Fast sechs Jahre Haft für Hassbriefe an Prominente
Prozess gegen „NSU 2.0“-Drohschreiben lenkt erneut den Blick auf rechte Netzwerke bei der Polizei.
Frankfurt/Main Todesdrohungen, Gewaltfantasien und rassistische Beleidigungen: Im Prozess um die „NSU 2.0“-Schreiben ist der Angeklagte zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Das Frankfurter Landgericht sprach den 54-Jährigen wegen Volksverhetzung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, Beleidigung, versuchter Nötigung und Bedrohung schuldig.
Der aus Berlin stammende Alexander M. hat per E-Mail, Fax und SMS eine Serie von hasserfüllten Drohschreiben an Rechtsanwälte, Politikerinnen, Journalistinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens gerichtet. Zu den Adressaten gehörten Satiriker Jan Böhmermann, Moderatorin Maybrit Illner und Kabarettistin Idil Baydar. Begonnen hatte die Serie im August 2018 mit Todesdrohungen gegen die Rechtsanwältin Seda BasayYildiz und ihre Familie. Die Schreiben waren mit „NSU 2.0“unterzeichnet – in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hatten unter diesem Namen gemordet.
„Wir sind davon überzeugt, dass Sie die alle allein geschrieben haben“, sagte Vorsitzende Richterin
Corinna Distler mit Blick auf die Schreiben zum Angeklagten. „Die gesamte Drohserie ist wie aus einem Guss.“Hinweise auf Mittäter hätten sich nicht ergeben. Dies gelte auch für das erste Fax an die Anwältin. Basay-Yildiz hatte das große Leid, das die Drohungen gegen ihre Familie verursacht hätten, vor Gericht geschildert: Der Autor hatte mit dem „Schlachten“ihrer kleinen Tochter gedroht. Wie die Abfrage der für dieses Schreiben verwendeten Daten ablief, die im 1. Frankfurter Polizeirevier stattfand, habe nicht aufgeklärt werden können, sagte die Richterin. Bei den Ermittlungen war eine rechtsextreme Chatgruppe aufgeflogen, in der sich Beamte des Reviers austauschten. Auch von Polizeirechnern in Wiesbaden und Berlin waren Daten abgerufen worden, die für Drohungen verwendet wurden.
Die Frage, ob Alexander M. als Einzeltäter gehandelt habe, der sich unter Vorspiegelung falscher Identitäten die Daten bei der Polizei erfragt habe, wird unterschiedlich beantwortet. Die Nebenklägerinnen forderten nach dem Urteil weitere Aufklärung. Es sei unklar, wie ihre gesperrte Adresse zu dem Täter gelangt sei, so Basay-Yildiz. Die Indizien deuteten auf einen Beamten des Polizeireviers hin. Das Gericht habe auf ein Verfahren gegen Polizisten wegen Volksverhetzung verwiesen. Die ebenfalls von Drohschreiben betroffene LinkenVorsitzende Janine Wissler sagte, es sei Wunschdenken und Realitätsverweigerung zu sagen, es gebe keine rechten Netzwerke in der Polizei. (dpa)