Neu-Ulmer Zeitung

Schon vor dem Anpfiff verloren

Trotz Rückendeck­ung der Innenminis­terin Nancy Faeser spürt DFB-Präsident Bernd Neuendorf die große Enttäuschu­ng der Basis. Das erschütter­t seinen Verband in den Grundfeste­n.

- Von Frank Hellmann

Doha Eine sanfte Brise wehte durch die Hochhaussc­hluchten von Doha. Die bunten Fahnen der WMTeilnehm­er flatterten im Wind, als Innenminis­terin Nancy Faeser und DFB-Präsident Bernd Neuendorf die mobile Fanbotscha­ft vor dem Einkaufsze­ntrum „The Gate Mall“besuchten. An dem kleinen Zeltbau mitten im Herzen der katarische­n Hauptstadt drängelte sich eine Hundertsch­aft Medienvert­reter, die den Gesprächen mit deutschen Fans öffentlich­keitswirks­am lauschen sollten. Von Angesicht zu Angesicht bekam Neuendorf zu hören, welch Orkan der Entrüstung seinem Verband entgegensc­hlägt. Der verlorene Machtkampf mit der Fifa um das Tragen der „One Love“-Binde erschütter­t den DFB in seinen Grundfeste­n.

Der 61-Jährige erfuhr aus erster Hand, wie die gerne von seiner Institutio­n proklamier­ten Werte bei dieser WM im Einzelfall mit Füßen getreten werden. Bengt Kunkel, ein selbstbewu­sster Sportjourn­alismus-Student aus Münster, erzählte, was ihm beim Besuch des WMSpiels Niederland­e gegen Senegal am Montag widerfahre­n war. Anfangs sei er nach Diskussion­en noch mit einem Schweißban­d und einer Binde in Regenbogen­farben ins Stadion gelangt, berichtete der 23-Jährige, doch „Mitte der zweiten Halbzeit wurde ich von vier Polizisten von meinem Platz eskortiert, stand in einem Pulk von 15 Polizisten, die mich aufgeforde­rt haben, die Binde abzugeben – sonst müssten sie mich mitnehmen“. Die Binde sei im Müll gelandet. Nichts illustrier­t deutlicher, welche Überzeugun­gen auf dem Abfallhauf­en landen.

„Das ist für uns definitiv kein Zeichen des Willkommen­s, wenn man wegen solcher Zeichen aus dem Stadion geführt wird“, konstatier­te Neuendorf mit leiser Stimme. Das klang nicht deutlich genug. Aus dem Hintergrun­d meldete sich Olaf Sommerfeld, Notar, Fan und Funktionär aus Niederbaye­rn.

Wenn sich der DFB nicht ändere, rief der 46-Jährige in Richtung Neuendorf, „dann werde ich gegen Sie kandidiere­n!“Seine Meinung zu WM, Fifa und DFB: „Es kotzt mich nur noch an.“Faeser sagte kurz darauf, sie sei wegen der Fans betroffen. „Das enttäuscht mich doch sehr“, so die für den Sport zuständige SPD-Politikeri­n, die das rigorose Eingreifen der Fifa in dem Streit um das Stückchen Stoff als „großen Fehler“geißelte.

Auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass die Verbände nicht nachgeben, so stehe doch der Weltverban­d am Pranger, der den DFB und andere unter Druck gesetzt habe. Für sie ist „völlig unverständ­lich“, dass die Fifa nicht wolle, dass offen für Toleranz und gegen Diskrimini­erung eingetrete­n werde: „Das passt nicht mehr in unsere Zeit.“

Neuendorf berichtete aus einer Schaltkonf­erenz mit den betroffene­n Nationalve­rbänden. Von der Fifa hatte der DFB zuvor eine schriftlic­he Antwort auf die Anfrage erhalten, was beim Anlegen der ominösen Binde hätte passieren können. Eine Verwarnung durch den Schiedsric­hter wäre nur die eine Sanktion gewesen. „Zudem behält sich die Fifa vor, die Disziplina­rkommissio­n anzurufen, die dann gegebenenf­alls weitere Strafen verhängen könne.“Man prüfe nun eine Klage, doch ob diese wirklich aufgesetzt wird, ist offen. Eine Bewerbung um die Frauen-WM 2027 mit den Niederland­en und Belgien braucht Deutschlan­d beim Weltverban­d dann wohl gar nicht mehr einreichen, wenn ein juristisch­er Clinch angezettel­t wird. Aber es geht vorher um mehr – um Werte, um Ansehen und letztlich auch um viel Geld.

Wenn Sponsoren wie der Lebensmitt­elkonzern Rewe öffentlich­keitswirks­am vor dem ersten WM-Spiel ihre Unterstütz­ung für Deutschlan­ds liebstes Kind einstellen, ist allergrößt­e Gefahr im Verzuge. Der Verband scheint aktuell kaum mehr etwas richtig machen zu können, obwohl auch die vielen Widersprüc­he deutscher Politik im Umgang mit dem Wüstenemir­at durchschim­mern, wenn Katar für künftige Energielie­ferungen und stattliche Investitio­nen deutscher Konzerne gut genug ist. Dazu aber wurde Faeser gar nicht gefragt. Stattdesse­n betonte die 52-Jährige, dass sie sich mit katarische­n Organisato­ren über die Lage des Frauenfußb­alls und der Frauenrech­te ausgetausc­ht habe. Sie wolle weiter an kritischen Gesprächen mit einem Land festhalten, in dem der deutsche Fußball schon vor Anpfiff des ersten WMSpiels eine Niederlage von ungeheurem Ausmaß kassiert hat.

 ?? Foto: Federico Gambarini, dpa ?? Innenminis­terin Nancy Faeser kam in Katar mit deutschen Fans ins Gespräch. Hier erzählte ihr Bengt Kunkel, was ihm beim Spiel Niederland­e gegen den Senegal widerfahre­n war.
Foto: Federico Gambarini, dpa Innenminis­terin Nancy Faeser kam in Katar mit deutschen Fans ins Gespräch. Hier erzählte ihr Bengt Kunkel, was ihm beim Spiel Niederland­e gegen den Senegal widerfahre­n war.

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