Der flexible Mister McCarthy
Der Minderheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus dürfte Nancy Pelosi als Sprecher des Hauses nachfolgen. Den nötigen politischen Spagat beherrscht er.
Kevin McCarthy hat in seiner politischen Laufbahn schon atemberaubende Loopings gedreht. Ein Telefonmitschnitt belegt, dass sich der Minderheitsführer der Republikaner unter dem Eindruck des Sturms eines rechtsextremen Mobs auf das Kapitol am 6. Januar 2021 für den Rücktritt von Präsident Donald Trump ausgesprochen hat. „Was er getan hat, ist inakzeptabel“, sagte McCarthy. Von dieser Sichtweise wollte er später nicht mehr viel wissen. Mehr noch, bald suchte er bei einem Besuch in Florida die Versöhnung mit Trump. Ist das noch Pragmatismus oder schon Opportunismus? „Kevin kam nach Mara-Lago geflogen, um meinen Hintern
zu küssen“, soll Trump den Canossa-Gang mit der ihm eigenen Boshaftigkeit kommentiert haben.
Mit nur 21 Jahren betrieb McCarthy seinen eigenen Imbissladen. Ein Lottogewinn öffnete dem Sohn eines Feuerwehrmanns aus Bakersfield/Kalifornien die Welt der Kleinunternehmer. Vom Sandwichverkäufer zum Top-Politiker – das hört sich nach einem echten amerikanischen Traum an. Gerne erzählt er, dass er aus Ärger über die wuchernde Bürokratie in die Politik gegangen sei.
McCarthy ist ein Ultrakonservativer. Er begleitete Donald Trumps Amtszeit stets loyal, gilt andererseits aber nicht als unberechenbarer Wüterich wie der Ex-Präsident. Virtuos laviert er zwischen den Positionen der gemäßigten Republikaner und dem Fanatismus der bedingungslosen Gefolgsleute Trumps. Jetzt könnte der 57-Jährige zum Sprecher, also zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, gewählt werden. In der USHierarchie hätte er dann das dritthöchste politische Amt in den USA inne. Bevor er der Ikone der Demokraten, Nancy Pelosi, auf diesem
Posten nachfolgen kann, muss er im Januar erst einmal die Mehrheit von 218 Abgeordneten erreichen.
Der voraussichtlich hauchdünne Vorsprung der Republikaner dort könnte diese Wahl für den verheirateten Vater von zwei Kindern zu einer Zitterpartie werden lassen. McCarthy ist auf die Stimmen von beiden Flügeln der tief gespaltenen Republikaner angewiesen. Kann dieser Spagat so gut funktionieren, dass es der Partei in den nächsten zwei Jahren gelingt, wieder mehr Wechselwähler zu überzeugen? Eigentlich nicht, aber Kevin McCarthy wird es versuchen – wie immer. Dass er flexibel bis zur Selbstverleugnung sein kann, hat er ja bewiesen. Simon Kaminski