Der Ulmer Weihnachtsmarkt ist gestartet
Im vergangenen Jahr wurde die Veranstaltung wegen Corona noch abgebrochen. Über die Pandemie redet auf dem Münsterplatz niemand mehr – über andere Krisen schon.
Ulm Auf den ersten Blick ist alles wie immer auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt: Aus der SteiffSchauhütte winken die Teddybären und in vielen Ständen dampft und qualmt es, die Menschen stehen davor und lassen sich den ersten Glühwein des Jahres schmecken. Auf den zweiten Blick sind durchaus Unterschiede zum bislang letzten normalen Weihnachtsmarkt des Jahres 2019 zu erkennen.
Nach drei Jahrzehnten als Attraktion auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt sind etwa die Glasbläser der Wertheimer Glaskunst nicht mehr da. Ein Stand, der in wenigen Wochen mit bis zu 40.000 Kilowattstunden so viel Energie wie zwei Wohnungen im Jahr verbrauche, sei „nicht vertretbar“, hieß es im Vorfeld.
Energie ist überhaupt bei den 120 Ständen, die noch bis einschließlich Donnerstag, 22. Dezember, geöffnet haben, das beherrschende Thema. Das fängt bereits im Märchenwald an. Timo
Zöllner, der Besitzer der 450 Kilo schweren echten Dampflokomotive, die seit Jahren die kleinen Freunde und Freundinnen des Ulmer Weihnachtsmarkts durch die Weihnachtswelt rattert, muss für die Steinkohle, das Achtfache bezahlen wie früher. Drei Kilo pro Stunde braucht die Lok. Den Fahrpreis habe er aber nur um 20 Cent erhöht. Die Fahrt für Kinder liegt bei 2,50 Euro. „Es soll sich ja jeder leisten können.“
Für den Herrn der Feuerwurst ist Kummer langsam zur Routine geworden. Zwei Jahre hatte Peter Burger, der Chef der Firma „Burger – Zelte & Catering“im Allgäu praktisch Berufsverbot, weil sich sein Unternehmen auf Veranstaltungen konzentrierte. Im vergangenen Jahr baute Burger in weiser Voraussicht die kleine Variante seines Wurst- und Glühwein-Stands auf – wegen der Pandemie musste der Ulmer Weihnachtsmarkt auf Geheiß der Landesregierung nach nur zwölf Tagen abgebrochen werden. Jetzt in einem Jahr in dem Corona keine Rolle mehr zu spielen scheint, baute Burger wieder die große Variante auf. Zweistöckig, samt zweitem „Stüberl“im OG, die für Weihnachtsfeiern reserviert werden konnten. „Wir waren nahezu ausgebucht“, sagt Burger. Doch diesmal machte dem Gastronomen nicht Corona einen Strich durch die Rechnung, sondern der Personalmangel. „Wir mussten alles absagen.“Das Obergeschoss steht nun leer, dem durch Corona ohnehin angeschlagenen Familienunternehmen gehen Tausende verloren.
Zu Hochzeiten hatte das auf Veranstaltungen spezialisierte Unternehmen mit Sitz in Weinried, einem Ortsteil der oberschwäbischen Gemeinde Oberschönegg im Landkreis Unterallgäu, einmal 50 fest angestellte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Jetzt, so Peter Burger, seien es noch sechs. Um den großen Stand auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt samt den Stuben im Obergeschoss richtig betreiben zu können, bräuchte Burger knapp 100 Köpfe. Derzeit stünden ihm aber nur 75 Aushilfen zur Verfügung. „Das ist einfach zu wenig.“
Die gestiegenen Energiekosten werden für Burger da zum Randaspekt.
Und das, obwohl Burger mit 40 Prozent höheren Kosten rechnet. Nicht nur die Strompreise treiben ihm Sorgenfalten auf die Stirn, auch sämtliche Rohstoffe – von Kartoffeln bis hin zum Senf seien oft um ein Vielfaches teurer geworden. „Es ist verrückt.“Verrückt seien auch so manche Lieferfristen: Spezielle Servietten für Spender etwa, um sich nach der
Feuerwurst die Hände abzuwischen, seien nicht lieferbar. 100.000 Stück habe er bereits im September bestellt, die jetzt aber erst im Dezember geliefert werden.
Den Wunsch nach einem „ganz normalen Weihnachtsmarkt“hat auch der Ulmer Gastronom Christian Becker (Stadthaus). Wie seine Kolleginnen und Kolleginnen versucht er Energie zu sparen. Etwa mit LEDs und neuen GlühweinZapfanlagen. Die bräuchten weniger Strom als die ganztägig dampfenden Kessel früherer Jahre. Die Zuversicht ist auch dieses Jahr einer Institution des Ulmer Weihnachtsmarkts ins Gesicht geschrieben. Das 77-jährige Weihnachtsmarkt-Urgestein Gabriele Hirschberg aus Illertissen bleibt ihrem Motto treu: „Ändere Dinge, die du ändern kannst, nehme Dinge hin, die du nicht ändern kannst.“Nicht geändert haben die Hirschbergs den Preis für ihren Standard-Glühwein: Wie im vergangenen Jahr kostet die Tasse vier Euro.
Die Begeisterung für den Weihnachtsmarkt hat nicht nur bei Gabriele Hirschberg Krisen und Abbrüche überdauert. Denn die Budenstadt hat Zugkraft bis nach Bethlehem. Aus dieser Stadt im Westjordanland kam vor Jahren der Kunstschnitzer George Almaray als Tourist nach Ulm auf den Weihnachtsmarkt. „Es hat mir so gut gefallen“, sagt er in Englisch. Und so reifte sein Entschluss, seine aus Olivenholz im Geburtsort von Jesus Christus geschnitzten Krippenfiguren unterhalb des höchsten Kirchturms der Welt feilzubieten. Sein Traum hat sich erfüllt.
Hohe Energiekosten und gestiegene Rohstoffpreise