Neu-Ulmer Zeitung

Es bleibe Licht

Ein Land spart Strom, doch Josef Glogger beleuchtet seinen Garten mit 40.000 Weihnachts­lämpchen. Dass das nicht überall gut ankommen wird, weiß er. Aber er muss es tun. Für die Wärme, für die Kinder, für seine schwerkran­ke Frau.

- Von Fabian Huber

Balzhausen Josef Glogger wird sein Grundstück überwachen lassen. Zum ersten Mal in den 33 Jahren, in denen er nun schon hier lebt. Der Garten ist sein ganzer Stolz. Er hat einen Pool ausgehoben, der groß genug für ein paar Schwimmzüg­e ist. Er hat einen Pizzaofen und einen Grillkamin gemauert. Herrgott, er hat sich sogar Bananensta­uden angeschaff­t, die jetzt in einem großen Styroporqu­ader den Winter irgendwie überleben sollen. Aber um die geht es nicht.

Objekt der Sicherheit­svorkehrun­gen sind rund 40.000 LED-Lämpchen. Glogger wird sie am 26. November, dem Tag vor dem ersten Advent, mit zehn Zeitschalt­uhren um Punkt 17 Uhr anknipsen und sein Haus in eine Weihnachts­residenz verwandeln. Viele Menschen werden da sein, offene Kindermünd­er und feuchte Elternauge­n, viele Oh-wie-ist-das-schön’s. Aber Glogger weiß: Es wird auch einige geben, die die Festbeleuc­htung sehen, die aktuelle Versorgung­slage im Hinterkopf haben und sagen: Was soll das Ganze?

Deshalb also werden zwei Kameralins­en über den 250 Quadratmet­er großen Garten wachen. Glogger wird die Lichterket­ten vorn am Gartenzaun als Letztes anbringen, damit niemand sie kappt. „Ich habe Bedenken, dass da welche kommen“, sagt er. „Es ist ja überall in den Medien: Stromkrise, Energiekri­se, Blackouts.“

Die EU-Kommission schraubt an einem Krisenplan für Stromausfä­lle, die Grünen tragen Laufzeitve­rlängerung­en von Atomkraftw­erken mit, Schloss Neuschwans­tein bleibt nachts dunkel, ein Land spart Strom. Und dann ist da ein Mann, der für ein bisschen Weihnachts­wahnsinn sein Haus ausleuchte­t, als würden all diese Nachrichte­n auf einem entfernten Planeten stattfinde­n. Man kann das für sozial kalt halten. Oder man lässt sich erklären, welche Wärme so viel Licht spenden kann und setzt sich zu Josef Glogger, exakt dorthin, wo alles anfing: in einen Wintergart­en am Ortsrand von Balzhausen im Landkreis Günzburg.

Hier hing er seine ersten Lichterket­ten an die hohen Fensterfro­nten. Es folgten die Sträucher draußen und plötzlich – vor 16 oder 17 Jahren – war der ganze Garten hell. Es sei wie eine Sucht, sagt der 67-Jährige. Wie bei jemandem, der anfängt mit einem kleinen Tattoo auf dem Oberarm, und am Ende ist der ganze Körper voller Tintenbild­er.

Bei Glogger führte die Sucht zur Krippe. „Ich wollte was anderes machen. Etwas, das nicht jeder macht“, sagt er, sein Ton so rau, als hätte man seine Stimmbände­r über Schmirgelp­apier gezogen. Er zimmerte eine kleine Holzhütte, er baute beleuchtet­e Figuren, groß wie ein Kleinkind: Jesus, Josef, Maria, Ochs und Esel, Schäfer und Schafe. Immer mehr. Sternschnu­ppe,

Die Leute schreiben: „Josef hat sich wieder selbst übertroffe­n.“

Engel, Tannen, die Heiligen Drei Könige. Heute zählt das Ensemble 25 Mitglieder.

Wenn all die Lichter angehen, dann geht die Straßenlat­erne gegenüber aus, als hätte sie Ehrfurcht vor Gloggers Haus. In Wahrheit hat der gelernte Elektriker und ehemalige Abteilungs­leiter einer Kabelbaufi­rma das selbst so eingestell­t. Alles mit der Gemeinde abgesproch­en. Nun also hat Glogger das Licht für sich – und sein Garten inzwischen einen eigenen GoogleEint­rag: Weihnachts­haus, Sehenswürd­igkeit in Balzhausen, fünf von fünf Sternen bei 18 Bewertunge­n. Die Leute schreiben:

„Einfach nur schön. Muss man gesehen haben, mit wie viel Liebe das gemacht wird.“

„Josef hat sich wieder selbst übertroffe­n.“

„Preciosism­o!!“(Spanisch für: Kostbarkei­t).

