Neu-Ulmer Zeitung

Die WM der Experten

Beim Turnier in Katar spielen Fachleute für Talkrunden eine große Rolle. Diese sollen Taktik, Regelkunde und Weiteres erklären. Das klappt oft gut, aber nicht immer. Eine TV-Kritik.

- Von Florian Eisele

Augsburg Wenn es eine Erkenntnis aus dieser eigenartig­en FußballWM gibt, die aus Katar übertragen wird, dann diese: Es reicht schon lange nicht mehr, nur noch über Fußball zu reden. Schließlic­h waren in den ersten Tagen die Themen abseits des Platzes mindestens genauso präsent wie Tore und Zweikämpfe. Stichworte hierzu: Infantinos unsägliche­r Auftritt in der Pressekonf­erenz, Irans stiller Hymnen-Protest, der Eklat um die „One Love“-Binde, überhaupt einfach Katar. Weil zumindest Letzteres nicht überrasche­nd kommt, haben die übertragen­den Sender so viele Experten wie wohl noch nie. Viele machen ihre Sache gut bis sehr gut – und es gibt schon jetzt Konzepte, die wohl weniger gelungen sind.

Als positives Beispiel sticht schon jetzt einer hervor, der am liebsten gar nicht als Experte, sondern in kurzen Hosen an dem Turnier teilgenomm­en hätte: Christoph Kramer. Der Gladbacher, der dank einer starken Hinrunde noch als möglicher WM-Kandidat gehandelt wurde, ist fester Teil der ZDF-Talkrunde. Der 31-Jährige glänzt mit Fachwissen, bezieht Stellung (Frankreich ist nach den vielen Ausfällen für ihn kein Titelkandi­dat mehr) und gibt auch erfrischen­d zu, wenn er für manche Dinge einfach keine Erklärung hat.

Fester Bestandtei­l jeder Talkrunde ist mittlerwei­le auch die Expertise eines Schiedsric­hters. Im ZDF erklärte Ex-Referee Manuel Gräfe am Montagaben­d, am Ende des ersten langen WM-Tags, noch mal die Konsequenz­en aus dem BindenBann. Demnach hätte die Fifa für den Fall, dass Manuel Neuer mit der „One Love“-Armbinde den Platz betreten hätte, dem DFB-Kapitän nicht nur eine Gelbe Karte geben können – selbst ein Spielabbru­ch sei möglich gewesen, so Gräfe.

Einen enormen Aufwand fährt der Rundumvers­orger bei dieser WM: MagentaTV, das Streaminga­ngebot der Deutschen Telekom, zeigt alle 64 Spiele dieser WM. 16 davon sind exklusiv bei dem Sender zu sehen – darunter zwei Achtelfina­ls, ein Viertelfin­ale sowie das Spiel um Platz drei, sofern

Deutschlan­ds Auswahl dabei nicht mitspielt. Der kostenpfli­chtige Sender will die potenziell­en Kunden mit so gut wie allem ködern, was derzeit auf dem Markt ist: Neben prominente­n Experten wie Michael Ballack gibt es parallel zum Spiel eine Web-Reaktionss­how, Weltmeiste­r Toni Kroos wird seinen Podcast als TV-Show aufführen und gegen Spanien als Gast im Studio sein. Das Gesicht der Übertragun­gen ist Moderator Johannes B. Kerner. Das ist ganz schön viel, meist gut – wirkt oft aber auch ganz schön überfracht­et. Ob es jedes TV-Format wirklich braucht, sei dahingeste­llt. Am Dienstag stand die erste Partie an, die nur bei MagentaTV zu sehen war: Saudi-Arabiens Überraschu­ngssieg gegen den (ehemaligen?) Turnierfav­oriten Argentinie­n.

Ex-DFB-Capitano Ballack präsentier­te sich dabei als routiniert­er Experte, der aber noch Luft nach oben hat. Kommentato­r Christian Straßburge­r lieferte auch hier ein Beispiel für „etwas drüber“und sprach schon in der ersten Hälfte davon, dass seine „Gänsehaut schon eine Gänsehaut“habe. Na ja.

Ein Kleinod der Übertragun­g war hingegen die Taktik-Analyse mit Jan Henkel. Der nimmt in der Halbzeitpa­use mit Unterstütz­ung von Ex-FCA-Trainer Manuel Baum die Taktik und Aufstellun­g der Teams unter die Lupe. Das gibt‘s zwar auch woanders, ist aber hier kurzweilig und auf den Punkt gebracht. Interessan­t etwa, wie die Rollenvert­eilung der Argentinie­r beim Elfmeter aussieht: Chef Messi überlässt seinen Mitspieler­n das Diskutiere­n, während er sich auf die Ausführung konzentrie­rt. Schon zuvor hatten Henkel und Baum die defensiven Anfälligke­iten der Niederland­e aufgezeigt.

Dass nicht alle Experten ihr Geld wert sind, zeigte hingegen der Deutsch-Tunesier Änis Ben-Hatira. Der war bei MagentaTV als CoKommenta­tor für Tunesiens weitgehend unbekannte Liga und Nationalel­f eingekauft. Was er sagte, waren jedoch meist Allgemeinp­lätze. Zudem war er akustisch nur schwer zu verstehen. Wie beim Turnier gilt aber auch bei den Experten: Richtig spannend wird es, wenn am Mittwoch Deutschlan­d ins Turnier einsteigt.

 ?? Foto: Wolfgang Kumm, dpa ?? Drei Gesichter des Streamingp­ortals MagentaTV, der bei der WM alle 64 Spiele überträgt: Moderator Johannes B. Kerner, Expertin Tabea Kemme und der ehemalige DFB-Kapitän Michael Ballack.
Foto: Wolfgang Kumm, dpa Drei Gesichter des Streamingp­ortals MagentaTV, der bei der WM alle 64 Spiele überträgt: Moderator Johannes B. Kerner, Expertin Tabea Kemme und der ehemalige DFB-Kapitän Michael Ballack.

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