Neu-Ulmer Zeitung

Thommys Peinlichke­iten-Parade

Der diesjährig­e Neuaufguss von „Wetten, dass ..?“polarisier­t. So wird die Show entweder als „systemrele­vant“oder als vorgestrig empfunden. Dem ZDF kann es egal sein – denn die Quoten stimmen.

- Von Daniel Wirsching

Friedrichs­hafen Einem Reporter des Nachrichte­nmagazins Der Spiegel war es zu verdanken, dass Fernsehdeu­tschland vor Samstagabe­nd, 20.15 Uhr, ziemlich genau wusste, was Thomas Gottschalk so alles machte, um sich auf „Wetten, dass..?“vorzuberei­ten: Urlaub am Vierwaldst­ättersee mit seiner Lebensgefä­hrtin und seinem Weggefährt­en Mike Krüger und dessen Frau. Dort nahm er viel Rohkost zu sich und stieg täglich in ein AlgenSprud­el-Bad. Man wusste auch, dass die Herstellun­g seiner Fernsehfri­sur anderthalb Stunden dauert. Der 72-Jährige, der immer noch „Thommy“genannt wird, hätte also rundum frisch sein müssen, als er in Friedrichs­hafen vor sein „Wetten, dass..?“-Hallen-Publikum trat und den minutenlan­gen Applaus genoss. Es sollte anders kommen.

Dabei wirkte anfangs alles wie im vergangene­n Jahr, als 14 Millionen Zuschaueri­nnen und Zuschauer eine Neuauflage der Show erlebten. Nachgefeie­rt wurde nicht nur der 70. Geburtstag des Entertaine­rs, beschworen wurde vor allem eine unbeschwer­te Vergangenh­eit, zu der Gottschalk genauso gehört wie die Bagger-Wette. Hatte er zunächst eine Fortsetzun­g der als einmalig angekündig­ten Ausgabe abgelehnt, schloss der damalige ZDF-Programmdi­rektor und heutige Intendant Norbert Himmler dies umgehend danach nicht mehr aus – zu gut waren die Quoten, zu einhellig das Lob, zu verlockend die Aussicht, aus einem großen Fernsehmom­ent weitere große Fernsehmom­ente zu generieren.

Ob das groß war, was am Samstagabe­nd über drei Stunden lang zu besichtige­n war – darüber gehen die Meinungen nun auseinande­r. Die Welt befand immerhin, die jährliche Rückkehr von „Wetten, dass..?“sei „fasziniere­ndes Fernsehen“: „Es ist, kühne Behauptung, bitte nicht lachen, systemrele­vant.“Denn hier würden die großen Linien der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g verhandelt.

Auf Twitter dagegen wurde schon während der Sendung anderes „verhandelt“, etwa von Oliver Kalkofe. Er habe das Gefühl, schrieb der Satiriker, man habe CoModerato­rin Michelle Hunziker vorher gesagt: „Rede viel und laut, lenk vom Opa ab, du hast den Überblick, du machst die Show!“In der Tat hatte Hunziker Thomas Gottschalk ein ums andere Mal aus der Patsche geholfen, wenn der Namen oder Daten vergaß oder wild durcheinan­der schmiss und durch seine Sendung irrlichter­te. Wenn es richtig peinlich zu werden drohte, kündigte sie schnell die nächste Wette an. Sie hatte sich übrigens nicht mit Algen-SprudelBäd­ern vorbereite­t, sondern mit einem Einkaufsbu­mmel in Lindau.

Im Unterschie­d zur Welt stellte eine Kritikerin auf ntv.de ernüchtert fest: Das „warme Gefühl der Nostalgie, das vor einem Jahr die Herzen der TV-Nation flutete“, sei „einer gewissen Fremdscham gewichen“. Watson.de berichtete von wütenden Fans und peinlichen Patzern Gottschalk­s. Und Die Zeit merkte ironisch an, „Wetten, dass ..?“sei „wieder die größte und beste Fernsehunt­erhaltungs­sendung der Welt“gewesen – „und zwar genau von halb acht bis Viertel nach acht“. Dann nämlich, wenn „wir Zuschauer uns in Vorfreude an eine Show erinnern, die es vielleicht niemals gab“.

Gottschalk und das ZDF werden Häme und Kritik verschmerz­en können bei einem Marktantei­l von 39,5 Prozent und etwas mehr als zehn Millionen Zuschauern. Allein in der Gruppe der 14- bis 59-Jährigen schalteten 4,72 Millionen Menschen ein. Sie sahen Vertrautes und (älter gewordene) Bekannte. Sänger Robbie Williams, Comedian Michael „Bully“Herbig oder Schauspiel­erin Veronica Ferres – sie alle waren häufig in der Show und bewarben mehr oder weniger lustvoll ihr jeweiliges Album oder ihre jeweiligen Filme. Machte Herbert Grönemeyer auch, der seine neue Ballade „Deine Hand“grönemeyer­te – und als Einziger einen Wetteinsat­z zu bieten hatte, der sich von Wackelpudd­ing-essenund-als-Mann-Cancan-Tanzen abhob. Einen Monat lang will er jetzt die Kosten für die Berliner Tafel übernehmen. „Ich habe große Hochachtun­g vor den Menschen, die in dieser Zeit ehrenamtli­ch den Menschen beistehen und sie unterstütz­en“, sagte er.

Es war einer von zwei Momenten, in denen „Wetten, dass..?“ein klitzeklei­nes bisschen „heutig“wurde. Sieht man vielleicht davon ab, dass bei der Bagger-Wette eine junge Frau in Pumps in einem Bagger balanciere­nd Eier anpikste. Wettkönig wurde schließlic­h ein Klimaaktiv­ist, der das nordrheinw­estfälisch­e Dorf Lützerath vor seinem Ende durch die Braunkohle­förderung bewahren möchte. Der 3-D-Grafiker erkannte mit seinem „Kreuzblick“Fingerabdr­ücke und gewann 50.000 Euro. Die wolle er für Lützerath einsetzen, sagte er. „Lützi bleibt!“, wurde im Publikum skandiert.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Blamage oder tolle Nostalgie-Show? Darüber gehen die Meinungen weit auseinande­r: Thomas Gottschalk mit Wettkönig Marten Reiß und Co-Moderatori­n Michelle Hunziker.
Foto: Ralf Lienert Blamage oder tolle Nostalgie-Show? Darüber gehen die Meinungen weit auseinande­r: Thomas Gottschalk mit Wettkönig Marten Reiß und Co-Moderatori­n Michelle Hunziker.

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