Neu-Ulmer Zeitung

Der Ulmer Weihnachts­markt ist gestartet

Im vergangene­n Jahr wurde die Veranstalt­ung wegen Corona noch abgebroche­n. Über die Pandemie redet auf dem Münsterpla­tz niemand mehr – über andere Krisen schon.

- Von Oliver Helmstädte­r

Ulm Auf den ersten Blick ist alles wie immer auf dem Ulmer Weihnachts­markt: Aus der SteiffScha­uhütte winken die Teddybären und in vielen Ständen dampft und qualmt es, die Menschen stehen davor und lassen sich den ersten Glühwein des Jahres schmecken. Auf den zweiten Blick sind durchaus Unterschie­de zum bislang letzten normalen Weihnachts­markt des Jahres 2019 zu erkennen.

Nach drei Jahrzehnte­n als Attraktion auf dem Ulmer Weihnachts­markt sind etwa die Glasbläser der Wertheimer Glaskunst nicht mehr da. Ein Stand, der in wenigen Wochen mit bis zu 40.000 Kilowattst­unden so viel Energie wie zwei Wohnungen im Jahr verbrauche, sei „nicht vertretbar“, hieß es im Vorfeld.

Energie ist überhaupt bei den 120 Ständen, die noch bis einschließ­lich Donnerstag, 22. Dezember, geöffnet haben, das beherrsche­nde Thema. Das fängt bereits im Märchenwal­d an. Timo

Zöllner, der Besitzer der 450 Kilo schweren echten Dampflokom­otive, die seit Jahren die kleinen Freunde und Freundinne­n des Ulmer Weihnachts­markts durch die Weihnachts­welt rattert, muss für die Steinkohle, das Achtfache bezahlen wie früher. Drei Kilo pro Stunde braucht die Lok. Den Fahrpreis habe er aber nur um 20 Cent erhöht. Die Fahrt für Kinder liegt bei 2,50 Euro. „Es soll sich ja jeder leisten können.“

Für den Herrn der Feuerwurst ist Kummer langsam zur Routine geworden. Zwei Jahre hatte Peter Burger, der Chef der Firma „Burger – Zelte & Catering“im Allgäu praktisch Berufsverb­ot, weil sich sein Unternehme­n auf Veranstalt­ungen konzentrie­rte. Im vergangene­n Jahr baute Burger in weiser Voraussich­t die kleine Variante seines Wurst- und Glühwein-Stands auf – wegen der Pandemie musste der Ulmer Weihnachts­markt auf Geheiß der Landesregi­erung nach nur zwölf Tagen abgebroche­n werden. Jetzt in einem Jahr in dem Corona keine Rolle mehr zu spielen scheint, baute Burger wieder die große Variante auf. Zweistöcki­g, samt zweitem „Stüberl“im OG, die für Weihnachts­feiern reserviert werden konnten. „Wir waren nahezu ausgebucht“, sagt Burger. Doch diesmal machte dem Gastronome­n nicht Corona einen Strich durch die Rechnung, sondern der Personalma­ngel. „Wir mussten alles absagen.“Das Obergescho­ss steht nun leer, dem durch Corona ohnehin angeschlag­enen Familienun­ternehmen gehen Tausende verloren.

Zu Hochzeiten hatte das auf Veranstalt­ungen spezialisi­erte Unternehme­n mit Sitz in Weinried, einem Ortsteil der oberschwäb­ischen Gemeinde Oberschöne­gg im Landkreis Unterallgä­u, einmal 50 fest angestellt­e Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen. Jetzt, so Peter Burger, seien es noch sechs. Um den großen Stand auf dem Ulmer Weihnachts­markt samt den Stuben im Obergescho­ss richtig betreiben zu können, bräuchte Burger knapp 100 Köpfe. Derzeit stünden ihm aber nur 75 Aushilfen zur Verfügung. „Das ist einfach zu wenig.“

Die gestiegene­n Energiekos­ten werden für Burger da zum Randaspekt.

Und das, obwohl Burger mit 40 Prozent höheren Kosten rechnet. Nicht nur die Strompreis­e treiben ihm Sorgenfalt­en auf die Stirn, auch sämtliche Rohstoffe – von Kartoffeln bis hin zum Senf seien oft um ein Vielfaches teurer geworden. „Es ist verrückt.“Verrückt seien auch so manche Lieferfris­ten: Spezielle Servietten für Spender etwa, um sich nach der

Feuerwurst die Hände abzuwische­n, seien nicht lieferbar. 100.000 Stück habe er bereits im September bestellt, die jetzt aber erst im Dezember geliefert werden.

Den Wunsch nach einem „ganz normalen Weihnachts­markt“hat auch der Ulmer Gastronom Christian Becker (Stadthaus). Wie seine Kolleginne­n und Kolleginne­n versucht er Energie zu sparen. Etwa mit LEDs und neuen GlühweinZa­pfanlagen. Die bräuchten weniger Strom als die ganztägig dampfenden Kessel früherer Jahre. Die Zuversicht ist auch dieses Jahr einer Institutio­n des Ulmer Weihnachts­markts ins Gesicht geschriebe­n. Das 77-jährige Weihnachts­markt-Urgestein Gabriele Hirschberg aus Illertisse­n bleibt ihrem Motto treu: „Ändere Dinge, die du ändern kannst, nehme Dinge hin, die du nicht ändern kannst.“Nicht geändert haben die Hirschberg­s den Preis für ihren Standard-Glühwein: Wie im vergangene­n Jahr kostet die Tasse vier Euro.

Die Begeisteru­ng für den Weihnachts­markt hat nicht nur bei Gabriele Hirschberg Krisen und Abbrüche überdauert. Denn die Budenstadt hat Zugkraft bis nach Bethlehem. Aus dieser Stadt im Westjordan­land kam vor Jahren der Kunstschni­tzer George Almaray als Tourist nach Ulm auf den Weihnachts­markt. „Es hat mir so gut gefallen“, sagt er in Englisch. Und so reifte sein Entschluss, seine aus Olivenholz im Geburtsort von Jesus Christus geschnitzt­en Krippenfig­uren unterhalb des höchsten Kirchturms der Welt feilzubiet­en. Sein Traum hat sich erfüllt.

Hohe Energiekos­ten und gestiegene Rohstoffpr­eise

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Der Weihnachts­markt auf dem Ulmer Münsterpla­tz hat seine Tore eröffnet. Bis einschließ­lich Donnerstag, 22. Dezember, werden in den 120 Buden Waren, Getränke und Speisen verkauft.
Foto: Alexander Kaya Der Weihnachts­markt auf dem Ulmer Münsterpla­tz hat seine Tore eröffnet. Bis einschließ­lich Donnerstag, 22. Dezember, werden in den 120 Buden Waren, Getränke und Speisen verkauft.

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