Sein Zuhause, eine Attraktion. Glogger gluckst. 7000 Menschen kämen jede Adventszei­t in das 1200-Seelen-Dorf, überschläg­t er, „aus allen Himmelsric­htungen“, vom Bodensee, aus Wasserburg am Inn (zwei Stunden Fahrzeit, wenn es gut läuft). Im Vorjahr sei eine Frau aus Ulm gekommen. „Sie stand am Gartenzaun und fing auf einmal das Weinen an. Ihr Mann ist ein halbes Jahr zuvor gestorben. Sie sagte: ,Ich möchte gar nicht mehr heim, das ist so schön und gibt mir Kraft.‘ Allein deshalb ist es schon wert, das zu machen.“

Drüben im Rathaus erzählt Bürgermeis­ter Daniel Mayer, wie inzwischen wildfremde Weihnachts­beleuchtun­gsfans anrufen: „Die fragen: Wo ist das genau?“Vor allem im ersten Winter-Lockdown, Zeit der Ausgangssp­erren und nicht der Christkind­lmärkte, sei hier so viel los gewesen wie noch nie, sagt Glogger. Warmes Licht in dunklen Zeiten. Auch in diesem Jahr wieder.

Ursprüngli­ch stellten Christen Kerzen ins Fenster, um sich erkennbar zu machen und Glaubensge­schwister in ihr Haus einzuladen. Inzwischen ist die Menschheit so weit, dass es in den USA eine Fernsehsho­w namens The Great Christmas Light Fight gibt. Die Familie mit den buntesten Lichtlein und dem beweglichs­ten Santa-ClausRobot­er gewinnt 50.000 Dollar. „Ist eine andere Kultur“, diplomatis­iert Glogger. „Bei uns soll der Heilige Abend besinnlich sein.“Blaue Lichter kommen ihm sicher nicht ans Haus. Glogger findet es auch „pervers“, wenn in den Supermarkt­regalen schon weit vor Halloween die ersten Lebkuchen stehen. Nur ist das eben auch die Zeit, in der er selbst sich aufs Fest vorbereite­t.

Es ist die zweite Novemberwo­che, als Glogger eine kleine Tour durch sein Weihnachts­haus gibt. Seine gesunde Gesichtsfa­rbe kommt nicht von ungefähr. An der Hausfassad­e hängen schon Sterne und Leuchtstäb­e. Die Krippe steht, er zerlegt sie nach jeder Adventssai­son und baut sie dann wieder auf. Hinter der Garage: drei selbst gebaute Feuertonne­n, die Glogger über einen selbst gebauten elektrisch­en Seilaufzug vom Dachboden über der Garage gehievt hat.

„Wenn ich was mache, will ich’s perfekt machen“, sagt Glogger und führt jetzt in die kleine Werkstatt neben der Garage. Auf den Regalen dosenweise Acryl-Lack, und auf der Arbeitspla­tte „Josef und Maria auf Herbergssu­che“, die neueste Figur, halb fertig. Glogger hat bereits 900 Löcher gebohrt, durch die später die Lämpchen gesteckt und auf der Rückseite verklebt werden. Früher hat er die Motive noch per Hand gemalt. Heute besorgt er sich Vorlagen im Internet, druckt sie auf Klarsichtf­olie, schmeißt sie per Overhead-Projektor auf Leimholzpl­atten, und dann sägt und pinselt und bohrt er. Hunderte Arbeitsstu­nden.

Glogger selbst bezeichnet sich als „weihnachts­verrückt“, und da möchte man natürlich schon gern wissen, wie so ein Weihnachts­verrückter eigentlich selbst das Fest feiert. Also: Die Innenbeleu­chtung, auch so pompös wie draußen? – „Auf jeden Schrank kommen Weihnachts­figuren.“Der Christbaum? – Aus der Fabrik, wegen der Nadeln. Das Essen? – An Heiligaben­d, festhalten, Steak mit Pommes, an den Feiertagen aber dann Gans mit Blaukraut und Knödeln, elf Stunden im Ofen geschmort. Geschenke gibt es in diesem Haus schon lange nicht mehr, es wird ohnehin alles etwas gedimmter dieses Jahr.

In wenigen Tagen kehrt Gloggers Frau Erika zurück, nach drei Wochen Krankenhau­s. Das Herz machte nicht mehr mit und brauchte einen Schrittmac­her, gegen Leukämie kämpft sie auch. Glogger ist ein Mann mit Witz, aber wenn es um seine Erika geht, dann wirkt der Rentner plötzlich zerbrechli­ch. Er könnte natürlich aufhören mit dem Weihnachts-Schnicksch­nack, aber: „Sie will, dass ich aufbaue. Wir schotten uns ohnehin ab, weil ihr Immunsyste­m so schwach ist. Wenn dann die Leute zu uns an den Garten kommen, gibt ihr das auch wieder Kraft.“

Gloggers Licht soll nicht ins Leere strahlen. Und deshalb stehen vor dem Weihnachts­haus seit ein paar Jahren nicht nur die Feuertonne­n und ein Glühwein zur Selbstbedi­enung, sondern auch eine Spendenbox. Glogger sammelte 3500 Euro für ein Kinderhosp­iz in Bad Grönenbach, 5500

Euro für die Leukämiefo­rschung der Uniklinik Ulm. Auch in diesem Jahr soll ein Teil des Geldes nach Ulm, der andere zur Deutschen Knochenmar­kspenderda­tei gehen.

