Neu-Ulmer Zeitung

Kleben Sie wohl!

Im Namen des Klimas heften sich Menschen auf Straßenasp­halt oder wahlweise an Monet und van Gogh. Bei allem Streit: Wer hängt hier woran? Wer haftet wofür? Und wie kriegt man den Stoff wieder von den Fingern?

- Von Veronika Lintner

„Sei wie eine Briefmarke. Klebe dich an irgendetwa­s fest, bis du dein Ziel erreicht hast.“Klingt das nach dem neuen Leitspruch der „Letzten Generation“? Ja wollen sich die Klimaaktiv­isten nun als einen netten Briefmarke­nsammlerve­rein verkaufen, mitten im Sturm um ihre Aktionen? Nein. Dieser Satz stammt von Josh Billings, Schriftste­ller, Zeit- und Spaßgenoss­e Mark Twains, 19. Jahrhunder­t. Aber da schwingt etwas mit in seinen Worten, als hätte der Amerikaner schon gerochen, dass der Kleber noch als Streitstof­f Karriere machen würde. Dass die Baumarkt-Regale mit Uhu, Pattex, Pritt plötzlich politische Gedanken wecken. Die Debattenbe­iträge schießen jedenfalls wie aus der Heißklebep­istole, nein sie flutschen und verstopfen und verleimen damit auch die geduldigst­en Gehörgänge durch ihre pure Masse, bis man die Argumente vor lauter Gepolter nicht mehr hört – Angst vor einer „Klima-RAF“(Zitat Alexander Dobrindt) hier, „Wer sich jetzt noch anklebt, ignoriert das Recht auf Leben“(Zitat Focus) dort.

Manchmal helfen auch kalte Zahlen, um heiße Köpfe wieder abzukühlen. Ein kurzer Blick in die Statistik: Jedes Jahr braut Deutschlan­ds Klebstoffi­ndustrie – das erklärt sie mit Stolz auf ihrer Verbandsse­ite – gut 1,5 Millionen Tonnen Stoff, der haftet, leimt, kittet. Dabei laufen so viele Klebestrei­fen und Klebefolie­n über die Produktion­sbänder, mit denen man in Summe, würde sich einer nur mal die Mühe machen, eine Fläche von einer Milliarde Quadratmet­er bedecken könnte. Zu abstrakt? Sie könnten ganz Rügen mit Tesa und Co. abkleben. Oder halb Teneriffa. Aber bevor noch ein Klima-Protestant auf die fixe Idee kommt, 40 Prozent des Saarlands abzukleist­ern, helfen vielleicht ein paar Gedanken in Ruhe: Was dies mit jenem zu tun hat, also der Kleber mit dem Klima, Leim mit Leben, liegt näher, als man vermuten mag. Eine vorsichtig­e Annäherung in drei Bastelschr­itten.

Kleben oder nicht, das ist immer eine Frage der Haftung: Wer haftet woran, wer haftet wofür. Das Berliner Amtsgerich­t Tiergarten hat ein Mitglied der „Letzten Generation“für eine Straßenblo­ckade zu 60 Stunden Freizeitar­beit verurteilt. Tatbestand: Nötigung. Es ist verboten, Menschen „mit Gewalt“zu etwas zu zwingen. In diesem Fall: im Verkehr auszubrems­en, mit der verklebten Hand auf dem Asphalt.

Und dass dieses Recht seine Richtigkei­t hat, daran zweifelt auch so gut wie niemand. Doch auf der anderen Seite der Barrikade fragen sie sich: Wer haftet denn für die Folgen der Klimakrise? Welche Verantwort­ung übernehmen die reichen Industries­taaten mit ihrem Riesenante­il am CO2-Ausstoß auf dem Erdball?

Kleben oder nicht, das ist auch immer eine Frage, woran wir hängen, woran wir uns gebunden fühlen. Kleben wir an dem Ideal, Leben mit fast allen Mitteln zu schützen vor dem, was da wohl droht in einer überhitzte­n, krisenvers­euchten Zukunft? An der Überzeugun­g, dass die Klimauhr ohne Erbarmen tickt und es die Politik aufrüttelt, wenn sich Menschen in ihrer Verzweiflu­ng an die Rahmen kostbarer Bilder kleistern? Oder aber hängen wir an dem Ideal, dass Protest in unserer Demokratie auch dann wirkt, wenn er nicht seine geballte Faust an den Asphalt leimt, sondern angemeldet, mit Trillerpfe­ife und Petitionsp­apieren, auf Straßen trommelt?

Und dann, im Jargon der Chemie, ist Kleben oder nicht immer eine Frage der – Verbindung. Und der Zwei-Komponente­nKleber, der dieses Porzellan wieder flickt, das zwischen den Fronten der Debatte zerbröselt, scheint noch nicht erfunden.

Deshalb noch einmal zurück zum Stoff an sich, alle Augen auf das hartnäckig­e Zeugs aus der Tube. Sekunden-, Schnellund Allesklebe­r, Bastler wissen: „Im Falle eines Falles klebt Uhu wirklich alles“. Aber was tun in Härte-Fällen, wenn der Heimwerker in seinem Keller plötzlich mit dem Ellenbogen an der Werkbank klebt? Aus Versehen, ohne Hintergeda­nken an das Klima. Der Industriev­erband Klebstoffe empfiehlt kulinarisc­he Mittel: Klebt Kleber an der Haut, hilft warmes Speiseöl auf der betroffene­n Stelle – ob Sonnenblum­e oder Olive, Geschmacks­frage. Ein namhafter Baumarkt gibt außerdem Tipps für alle Materialie­n: Verklebtem Glas (vielleicht eine Scheibe, hinter der ein kostbares Gemälde liegt?) kommt Spüli bei. Alternativ­en: Mayonnaise oder Butter, und wenn gar nichts hilft, Nagellacke­ntferner. Von Holz (man denke da an Bilderrahm­en) lassen sich Klebereste dagegen mit Wärme lösen. Will heißen: Föhnen, bis es tropft. Und am Ende bleibt immer die handgreifl­iche Variante: Mit den Fingernäge­ln die Klebereste abknibbeln. Aber mit Vorsicht!

Was kriegen wir uns in die Haare, über den Kleister. Man sehnt sich zurück nach den Zeiten, als Uhu noch mit friedliche­n Grüßen werben konnte: „Kleben Sie wohl!“

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