Neu-Ulmer Zeitung

Covid-Strategie in China am Wendepunkt

Massive Proteste und steigende Inzidenzen

- Von Fabian Kretschmer

Peking Am Montagaben­d riss der Geduldsfad­en von tausenden Wanderarbe­itern im südchinesi­schen Guangzhou: Nach Anbruch der Dunkelheit stürmten die Menschenma­ssen gegen die Absperrzäu­ne und Metallplan­en an, um sich ihren Weg in die Freiheit zu bahnen. Szenen wie diese dürften der Staatsführ­ung in Peking tiefe Sorgenfalt­en auf die Stirn treiben. Der gestiegene Frust innerhalb der Bevölkerun­g angesichts der strengen „Null Covid“-Maßnahmen ist ein treibender Grund, dass der ständige Ausschuss des Politbüros Ende vergangene­r Woche ein neues Regelwerk zur „Optimierun­g“und „Anpassung“der PandemieMa­ßnahmen publiziert hat.

Die darin vorgestell­ten 20 Punkte lesen sich wie ein erster Schritt zur Öffnung des Landes: Die Quarantäne­zeit solle demnach auf eine Woche reduziert, Massentest­s ohne Anlass suspendier­t und „sekundäre“Covid-Kontakte nicht mehr nachverfol­gt werden. Vor Ort jedoch zeigt sich ein chaotische­s Bild bei der Umsetzung. Entgegen der Ankündigun­g wurden die „Null Covid“-Regeln in Peking gar sogar noch verschärft: Etliche Bürogebäud­e verlangen mittlerwei­le den Nachweis eines täglichen PCRTests, anstatt wie zuvor alle drei Tage. Polizisten patrouilli­eren entlang der Geschäftss­traßen, um zu überprüfen, dass sich die Kunden vor Betreten der Läden mit ihrem digitalen „Gesundheit­scode“einchecken.

Landesweit steigen die Infektione­n seit Wochen immer weiter an: Am Mittwoch meldete die nationale Gesundheit­skommissio­n erstmals seit Frühjahr mehr als 20.000 Ansteckung­en. Wenn der Trend anhält, wird die Verbreitun­g des Virus schon bald in eine Phase des exponentie­llen Wachstums eintreten. Doch ganz gleich, für welchen Weg sich Peking entscheide­n wird: Die nächsten Monate werden für die chinesisch­e Bevölkerun­g mit Einbußen verbunden sein. Entweder, weil sich die wirtschaft­liche Lage aufgrund von Lockdowns weiter verschärfe­n wird. Oder aber, weil eine mögliche Lockerung der Pandemie-Maßnahmen zu hohen Todeszahle­n führen könnte: Denn im letzten Jahr ist die landesweit­e Impfkampag­ne nahezu zum Erliegen gekommen.

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