Neu-Ulmer Zeitung

„Moses“rettet Venedig

Ein umstritten­es und teures System von Flutschutz­toren schützt die Lagunensta­dt seit 2020 vor Hochwasser­n. Jetzt kam es erstmals und erfolgreic­h zum Einsatz.

- Von Julius Müller-Meiningen

Venedig „Moses hat die Stadt gerettet!“So heißt es nun in und außerhalb von Venedig. Denn am Dienstag hatte sich eine der Sturmflute­n angekündig­t, die unter normalen Umständen die zum Unesco-Weltkultur­erbe zählende Lagunensta­dt überflutet hätte. In Venedig ist die Katastroph­e von 2019 noch gut in Erinnerung. Damals erreichte der Pegelstand 187 Zentimeter und richtete Schäden in Höhe von 250 Millionen Euro an. Doch dieses Mal blieb die Stadt am Dienstag und auch am Mittwoch trocken.

Starker Scirocco-Wind hatte das Adria-Wasser in Richtung Lagune gedrückt, drei Meter hohe Wellen wurden gemessen, eine Sturmflut drohte. Am Lagunenein­gang registrier­te man bereits einen Hochwasser­stand von 173 Zentimeter­n. Der Markusplat­z wird schon bei einem Pegel von 80 Zentimeter­n über Normalstan­d überflutet. 80 Prozent der Innenstadt wären früher unter solchen Bedingunge­n überschwem­mt gewesen. Dass es nicht dazu kam, verdanken die Venezianer und Venezianer­innen den Flutschutz­toren am Lagunenein­gang – dem modulo sperimenta­le elettromec­canico, kurz „Mose“genannt.

Meteorolog­en hatten das Hochwasser zu Wochenbegi­nn prognostiz­iert. In der Folge waren in der Nacht zum Dienstag die erstmals vor zwei Jahren in Betrieb genommenen 78 eisernen Flutschutz­tore hochgefahr­en worden. An den drei Öffnungen der Lagune konnte das Wasser aus der Adria die weniger tiefe Lagune nicht fluten. Mose verhindert­e damit die Überflutun­g Venedigs. In der Nähe des Markusplat­zes betrug der Wasserstan­d gerade einmal 66 Zentimeter über dem Normalstan­d.

„Alle Barrieren sind hochgefahr­en, die Stadt ist geschützt“, twitterte Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro und konnte sich einen Seitenhieb auf die Kritiker des Milliarden­projekts nicht verkneifen.

„Man muss den Mut haben, Entscheidu­ngen zu treffen, und an die Technik glauben“, schrieb er. „Die Venezianer werden keine Probleme mehr mit dem Hochwasser haben“, jubelte auch Paulo Costa, früherer Bürgermeis­ter der Stadt und ehemaliger Minister für Infrastruk­tur, der sich stark für den Bau des Mose-Schutzsyst­ems eingesetzt hatte.

Das Projekt, dessen Bau im Jahr 2003 begann, war lange Zeit sehr umstritten. Es verschlang mehr als sechs Milliarden Euro. Der Betrieb ist ebenfalls teuer und kostet jährlich rund 100 Millionen Euro. 2014 nahm die Staatsanwa­ltschaft 35 Personen wegen Bestechung im Zusammenha­ng mit dem Bau der Flutschutz­tore fest, darunter den damaligen Gouverneur der italienisc­hen Region Veneto, Giancarlo Galan. Er wurde zu einer knapp dreijährig­en Haftstrafe verurteilt.

Im Oktober 2020 wurde Mose schließlic­h in Betrieb genommen. Seither waren die Flutschutz­module 35 Mal im Einsatz. Über das dieser Tage verhindert­e Hochwasser

sagte Elisabetta Spitz, die für Mose zuständige außerorden­tliche Kommissari­n: „Es ist alles nach Plan verlaufen, das war ein sehr wichtiger Test.“Auch, weil die Stadt erst Anfang November gläserne Schutzbarr­ieren um die Markus-Basilika hatte errichten lassen.

Die Flutschutz­module von Mose sollen Hochwasser von bis zu drei Metern Höhe standhalte­n können und sind für einen Einsatz von etwa 100 Jahren ausgelegt. „Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie lange die Stadt durch Mose gesichert werden kann“, sagte daher Carlo Giupponi, Professor für Umweltökon­omie an der Universitä­t Ca’ Foscari von Venedig. Vor 40 Jahren sei man von einem Anstieg des Meeresspie­gels von 30 Zentimeter­n ausgegange­n, „aber in einem Jahrhunder­t müssen wir mit mehr als einem Meter rechnen.“Die kommenden Jahrzehnte dürfte Mose die Stadt schützen. Sollte der Meeresspie­gel allerdings stark ansteigen, werden neue Schutzmaßn­ahmen notwendig.

 ?? Foto: Claudio Furlan, dpa ?? Der 2020 in Betrieb genommene Mose-Staudamm bei Venedig ist erstmals zur Bekämpfung des Hochwasser­s im Einsatz – und schützte die Lagunensta­dt vor einer Überschwem­mung.
Foto: Claudio Furlan, dpa Der 2020 in Betrieb genommene Mose-Staudamm bei Venedig ist erstmals zur Bekämpfung des Hochwasser­s im Einsatz – und schützte die Lagunensta­dt vor einer Überschwem­mung.

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