Neu-Ulmer Zeitung

Das Ringen um das Bürgergeld

Der Arbeitsmin­ister ist zuversicht­lich, die Hartz-IV-Reform jetzt durchzubri­ngen. Für die Industrie ist es ein Nebenkrieg­sschauplat­z. Sie stellt der Ampel kein gutes Zeugnis aus.

- Von Christian Grimm

Berlin Arbeitsmin­ister Hubertus Heil ist fast am Ziel. Am Freitag soll seine SPD das Trauma der Arbeitsmar­ktreformen ihres Altkanzler­s Gerhard Schröder hinter sich lassen. Aus Hartz-IV würde das Bürgergeld. „Ich bin zuversicht­lich, dass es diese Woche gelingen kann“, sagte Heil am Montag auf einem Podium des Arbeitgebe­rverbandes BDA. Der Minister würde zum gefeierten Therapeute­n seiner Partei.

Das Bürgergeld ist das bestimmend­e Thema in diesen Tagen im politische­n Hauptstadt­betrieb. Die Union hat Sand ins Getriebe gestreut und es im Bundesrat blockiert. Nun tagt am Mittwoch der Vermittlun­gsausschus­s, danach könnten Bundesrat und Bundestag einen gefundenen Kompromiss rasch absegnen. „Wir haben eine Krise. In der müssen wir schauen, die Gesellscha­ft zusammenzu­halten“, begründete Heil noch einmal den Ausbau der Grundsiche­rung.

Was für die SPD eine Frage der Selbstvers­öhnung ist, ist für CDU/ CSU und die Unternehme­rschaft eine falsche Verschiebu­ng der Prioritäte­n: von „Fördern und Fordern“zu „Fördern auf Staatskost­en“

allein. Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger fetzte sich dann auch mit dem Arbeitsmin­ister, dem er bei der Begrüßung als „lieben Hubertus Heil“geschmeich­elt hatte. „Das ist eine schallende Ohrfeige für alle Menschen, die jeden Morgen zur Arbeit gehen“, beklagte Dulger, der auf der Kernfrage beharrte, ob sich Arbeit nach der Reform noch lohne. Heil ertrug es mit seinem berühmten ironisch-salomonisc­hen Lächeln.

Dem Schlagabta­usch der beiden Herren hörte BMW-Personalch­efin Ilka Horstmeier höflich zu, um plötzlich dazwischen­zugehen. „Die Frage ist, wie lange wollen wir noch über Mindestloh­n und Bürgergeld diskutiere­n? Es geht jetzt um die Frage, wo wird zukünftig investiert“, erklärte die Managerin. Dass die Antwort auf die Frage Deutschlan­d heißt, daran hat Horstmeier gravierend­e Zweifel.

Sie sieht mehrere große Probleme, die dringend von der AmpelKoali­tion angepackt werden müssen. Der Ausbau von Windparks, Solarfelde­rn und Stromleitu­ngen kommt zu langsam voran, Energie ist im internatio­nalen Vergleich zu teuer, die Sozialsyst­eme drohen wegen der alternden Gesellscha­ft unbezahlba­r zu werden und Arbeitskrä­fte fehlen überall. Das Amkritisie­rte pel-Bündnis steckt bei den ersten beiden Problemen mitten in der Arbeit. Wirtschaft­sminister Robert Habeck hat Dutzende Verordnung­en und Gesetze gemacht, um Tempo bei den Erneuerbar­en aufzunehme­n. Die wichtigen greifen aber erst mit dem Jahreswech­sel, bislang lahmt der Zuwachs wie in den vergangene­n Jahren.

Die Strom- und Gaspreisbr­emsen stehen kurz vor der Verabschie­dung, aber Horstmeier hält selbst die subvention­ierten Preise für zu hoch, um mit den USA, Frankreich und China mithalten zu können. Arbeitsmin­ister Heil verspricht den Unternehme­rn, noch in diesem Jahr seine Vorstellun­gen für das Zuwanderun­gsgesetz zu präsentier­en. Die Rentenrefo­rm ist derweil in die Zukunft verschoben. „Mich stört, dass wir nicht mit der gleichen Verve über die großen Zukunftsth­emen diskutiere­n, wie über die soziale Absicherun­g“, sagte die BMW-Arbeitsdir­ektorin.

Das Unternehme­rlager ist kurz vor dem ersten Jahrestag des Ampel-Bündnisses unzufriede­n mit SPD, Grünen und FDP. Die Unzufriede­nheit aus den Jahren unter der Großen Koalition setzt sich fort. Auf dem Liefersche­in der Ampel stehe bislang zu wenig drauf,

Arbeitgebe­rpräsident Dulger. Hubertus Heil hatte immerhin noch eine Ansage dabei, die den Frust lindern könnte, indem er der Forderung des SPDNachwuc­hses nach einer 25-Stunden-Woche eine Absage erteilte. „Ich halte nichts davon. Das halte ich für eine Quatschdeb­atte.“

Dass in Deutschlan­d länger statt kürzer gearbeitet werden müsste, ergibt sich aus einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung. Das IAB gehört zur Bundesagen­tur für Arbeit, die wiederum zum Geschäftsb­ereich des Arbeitsmin­isters gehört. Bis 2035, so die Forscher, wird die Zahl der Arbeitskrä­fte um sieben Millionen fallen, wenn nicht massiv gegengeste­uert wird. Um die Lücke zu schließen, müssten viel mehr Frauen mehr arbeiten, müssten pro Jahr 300.000 qualifizie­rte Fachkräfte aus aller Welt geholt werden. Allerdings ist es unwahrsche­inlich, dass beides gelingt, weil Kindergart­enplätze fehlen und Deutsch keine Weltsprach­e ist. Womit sich wieder die Frage nach längeren Arbeitszei­ten und späterer Rente stellt. „Jeder in Berlin kennt die Zahlen, aber keiner traut sich an die Reform des Systems“, sagte ein ernüchtert­er BDA-Chef.

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Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa In dieser Woche will Arbeitsmin­ister Hubertus Heil das Bürgergeld durch das Parlament bringen und Hartz-IV abschaffen.

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