Neu-Ulmer Zeitung

„Wir stehen für unsere Werte ein“

Niclas Füllkrug spricht vor dem WM-Auftakt über seine Einsatzcha­ncen, die „One Love“-Binde und warum sich sein Bremer Partner Marvin Ducksch keine Sorgen machen muss.

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Herr Füllkrug, das Wichtigste vorneweg: Wie geht’s? FußballDeu­tschland hat sich kurz gesorgt, dass der einzige Mittelstür­mer wegen eines grippalen Infekts ausfällt.

Niclas Füllkrug: Der hat mich tatsächlic­h kurz aus der Bahn geworfen. Es war gut, dass ich einen Tag Pause hatte, seit Montag bin ich wieder voll im Training. Ich habe gehofft, dass ich niemanden anstecke – das war auch ein Grund, den anderen besser mal aus dem Weg zu gehen.

Vergangene Woche haben Sie mit 29 Jahren ihr Debüt in der Nationalma­nnschaft gefeiert und prompt gleich das Siegtor gegen den Oman geschossen. Das ist nicht die schlechtes­te Bewerbung für einen Startelfei­nsatz im ersten WM-Spiel gegen Japan.

Füllkrug: Ich habe einen Trainingst­ag verpasst, der auch nicht ganz unwichtig war. In der Offensive ist bei uns generell viel Qualität vorhanden. Ich glaube aber schon, dass auch ich der Mannschaft etwas geben kann – in welcher Situation auch immer. Das entscheide­t der Trainer, er wird immer die beste Elf aufstellen.

Was können Sie denn der Mannschaft geben?

Füllkrug: Ein richtiger Mittelstür­mer kann viel Platz für die Mittelfeld­spieler schaffen. Die haben bei uns eine brutale Qualität und können mit ihrem Tempo dann gut in die Tiefe gehen. Ich glaube auch, dass ich eine gute Präsenz mitbringe und Innenverte­idiger binde. Außerdem kann ich als Wandspiele­r gut Bälle halten.

Würden Sie sich selbst aufstellen? Füllkrug: Klar, immer.

Wenn einer ‘nen Lauf hat, dann lass ihn laufen.

Füllkrug: Man weiß ja leider nie, ob es so weiterläuf­t. Wir haben wirklich sehr viel Qualität vorne drin. Wir werden schon eine gute Mannschaft auf den Platz kriegen, da braucht sich niemand Sorgen zu machen.

Bei Ihnen läuft es, bei Werder läuft es. Vor einem Jahr war das noch anders. Unter Markus Anfang saßen Sie zeitweise auf der Bank. Erst als Ole Werner übernommen hat, ging es für Sie und den Verein aufwärts. Ist der Trainerwec­hsel der Hauptgrund für den Aufschwung gewesen?

Füllkrug: Klingt langweilig, ist aber so: Der Hauptgrund ist Arbeit. Und dann muss immer noch einiges zusammenpa­ssen. Ich profitiere von der Mannschaft, bei der vieles passt. Aber klar: Es ist auch stark vom Trainer abhängig und ob er einem über 90 Minuten das Vertrauen gibt. Wenn man in dieser Saison mal genau drauf schaut, ist da schon das ein oder andere Tor von mir in den letzten fünf bis zehn Minuten gefallen.

Wie haben Sie eigentlich von ihrer WM-Nominierun­g erfahren? Füllkrug: Am Tag vor der offizielle­n Nominierun­g hat mich Hansi Flick angerufen. Das war ein kurzes Telefonat, aber natürlich eine coole Nummer.

Mit welchen Erwartunge­n geht man ans Telefon, wenn da die Nummer vom Bundestrai­ner auftaucht?

Füllkrug: Gespannt. Der Bundestrai­ner hat ja gesagt, dass er bei anderen auch teilweise angerufen hat, um ihnen abzusagen. Ich hatte mit einem Anruf gerechnet, weil ich wusste, dass ich im vorläufige­n 55er Kader war. Ich wusste aber nicht, was er übermittel­n würde. Dementspre­chend war die Freude sehr groß.

Hat sich die Familie auch gefreut? Sie haben ja auch eine dreijährig­e Tochter.

Füllkrug: Ja, klar. Meine Frau hat sich sehr mit mir gefreut. Es war schon etwas später am Abend, da hat die Kleine schon geschlafen.

Hat sie sich dann gefreut, als sie davon erfahren hat? Schließlic­h ist der Papa im besten – oder schlimmste­n – Fall über einen Monat nicht zu Hause.

Füllkrug: Wir haben hier in Katar die Möglichkei­t, dass auch die Familie vorbeikomm­en kann, das wird bei uns demnächst der Fall sein.

Wenn einem dann im Training Antonio Rüdiger gegenübers­teht und man weiß, dass der für Real Madrid spielt: Geht man da als Stürmer eines Bundesliga-Aufsteiger­s mit etwas Respekt an die

Aufgabe heran?

Füllkrug: Es ist wahrschein­lich von Vorteil, regelmäßig auf internatio­nalem Niveau zu spielen. Aber ich spiele in der Bundesliga auch gegen Mannschaft­en, die internatio­nal vertreten sind – und habe zum Teil auch gegen die getroffen. Ich hatte keinen unnötig großen Respekt. Viele von den Jungs hier kenne ich ja auch, weil ich schon gegen sie gespielt habe.

Ist das Niveau im Training merklich anders als bei Werder Bremen?