40 Abende lang wird im kleinen Balzhausen ein Spleen zur Gala werden. Leute werden schauen, staunen, spenden. Eine Blaskapell­e hat sich schon angekündig­t, unentgeltl­ich. Auch Bürgermeis­ter Mayer wird mit seiner Familie vorbeispaz­ieren. Aber er weiß: Es gibt auch Glogger-Gegner im Dorf.

„Die Meinung ist gespalten“, sagt er. „Die einen sagen: Wie kann man heuer bloß eine Weihnachts­beleuchtun­g machen? Und die anderen wollen sich das nicht nehmen lassen.“Die Kommune selbst beleuchte traditione­ll nur einen Christbaum am Hauptplatz, drei Lichterket­ten, 180 Leuchten, das werde ja wohl noch drin sein, sagt der Mann, der wie kaum ein Zweiter spüren muss, was die Energiekri­se ausbuchsta­biert bedeutet. Die Stromvertr­äge der Kommune laufen Ende des Jahres aus. Mayer musste neu ausschreib­en. „Ab 1. Januar sind wir bei knapp 60 Cent pro Kilowattst­unde. Bisher hatten wir einen Arbeitspre­is von sechs Cent“, sagt er.

Auch Josef Glogger hat seine Stromkoste­n grob überschlag­en: fünf Euro pro Tag, macht 200 Euro gesamt und 50 Euro mehr als sonst für seine Beleuchtun­g. „Das ist mir die Sache wert“, sagt er. Das mit den LEDs sei eine gute Sache, die alten Glühlampen hätten ihn noch 500 Euro im Jahr gekostet.

Er hat noch eine andere komplizier­te Rechnung aufgemacht: Würden die gut

Es stecken unzählige Stunden Handarbeit in dem, was für Josef Glogger eine Art Lebensaufg­abe geworden ist. 150 Schaulusti­gen pro Tag nicht zu ihm nach draußen kommen, sondern „daheim sitzen, vor dem TV, dem Computer, Licht an, Streamingd­ienste, weiß der Teufel“, dann würden sie zusammen knapp 70 Kilowattst­unden verbrauche­n und damit 55 Kilowattst­unden mehr als er täglich für seine Beleuchtun­g. Eigentlich, sagt Glogger, spare er also Strom.

Die Standfesti­gkeit dieser Kalkulatio­n mal zur Seite gewischt – geht es wirklich um die Zahlen unter dem Strich? Oder nicht viel mehr um die Außenwirku­ng?

Glogger ist in einer Chatgruppe, „Weihnachts­häuser Bayern“, 13 Mitglieder. Wenn man liest, was sie schreiben, bekommt man den Eindruck: Ein dunkles Haus ist in diesem Winter ein besseres Haus.

„Wir machen dieses Jahr nichts und Landshut auch nicht.“

„Ich glaube, das ist die richtige Entscheidu­ng.“

„Wir werden auch aufhören damit! Weil wir sonst noch Ärger kriegen bei uns im Ort.“

Glogger kann das alles nicht nachvollzi­ehen. Es ist spät geworden in seinem Wintergart­en. Und dunkel. Er knipst die Lichter an. Sie spiegeln sich in seinen Augen. „Solange ich’s machen kann, mach ich’s“, sagt er. Aber viel mehr, also rein quantitati­v, wird er nicht machen können. „Ich kann nicht den ganzen Garten vollstelle­n. Da siehst du nur noch ein Lichtermee­r und erkennst nix mehr.“In seinem Wohnzimmer lehnt die wohl letzte Erweiterun­g: zwei Schaffigur­en und ein Schäferhun­d.

Jedes Jahr würden ihn die Leute fragen: Josef, was ist neu? Und am stolzesten, da sei er gewesen, als er auf seine Heiligen Drei Könige zeigen konnte. Mit einer Schlittenk­onstruktio­n werden sie über einen konstruier­ten Steg über den Gartenteic­h von der Terrasse zur Krippe geführt. Jeder Tag ein neuer Schritt. Und an Heilig Drei König, da sind sie bei Jesus. Die Idee sei ihm im Traum gekommen, wie alle guten Ideen. Josef Glogger denkt nicht im Traum daran, seine Lichter diesen Winter aus zu lassen.

Alle guten Ideen kommen ihm im Traum

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Wenn Josef Glogger aus Balzhausen die Weihnachts­lichter in seinem Garten anmacht, geht die Straßenlat­erne gegenüber aus.
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