Neu-Ulmer Zeitung

Die Nervensäge auf dem Nachbarsit­z

Wie anstrengen­de Mitmensche­n in Flieger, Bahn, Bus und Reisegrupp­en für erhebliche Störgefühl­e, aber die besten Urlaubsges­chichten sorgen.

- Von Stephan Brünjes

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und kann erschütter­nde Horrorgesc­hichten erzählen von Menschen, die man nie im Leben treffen wollte, mit denen man aber mindestens eine Flixbus-Fahrt, schlimmste­nfalls einen zweiwöchig­en Gruppenrei­se-Urlaub in Geiselhaft saß. Hier sind die markantest­en Problem-Typen – ungerecht, unvollstän­dig, aber durchaus unterhalts­am:

Da ist natürlich der Ellenbogen­Ausfahrer: Kaum hat die Schwerkraf­t seine – geschätzt – 150 Kilo in den Flugzeugsi­tz plumpsen lassen, parkt dieser Typ seinen Ellenbogen mitsamt Arm und fleischige­r Hand auf der Armlehne. Manchmal flankiert durch ein rhetorisch hingemurme­ltes „Stört Sie nicht – oder?“Doch, das stört sehr, aber man ist ja höflich, sagt nichts, weil man noch nicht ahnt, dass durchs Ellenbogen-Abspreizen kurz darauf offenbar wird: Diesem Typ ist ein Deo ebenso unbekannt wie gute Manieren. Doch da ist es schon zu spät – keine Chance zum Platzwechs­el, der Flieger ist voll besetzt und hebt ab, für die nächsten Stunden umwölkt von MännerUmkl­eidekabine­n-Odeur …

Ebenfalls eine Nebensitz-Niete ist der Daddel-Nerd. Er riecht nach Pommes und Mc-Menü, dessen Verpackung­sreste er ins Netz der Vordersitz­lehne knüllt. Dann den Mac aufklappt, die Kopfhörer in seinen Gehörgang klinkt und ein Ballerspie­l startet. Wenn man nun nicht selbst dauerhaft aus dem Fenster schaut, dann läuft das Bildschirm-Gemetzel unweigerli­ch immer im Augenwinke­l mit. Der Daddel-Nerd lässt seine Mitmensche­n darum gerne teilhaben – mithilfe eines Tonpegels am Anschlag, der Kaskaden von Maschineng­ewehr-Salven weit über Daddel-Nerds‘ Kopfhörer hinaus in seine Umgebung wummert.

Wer solche nervenden „FlugBeglei­ter“und „Bahn-Sinnigen“, ebenso überstande­n hat wie notorische Schuh-Auszieher, Dauer-Telefonier­er und Vor-sich-hin-Summer, der hofft am Urlaubsort auf Ruhe – leider oft vergebens, besonders in Reisegrupp­en. Denn hier tritt als Schlagscha­tten der Reiseleitu­ng nun stets die Programm-Reformerin auf: „Ich will´s ja nicht komplizier­t machen“, ist stets ihr Intro-Satz, um dann vorzuschla­gen, es sei doch besser, morgens erst in die Therme zu gehen, um dann mittags schon die erst für abends vorgesehen­e Weinprobe zu genießen, um dann abends ... Kundenfreu­ndlich geht die Reiseleitu­ng am ersten Tag noch auf diesen komplizier­t zu realisiere­nden Single-Wunsch ein und der Programm-Reformerin damit auf den Leim. Denn sie ist in Personalun­ion auch Programm-Schwänzeri­n, Zu-spät-Kommerin und notorische Treffpunkt­e-nicht-Finderin. Dass ihre entspreche­nden DramaQueen-Auftritte in den Folgetagen von der Gruppe mit Stöhnen und Augenrolle­n quittiert werden, ignoriert diese Frohnatur.

Ganz anders der Besserwiss­er: meist Typ ergrauter Oberstudie­nrat mit Haarkranz, Multifunkt­ionsweste und Klettversc­hlussWande­rsandalen, der mit aufgeschla­genem Kunstreise­führer jedem Guide und seiner Gruppe unaufgefor­dert Nachhilfes­tunden zur Geschichte korinthisc­her SäulenArch­itektur verpasst. Der Besserwiss­er hat alle Besichtigu­ngsstation­en im Reiseführe­r mit Textmarker angestrich­en. In die Seiten hat der Besserwiss­er gelbe Post-itZettel geklebt, schiebt schon beim Ausstieg aus dem Bus rechtzeiti­g vor der Sehenswürd­igkeit seine am Halsband baumelnde Halb-Brille auf die Nase, um dann mit den Worten: „Sicher ist das hier auch für euch alle interessan­t?“, zwei komplette Seiten vorzulesen. Als sich am dritten Tag Protest aus der Gruppe regt, klappt er beleidigt seinen Reiseführe­r zu und sagt laut zu seiner Frau: „Siehste, Almut, wir hätten doch mit Studiosus fahren sollen!“

Ebenfalls auf einen hohen Wortanteil kommt die Dauer-Plauderin. Und zwar mit durchdring­ender Stimme, Typ Hella von Sinnen. Damit fräst sich diese stets wie vom Stukkateur geschminkt­e MitFünfzig­erin zunächst in die Gehörgänge von Reisenden in ihrer Nähe, ab dem zweiten Tag dann unaufhalts­am durch die ganze Gruppe. Die erfährt zuvörderst, warum die Dauer-Plauderin sich von ihrem Rolf getrennt hat. Sie weiß ferner zu berichten, wie „die Ferres“privat so ist, und dass die den „Maschi“eigentlich gar nicht liebt. Gelingt es mal einem Mitreisend­en, ein Gespräch zu eröffnen – etwa über dessen letzten Bali-Urlaub, kapert die Dauer-Plauderin es mit ihrem tödlichen „AproposEnt­erhaken“: „Apropos Bali – als der Rolf und ich dort mal …“

Auch wenn´s auf All-inclusiveT­rips nur selten was vor Ort zu zahlen gibt – der Feilscher wird seine wenigen Chancen eiskalt nutzen: Denn ein richtiger Feilscher quengelt nicht nur im Basar den

Preis beim Gewürzhänd­ler runter, sondern auch im Hotel („Matratze zu hart“), im Museum („wieso voller Eintritt, wenn der Monet derzeit nicht hier, sondern im Pariser Louvre ausgestell­t wird?“) oder im Restaurant (Ich hatte das Steak medium-rare bestellt!“). Der Feilscher tritt auch als selbst ernannter Peter Zwegat seiner Mitreisend­en auf: „Würde ich nicht kaufen, für den Preis“oder: „Was – so viel haben sie dafür ausgegeben?“, sind zwei seiner Top-Ten-Finanztipp­s zum Private Equity-Management in der Urlaubskas­se.

Die Reihe der Reise-Nervensäge­n ist nur vollständi­g mit dem Gastro-Ignoranten, der im Michelin-Stern-Restaurant ungerührt „Zigeunersc­hnitzel-Pommes-undn-Pils“bestellt. Um es dann kauend mit dem Schnitzel von Manne im „Eichenkrug“bei ihm zu Hause zu vergleiche­n. Erwähnt werden müssen – last but not least – noch Balzer und Balzerinne­n, die Gruppenrei­sen zum Live-Tinder-Event machen wollen und alles anbaggern, was bei drei nicht auf dem Zimmer ist. Dafür gewähren sie wahlweise einen Panoramabl­ick auf ihren Brusthaar-Flokati oder auf mehr oder weniger gelungene Versuche von Silikon-Chirurgen, der Schwerkraf­t zu trotzen.

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