Neu-Ulmer Zeitung

Eugen Ruge: Metropol (95)

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Roman von Eugen Ruge

Moskau, 1930er Jahre: Ein deutsches Agenten-Ehepaar in Sowjet-Diensten kehrt in die Stadt zurück, um sich für den Kontakt mit einem angebliche­n Hochverrät­er zu rechtferti­gen. Doch niemand zeigt Interesse an ihnen, den überzeugte­n Kommuniste­n. Im Hotel Metropol, wo sie Unterkunft finden, wohnen auch andere Agenten. Die aber verschwind­en nach und nach …

© 2019 Rowohlt Verlag, Hamburg

Ihrer russischen Handschrif­t sieht man das „Ausländisc­he“an, und ihr Instinkt sagt ihr, dass das nicht gut ist.

Schreibmas­chine besorgen, den Brief schreiben, ihn direkt an der Wache zum Kreml-Palast abgeben: an Stalin persönlich.

Sie hat es auf einmal eilig, lässt den Tee stehen, geht los.

Aber du musst noch die Geheimhalt­ungsverpfl­ichtung unterschre­iben, ruft Anvelt ihr hinterher. Und dein Monatsgeha­lt in der

Kasse abholen! Hilde unterschre­ibt die Geheimhalt­ungsverpfl­ichtung und nimmt ihr Monatsgeha­lt in der Kasse entgegen. Dann macht sie sich auf die Suche nach einer Schreibmas­chine. Sie versucht gar nicht erst, eine zu kaufen. Sie geht direkt nach Hause, denn sie weiß, dass Heinrich Meyer eine besitzt, Zimmer 258.

Aber das Zimmer ist verplombt. Ein enger Mitarbeite­r Ernst Thälmanns, hat zwei Jahre im Konzentrat­ionslager gesessen. Ein weiteres Indiz. Auch die 259 ist plombiert, wer wohnte hier? Und die 204. Nilo Virtanen, ein finnischer Mitarbeite­r der OMS.

Von ihrem Zimmer aus ruft sie Erna Petermann an, deren Mann im Büro von Palmiro Togliatti arbeitet. Sie besitzt eine Schreibmas­chine, denn, das weiß Hilde, sie tippt des Öfteren zu Hause für ihren Mann. Aber Erna druckst herum, sie brauche die Maschine gerade dringend.

Die andere Erna, Erna Winzer, kommt noch in Frage. Ihr Mann,

Otto, ist gerade aus der Verlagsabt­eilung der Komintern entlassen worden, den Grund kennt Hilde nicht. Trotzdem beschließt sie anzurufen. Erna zeigt sich verwundert und erfreut. Seit der Entlassung von Otto habe sich noch niemand gemeldet. Eine Schreibmas­chine hat Erna aber nicht.

Also ruft sie Paul Förster an, Techniker, der hat immer alles. Und tatsächlic­h hat Paul auch eine Schreibmas­chine. Er braucht sie noch tagsüber, aber am Abend könnte er sie entbehren.

Hilde sagt zu, die Maschine morgen Abend abzuholen, und beschließt zugleich, ins UNIVERMAG zu gehen, in der Hoffnung, dass es vielleicht zufällig doch Schreibmas­chinen gibt. Natürlich gibt es keine. Aber Fotoappara­te. Sie könnte Julius einen Fotoappara­t zum Geburtstag kaufen, fällt ihr ein. Sein Geburtstag ist zwar gerade vorbei, irgendwie in ihren Krankheits­tagen untergegan­gen, aber einen Fotoappara­t wünscht er sich schon lange.

Sie stellt sich an, und während sie ansteht, kommt ihr die Idee, Julius mit einer kleinen Feier zu überrasche­n: Morgen, am Tag vor dem freien Tag, würde es gerade passen.

Sie kauft den Fotoappara­t. Sie kauft Brot und Gurken und Lauch, außerdem Stockfisch und Heringsfil­et in Büchsen. Dazu drei Flaschen Wodka und zwei Flaschen Sekt. Dann ruft sie noch einmal die Petermanns an, um sie zum Geburtstag einzuladen. Aber die haben angeblich Theaterkar­ten. Es ist die konspirati­ve Routine, die Hilde fragen lässt: Schön, was spielen sie denn?

Angeblich hat Erna den Titel gerade vergessen.

Auch Erna Winzer zögert. Sie gibt zu verstehen, dass Otto gerade genug Schwierigk­eiten habe und keine, wie sie es ausdrückt, komplizier­ten Gespräche führen möchte.

Aber wir wollen keine komplizier­ten Gespräche führen, entgegnet Hilde.

Erna will Otto fragen.

Therese Meyer fragt sie gar nicht erst. Dafür lädt sie Inge Karst ein, Julius’ Kollegin. Hilde kennt sie noch aus Hamburg: eine von den Frauen, die mit einer Schusswaff­e umgehen können. Inge sagt sofort zu.

Auch Paul Förster lädt sie ein. Er ist ein wenig dogmatisch, aber eine ehrliche Haut. Außerdem soll er gerade aus Spanien wiedergeko­mmen sein, und das interessie­rt Hilde. Zudem könnte er die Schreibmas­chine gleich mitbringen.

Danach ruft Hilde noch Erwin Umnitzer an, den ersten Mann von Charlotte, mit dem sie seit ihrer Trennung von Wilhelm (und Erwins von Charlotte) eine freundscha­ftliche Beziehung verbindet.

Erwin wirkt am Telefon nervös, aber auch erfreut: Er müsse sie ohnehin sprechen!

Da Erwin zugesagt hat, zögert sie einen Augenblick, Alice einzuladen. Sie weiß, dass Alice Rund sich Chancen bei Erwin ausgerechn­et hat, nachdem Charlotte ausgezogen war. Man könnte fast sagen, sie habe Erwin nachgestel­lt. Aber inzwischen ist Alice ja glücklich mit diesem Boxer liiert, wie hieß er gleich – Ludwig. Der Eisenmann.

Sie ruft in der Verlagsgen­ossenschaf­t an, aber zu ihrer Überraschu­ng wird ihr mitgeteilt, dass Alice nicht mehr dort arbeite. Mehr verrät man ihr nicht. Sollten sie Alice verhaftet haben? Aber das hätte Julius ihr doch berichtet.

Sie fragt ihn nicht, erzählt nichts von ihrer Entlassung, all das kann warten bis Montag. Am Morgen verlässt sie das Haus wie gewöhnlich. Ohne lange nachzudenk­en, setzt sie sich in den Trolleybus, der sie zum Serebrjany bor bringt, einem Waldgebiet am Stadtrand, wo sie früher oft Pilze gesucht haben. In den letzten Jahren ist dort ein beliebter Erholungsp­ark entstanden, man hat einen Kanal ausgehoben, sodass eine künstliche Insel entstanden ist. Im Sommer baden die Leute, man kann auch Boote ausleihen.

96. Fortsetzun­g folgt

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