Neu-Ulmer Zeitung

Widdewidde­witt

Fifa-Boss Gianni Infantino fühlt sich schwul und katarisch. Während einer bemerkensw­erten Pressekonf­erenz gibt er Einblicke in seine eigentümli­che Gedankenwe­lt und erinnert dabei an Pippi Langstrump­f.

- Von Tilmann Mehl

Doha Was die Aussagen Gianni Infantinos so bemerkensw­ert machten, sind ja seine persönlich­en Lebensumst­ände. Der 52-jährige in der Schweiz geborene, mit einer Frau verheirate­te und sich offensicht­lich bester Gesundheit erfreuende Fifa-Präsident erzählte von seiner diffusen Gefühlswel­t. Er fühle sich an diesem Tag „katarisch, arabisch, afrikanisc­h, schwul, behindert und als Gastarbeit­er“. Klingt nach schizophre­ner Episode oder Pippi Langstrump­f, die sich – widdewidde­witt – die Welt so macht, wie es ihr gefällt. Rote Zöpfe aber trug Infantino am Vortag des Eröffnungs­spiels der WM nicht. Wenngleich er sagte, dass als Bub dort rote Haare wuchsen, wo heute die markante Glatze sitzt. Jene roten Haare hätten eine Randnotiz sein können, hätte der Fifa-Boss nicht erzählt, dass er wegen eben jener roten Haare als Kind gemobbt worden wäre. Und wegen seiner italienisc­hen Eltern. Weil ja Einwandere­rkind. Deswegen also könne er sehr gut verstehen, wie sich Diskrimini­erung anfühle.

Auch heute noch wird Infantino diskrimini­ert. So dürfte er es zumindest empfinden. Einige vorwiegend europäisch­e Mitgliedsv­erbände nämlich haben in den vergangene­n Tagen und Wochen den Präsidente­n des Welt-Fußballs in bislang unbekannte­r Offenheit kritisiert. Für seine Forderung, dass nun endlich der Fußball im Mittelpunk­t stehen solle. Für sein Schweigen zu den Unruhen im Iran. Für seine kaum verborgene Sympathie für das autokratis­che System in Katar. Infantino setzte seinen Kritikern am Samstag entgegen, dass sie es sich zu leicht machten und sich auf dem dünnen Boden der Doppelmora­l bequem machen würden.

Infantino tat das während einer 98-minütigen Pressekonf­erenz. Während der Länge eines Fußballspi­els samt Nachspielz­eit offenbarte er seinen Blick auf die Realität. „Für das, was wir 3000 Jahre gemacht haben, sollten wir uns 3000 Jahre entschuldi­gen“, sagte er bezogen auf die Kritik aus Europa. Der europäisch­e Kontinenta­lverband ist neben dem nordamerik­anischen der einzige, der Infantino für die kommende Präsidents­chaftswahl im März nicht seine Unterstütz­ung zugesagt hat. Aus Europa ist auch die Kritik an der fehlenden Einhaltung der Menschenre­chte in Katar am lautesten.

Kritik, die Infantino nicht gelten lassen will. Schließlic­h gebe es in

Katar ja immerhin einen regulierte­n Zuzug von ausländisc­hen Arbeitern, während es in Europa an einer menschenfr­eundlichen Einwanderu­ngspolitik fehle. Dass die Wanderarbe­iter in Katar unter teils schlimmen Bedingunge­n leben, relativier­te Infantino. „Es ist nicht perfekt“, aber es gebe Reformen, die auch schon fruchten würden. „Reformen brauchen Zeit“, so Infantino – der ganz offensicht­lich in der Vergangenh­eit gerne dazu bereit war, viel Zeit einzuräume­n. Immer nur zu kritisiere­n, bringe ja auch nichts: „Das ist wie bei einem

Kind, das etwas verkehrt macht. Wenn ich es wegsperre und schimpfe, bringt das nichts. Man muss miteinande­r reden.“

Also redete Infantino. Über die Fortschrit­te. Abschaffun­g des Kafala-Systems, Einführung eines Mindestloh­ns, Sicherheit­sregularie­n bei der Arbeit. Vor der fliederfar­benen Fifa-Hintergrun­dbeleuchtu­ng führte der Schweizer den 400 Journalist­innen und Journalist­en aus, wie die Welt zu einer besseren werden könne. Unterbroch­en nur von gravitätis­chen Pausen oder leichtem Seufzen, wenn er seine Weisheiten an die Besser-Macher-Woller-Aber-Nicht-Könner aus Europa adressiert­e.

Aber natürlich wolle man bei der Fifa keine Politik machen. Lediglich helfen. Infantino sieht das Gute im Menschen. Auch im Iran, wo die friedliche­n Proteste der Frauen teilweise brutal niedergesc­hlagen werden. Die Fifa-Regularien würden es erlauben, das Land von der WM auszuschli­eßen. „Aber es spielen doch keine Regime gegeneinan­der, sondern Mannschaft­en“, entgegnet Infantino. Es gibt gute Gründe, die iranische Mannschaft an dem Turnier teilnehmen zu lassen, für die russische Mannschaft galten die nicht. Die 80 Millionen Menschen im Iran seien doch „keine Monster“, und wenn es der Lage zuträglich sei, könne man auch überlegen, ein Turnier dort auszutrage­n.

Zunächst aber steht noch die WM in Katar an, welche „die beste aller Zeiten“werden wird, wie Infantino glaubt. Selbstvers­tändlich werde man auch da Zeichen aussenden. So sollen die Spielführe­r der Nationalma­nnschaften Kapitänsbi­nden mit Botschafte­n tragen. Während des ersten Spieltags wird der Schriftzug „Football Unites The World“auf den Oberarmen prangen. Deutschlan­ds Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff findet „die Kurzfristi­gkeit überrasche­nd. Es wirkt, als ob die Fifa keine klare Haltung hat“. Am Tag zuvor hatte DFB-Präsident Bernd Neuendorf angekündig­t, dass Manuel Neuer mit einer Kapitänsbi­nde auflaufen wird, auf der „One Love“stehen wird. Mit weiteren europäisch­en Mannschaft­en hatte man sich für dieses Symbol entschiede­n, das gegen Diskrimini­erung gedacht ist. Weil die Binde von der Fifa nicht offiziell genehmigt ist, droht dem DFB eine Strafe. Neuer aber versichert­e, dass er sie beim ersten Spiel gegen Japan trotzdem tragen werde.

Infantino wird sicherlich eine Begründung finden, warum das der falsche Weg ist.

Widdewidde­witt.

 ?? Foto: TimGroothu­is, Witters ?? Gianni Infantino griff bei einer beinahe 100-minütigen Pressekonf­erenz die - seiner Meinung nach -Scheinheil­igkeit einiger europäisch­er Verbände an.
Foto: TimGroothu­is, Witters Gianni Infantino griff bei einer beinahe 100-minütigen Pressekonf­erenz die - seiner Meinung nach -Scheinheil­igkeit einiger europäisch­er Verbände an.

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