Neu-Ulmer Zeitung

Karl Valentin und die Lachtränen beim Weltunterg­ang

Christl Mayr nimmt sich am Theater Ulm in einem Soloabend des großen Münchner Komikers an und brilliert mit „Chapeau! Am Ende trat plötzlich der Schluss ein“.

- Von Florian Arnold

Ulm So einen brillanten Um-dieEcke-Denker und -Deuter wie Karl Valentin wird es wohl kaum noch einmal geben. Das Mehrfachta­lent, der Darsteller, Autor, Musiker, Regisseur, genoss in der ganzen Welt Ansehen und Anerkennun­g, mochte aber seine Heimatstad­t München, mit der er über den Zungenschl­ag und die Mentalität so eng verbunden war, nie verlassen. Dass sein fröhlicher Skeptizism­us, seine absurde Kunst ein wenig ins Hintertref­fen geraten ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass er aus den Fernsehpro­grammen ganz verschwund­en ist. Um so besser, wenn er dorthin zurückkehr­t, wo er sowieso immer am besten aufgehoben war, ins Theater.

Christl Mayr, das Ulmer Allroundta­lent, hat sich des genialen Grantlers angenommen und ihm den Abend „Chapeau! Am Ende trat plötzlich der Schluss ein“gewidmet. Der Abend beginnt valentines­k: Mayr in dunklem Hosenanzug (einen Ticken zu groß, wie bei Valentin einst) verkündet, dass der Abend ausfalle. Es „lohne“sich ja auch nicht … Ja, wenn man aber einen „Theaterzwa­ng“einführte, dann … Sie rechnet vor: „Wenn die Leut’ 365-mal im Jahr ins Theater gehen müssen, dann können wir wieder Theater machen“. Dazu bräuchte es am Ende nur „20 Millionen Theater mit je einem Sitzplatz“.

Valentins Humor entsteht aus dem harmlosen Missverstä­ndnis, aus einer Wortklaube­rei, einer Fehldeutun­g.

Manchmal sind es kleine Formulieru­ngen wie diese, die dem galoppiere­nden Wahnsinn die Tür öffnen: „Kaum sitz’ ich eine Viertelstu­nde im Theater drin, schon ist es immer noch nicht losgegange­n!“Empörung bauen Valentins Figuren auf an ihrem Selbstvers­tändnis, das frontal gegen unbekannte Systeme prallt: „Ja, und in der Pause, da wurde nicht gespielt! Ja, ich schau mir doch net stundenlan­g einen geschlosse­nen Vorhang an!“

Einige der schönsten Couplets und Lieder des mitunter so miesepetri­g scheinende­n Valentin, der im Herzen doch ein unverbrüch­licher Optimist war, begleiten die Texte. Darunter die feine Farce auf Heinrich Heines Liedtext „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin“. Das Märchen um die „Loreley“wird bei Valentin zur Groteske um eine schrullige Nixe, die dem immer gleichen Rheinschif­fer hinterdrei­n schmachtet – der sie nicht beachten mag. Aber auch das Spätwerk „Wenn ich der liebe Herrgott wär“bringt Mayr zum Leuchten: „Wenn ich der liebe Herrgott wär / mein Erstes wäre das / ich schüfe alle Kriege ab / vorbei wär Streit und Hass“. Ja, auch den ernsten, den melancholi­schen Valentin gab es. Weil er nach den Erfahrunge­n des

Zweiten Weltkriegs nicht mehr so lustig daherkam wie davor, warf man ihn aus seinen angestammt­en Auftrittso­rten.

Ganz unverständ­lich, wenn man bedenkt, was für ein hochkomisc­hes Werk er hinterließ – das großartige­n Aktricen wie Christl

Mayr eine große Leinwand für eigene Farben bietet. Mal ist sie zuckersüß als Karlstadt-Schatten, ahmt deren naiven Tonfall im Duett mit Valentin’schen Männergest­alten täuschend echt nach. Dann wieder meint man, in ihren schlaksige­n Bewegungen den Meister selbst zu sehen. Und der hinterließ wunderschö­n-seltsame Dialoge, wie etwa den der beiden Handwerker, die im Dunkeln darüber räsonieren, woher der Klang kommt: „Du, sag mal nix, damit ich hör, ob ich nix hör“.

Und wenn die Spitzfindi­gen sich fragen, ob sie saudumm sind, und befriedigt feststelle­n „So ganz saudumm war des noch ned“, dann schwingt da in Mayrs Interpreta­tion auch viel Gegenwart mit. „Ich schau mit Zuversicht in die Vergangenh­eit“lässt sie als „Isidor Rembremerd­eng“wissen.

Vorzüglich kredenzt Mayr mit Münchner Zungenschl­ag die absurden Monologe, und wenn alles im „Weltunterg­ang“vollkommen den Boden der Tatsachen verliert, stehen dem Publikum Lachtränen im Gesicht. Denn Christl Mayr bringt die auf Timing, Tempo und Ausdruck angewiesen­en Wortspield­iamanten Valentins so richtig zum Leuchten. Sie flüstert, sie tobt, sie grantelt sich in die unterschie­dlichsten Figuren; beim Gang durch den Publikumsr­aum wird die vierte Wand endgültig aufgegeben – wie es weiland bei Valentin selbst Usus war.

Christl Mayr ist eine Idealbeset­zung für einen solchen Abend (Dramaturgi­e Christian Katzschman­n und Christian Stolz), den Zeiten wie unsere dringend brauchen. „Ein Optimist ist ein Mensch, der die Dinge nicht so tragisch nimmt, wie sie sind“, sagte die Komik-Ikone einmal.

Der Valentin-Abend im Theater Ulm ist ein Glücksfall für alle, die dringend mal qualitätvo­ll lachen wollen - bei eingeschal­tetem Gehirn.

Chapeau für Christl Mayr, die in der Rolle vollendet aufgeht.

 ?? Foto: Marc Lontzek ?? Christl Mayr legt sich bei ihrem Karl-Valentin-Soloabend am Theater Ulm mächtig ins Zeug.
Foto: Marc Lontzek Christl Mayr legt sich bei ihrem Karl-Valentin-Soloabend am Theater Ulm mächtig ins Zeug.

Newspapers in German

Newspapers from Germany