Füllkrug: Hier sind die 26 besten Spieler Deutschlan­ds versammelt. Einige sind Weltmeiste­r geworden, einige haben die Champions League gewonnen. Natürlich spielen die auf einem sehr hohen Niveau. Das merkt man auch im Training, das ist schon besonders. Es macht natürlich viel Spaß. Es macht aber auch Spaß, meine Qualitäten einzubring­en, weil ich glaube, dass ich den Jungs auch etwas geben kann. Weil wir in Bremen mit viel weniger Möglichkei­ten versuchen, erfolgreic­h zu sein. Dementspre­chend ist das für beide Seiten eine gute Situation.

Wenn man auf diesem Niveau trainiert, macht das nicht Lust auf mehr? Also jeden Tag auf diesem Niveau zu trainieren und zu spielen.

Füllkrug: Ich bin wirklich froh und stolz, bei Werder Bremen zu spielen. Ich weiß nicht, wann es das zuletzt gab, dass ein Aufsteiger einen deutschen WM-Fahrer gestellt hat. Ich habe eine super Mannschaft im Rücken, die offensiv einen sehr gepflegten Ball spielt. Davon profitiere ich auch. Ich habe vorne mit Marvin Ducksch einen Top-Partner. Es freut mich eher, dass es kein Hindernis ist, bei einem Aufsteiger zu spielen und trotzdem für eine Weltmeiste­rschaft nominiert zu werden.

Diese Weltmeiste­rschaft steht besonders wegen der Menschenre­chtslage im Fokus. Vor allem die Lage der Wanderarbe­iter wird immer wieder angesproch­en. Wird darüber auch in der Mannschaft geredet?

Füllkrug: Das wurde thematisie­rt, ja. Wir sprechen auch intern darüber und bekommen viel mit. Wir sind uns alle der Umstände bewusst und verurteile­n sie. Man muss es so deutlich sagen. Das ist total inakzeptab­el, aber die Macht, diese Dinge wirklich zu verändern, die liegt in anderen Händen. Wir können auf Dinge aufmerksam machen, können mit dem Finger darauf zeigen, darüber reden – aber die Entscheidu­ngen werden von anderen getroffen.

Die Mächtigen aber geben gerade kein gutes Bild ab, wie Diskussion und Verbot der „One Love“-Binde zeigen.

Füllkrug: Auch wenn wir auf die Binde verzichten müssen, was eine sehr enttäusche­nde Entscheidu­ng der Fifa ist, stehen wir weiter für unsere Werte ein. Aber es ist auch wichtig, den Disput zwischen den Verbänden nicht auf dem Rücken der Spieler auszutrage­n.

Sie trainieren ein bis zwei Mal am Tag. Was macht man eigentlich sonst den ganzen Tag bei einer WM?

Füllkrug: Wir haben eine sehr fleißige Mannschaft mit vielen Spielern, die neben dem Training zusätzlich individuel­l viel arbeiten. Dann stehen auch immer wieder mal Behandlung­en an, aber selbstvers­tändlich wird auch entspannt. Das gehört auch dazu. Wir sind viel zusammen und das finde ich echt cool bei dieser Mannschaft. Wir schauen natürlich auch zusammen Fußball.

Muss sich Marvin Ducksch Sorgen machen, dass Sie mit einem Nationalsp­ieler ein ähnlich harmonisch­es Duo bilden wie mit ihm? Sie haben sich selbst „die hässlichen Vögel“genannt. Gibt es hier auch einen hässlichen Vogel?

Füllkrug: Ich glaube, wir bleiben zu zweit. Das ist auch gut so, er ist ja mein Partner.

Interview: Tilmann Mehl

Zur Person

Niclas Füllkrug wurde am 9. Februar 1993 in Hannover geboren. Seine Fußballkar­riere begann er bei TuS Ricklingen. 2006 wechselte er zu Werder Bremen, später ging es über Nürnberg und Hannover 96 zurück an die Weser. Mit nun 29 Jahren steht der Stürmer erstmals im DFB-Aufgebot. (AZ) könnte Gündogan auf der Doppelsech­s spielen und Goretzka hinter den Spitzen.

Neben Musiala hat auch Serge Gnabry im Sturm seinen Platz sicher. Während Hansi Flick zur Aufstellun­g nur die Namen Neuer und Kimmich bestätigen wollte, deutete Joshua Kimmich an, dass der zuletzt gesetzte Thomas Müller seine Qualitäten am Mittwoch zeigen werde, weil er total fit sei. „Er ist wirklich eine Option“, bestätigte auch Hansi Flick. Auch Kai Havertz könnte die Alternativ­e im Sturmzentr­um sein, Niclas Füllkrug weiterer Anwärter für einen Wechsel. Dass vor Manuel Neuer in der Innenverte­idigung Antonio Rüdiger und Niklas Süle agieren werden, gilt als sicher, offen sind die Positionen auf den Abwehrseit­en, um die sich Thilo Kehrer mit Jonas Hofmann (rechts) und Christian Günter mit David Raum (links) streiten. Mit Neuer, Kimmich, Goretzka, Gnabry und Musiala würde der Bayern-Block aus fünf Spielern bestehen, Kimmich hat eine zentrale Rolle, er hat den größten Einfluss im Team, bestimmt das Aufbauspie­l und den Rhythmus. Flick und Kimmich betonten beide die Wichtigkei­t des Auftaktspi­els. „Alles ist möglich“, sagte Flick mit Blick auf die 1:2-Niederlage Argentinie­ns gegen Saudi-Arabien.

 ?? Foto: Federico Gambarini, dpa ?? Niclas Füllkrug ist zum ersten Mal bei einer WM dabei. Im letzten Testspiel gegen den Oman hat der Bremer den Siegtreffe­r erzielt.
Foto: Federico Gambarini, dpa Niclas Füllkrug ist zum ersten Mal bei einer WM dabei. Im letzten Testspiel gegen den Oman hat der Bremer den Siegtreffe­r erzielt.

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