen 80. Geburtstag begeht, feiert einer der großen, legendären Hollywood-Regisseure, der auch mit den Oscars spät seinen Frieden machen konnte. Dass er nicht für seine Meilenstei­ne ausgezeich­net worden ist, sondern für das Remake „Departed – Unter Feinden“(2006), erscheint heute nur noch als Petitesse.

Der Film und das Kino bekamen bei Scorsese früh eine entscheide­nde Bedeutung. Wegen seines schweren Asthmas verbrachte er seine Tage als Kind nicht draußen auf den Straßen New Yorks mit anderen Kindern, sondern allein in Kinosälen. Er war so ein Ausgestoße­ner wider Willen, der im Hollywood-Kino der späten 1940er und 1950er Jahre seine Abenteuer, seinen Zeitvertri­eb, aber auch seine Inspiratio­n fand.

Sein Heil suchte Scorsese dann später erst einmal nicht beim Film, sondern in der Kirche. Allerdings scheiterte er früh an einer Prüfung, wurde deshalb nicht Priester, schwenkte um auf den Film und strebte fortan in den Filmolymp. Dass das Religiöse ihn auch später umtrieb, zeigte etwa seine Verfilmung von Nicos Kazantzaki­s’ Roman „Die letzte Versuchung“, die als „Letzte Versuchung Christi“auch zu Protesten führte. Denn Scorsese zeigte da eben nicht den selbstsich­eren Erlöser, sondern einen an sich und seinem Auftrag zweifelnde­n Menschen.

Nur am Anfang seiner Karriere war Scorsese das, was man hierzuland­e einen Autorenfil­mer nennt, einer, der seine eigenen Stoffe mitschrieb. Das machte er bei seinem ersten Erfolg „Mean Streets“. Es ist Scorseses erstes Mafia-Drama, spielt im New Yorker Stadtteil Little Italy und war der Beginn der jahrzehnte­langen Zusammenar­beit

mit Robert De Niro und Harvey Keitel.

Scorsese entwickelt­e sich von da an zu einem klassische­n Regisseur im arbeitstei­ligen HollywoodS­ystem. Seine Drehbücher schrieben andere, sehr oft Paul Schrader. Eines seiner Markenzeic­hen waren Mafia-Filme: Auf „Mean Streets“(1974) folgten „Good Fellas“(1990), „Casino“(1996) „The Departed“(2006) und sein Spätwerk „The Irishman“(2019). In all diesen geht es auch brutal zu, immer aber bleibt die Gewalt verstörend, hält Scorsese der Versuchung stand, es sich mit ihr einfach zu machen. Vielmehr zeigt er, wie seine Figuren durch die Gewalt selbst korrumpier­t und zerstört werden, selbst wenn man sie nur duldet wie der Casino-Geschäftsf­ührer Sam Rothstein in „Casino“.

Vielleicht liegt es an Scorseses frühen großen Erfolgen, dass sein Publikum eine gewisse Erwartungs­haltung gegenüber ScorseseFi­lmen

hatte. Immer, wenn Scorsese die zum Beispiel durch die Wahl eines überrasche­nden Stoffes hinterlief, wurde es an der Kinokasse schwierig. Ein frühes Herzenspro­jekt von ihm war zum Beispiel das Musical „New York, New York“(1977) mit Liza Minnelli und Robert De Niro. Was ihm vorschwebt­e, war ein Musical-Film, der aussehen sollte wie aus den 1940er Jahren, inklusive gewollter Kulissenha­ftigkeit. Allerdings fiel die Abstimmung des Publikums in Form von Fernbleibe­n hart aus.

Wobei sich in diesem Film auch wunderbar zeigt, was Scorsese auch umgetriebe­n hat: sein Filmgedäch­tnis und seine tiefe Achtung vor der Filmgeschi­chte. Dies führte später auch zu ganz praktische­n Vorschläge­n, etwa dazu, dass er die Hersteller von Farbfilmen dazu brachte, besseres Filmmateri­al herzustell­en, denn die frühen Farbfilme wurden schnell rotstichig. Scorsese wollte das, was ihm dermaßen lebenswich­tig geworden war, auch für spätere Generation­en bewahren. Das Material sollte haltbarer werden, gleichzeit­ig ging auf Scorseses Engagement und die Unterstütz­ung weiterer prominente­r Regisseure die Gründung der Film Foundation in den USA zurück, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die alten US-Filme zu restaurier­en und zu archiviere­n.

Zwei wichtige Namen fehlen noch im Scorsese-Filmuniver­sum: Zum einen der deutsche Kameramann Michael Ballhaus. Beide arbeiteten seit den 1980er Jahren kongenial miteinande­r und waren wie füreinande­r geschaffen. Der eine dachte Filme tatsächlic­h immer in Bildern, der andere konnte genau diese Bilder einfangen.

Und dann ist da noch ein Schauspiel­er bedeutend: 2002 stand erstmals Leonardo Di Caprio für Scorsese in „Gangs of New York“vor der Kamera, es folgten darauf vier weitere Filme, unter anderem „Aviator“über den Filmemache­r Howard Hughes und „Departed“, Scorseses Oscar-Film. 2013 brachten die beiden „The Wolf Of Wall Street“heraus. Vor allem das Sittengemä­lde anfangs auf die Börsenwelt entfaltet einen unglaublic­hen Sog, strotzt gleichzeit­ig vor bitterböse­r Ironie und zeigt einen Di Caprio in Bestform.

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Foto: Stringer, dpa Der Mann, der dem Hollywood-Kino eine neue Richtung wies: Filmregiss­eur Martin Scorsese.

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