Neu-Ulmer Zeitung

Schon als Kind ein Fan: Er kennt die Glocken im Landkreis und darüber hinaus

Pater Stefan, Prior des Prämonstra­tenserklos­ters, ist als Sachverstä­ndiger der besonderen Art unterwegs. Die Kirche mit seinem liebsten Geläut liegt im Landkreis-Norden.

- Von Dagmar Hub

Roggenburg Das Foto von der ältesten Glocke des Landkreise­s findet Pater Stefan Kling im Deutschen Glockenatl­as sofort, in Band zwei, der Bayerisch-Schwaben umfasst. Diese Glocke hängt in der Kirche St. Margaretha in Reutti. Pater Stefan, Prior des Roggenburg­er Prämonstra­tenserklos­ters, ist ausgebilde­ter Glockensac­hverständi­ger des Bistums Augsburg – und das seit 1999; es dürfte kaum jemand die Glocken der Region – und weit darüber hinaus – sowie die Geschichte der Entwicklun­g von Glocken besser kennen als er.

Schon als Kind sei er ein leidenscha­ftlicher Glockenfan gewesen, erzählt der aus Roth bei Pfaffenhof­en stammende Prior. So sehr konnte er sich für Glocken begeistern, dass sein Bruder den Kopf schüttelte. Heute macht die Arbeit als Glockensac­hverständi­ger etwa 10 bis 15 Prozent seiner Tätigkeit aus – und auf Türme steigt er sowieso gerne. Freilich ist Pater Stefan nur für die Glocken in katholisch­en Kirchen zuständig, aber wenn ihn ein evangelisc­her Pfarrer im Landkreis um Rat zu seinen Glocken fragt, steigt er auch schon einmal einem protestant­ischen Gotteshaus aufs Dach, und selbst die Glocken in der württember­gischen Umgebung kennt er bestens.

Ein in der NUZ erschienen­es Foto der Glocke des Schwörhaus­es konnte er zum Beispiel sofort zuordnen. Gegossen hat sie Hans Braun im Ulm im Jahr 1619, also zu Beginn des Dreißigjäh­rigen Krieges. „Aus dem feier bin ich geflossen hans braun in ulm hat mich gegossen anno domini 1619“, lautet die Inschrift auf der Schulter. Das

Ulmer Schwörhaus wurde im Dezember 1944 von Bomben zerstört, die im Oktober 1942 abgenommen­e Glocke wurde offenbar nicht eingeschmo­lzen, sondern kam vom Hamburger Glockenfri­edhof zurück.

Die Arbeit als Sachverstä­ndiger ist umfangreic­h und vielfältig: Pater Stefan Kling wird gerufen, wenn beispielsw­eise statische Fragen in einem Kirchturm auftreten und Probe geläutet werden muss, er wird gerufen, wenn ein Geläute neu ergänzt wird oder wenn irgendwo ein ganz besonderes Exemplar auftaucht. So wie bei einem Anruf aus dem Murnauer Moos. Pater Stefans Augen glänzen, wenn er davon erzählt. Beim

Anblick der Glocke erstarrte er vor Ehrfurcht: Aus Eisenblech gebogen, genietet und in Bronze getaucht stand da etwas von ihm, was er in die Zeit der Mission durch iroschotti­sche Mönche – also vom 6. bis 8. Jahrhunder­t – einordnen konnte und damit als eine der ältesten Glocken in Europa. Man vermutet, dass diese eine Handglocke eines solchen Missionsmö­nches gewesen sei. Möglicherw­eise, so Pater Stefan, habe der sie auch apotropäis­ch genutzt – also magisch zur Abwehr von Schaden. Meistens aber geht es bei der Fallbetreu­ung zunächst darum, zu recherchie­ren, was an Akten vorhanden ist, um danach ein Projekt zu begleiten. Zudem vergrößert Pater Stefan Kling die Archivsamm­lung von Dokumenten über Glocken. „Und sehr spannend ist es, ein neues Geläute zu entwerfen“, sagt der diplomiert­e Kirchenmus­iker, der auch Orgelsachv­erständige­r ist.

Und im eigenen Landkreis? Gibt es da Glocken, die er besonders gerne mag? „St. Michael in Unterelchi­ngen, das ja nicht zum Elchinger Kloster, sondern zu Kloster Salem gehörte, hat ein besonders schönes Geläut“, sagt er. „Und die Glocken von Reutti!“St. Margaretha, erbaut im 13. Jahrhunder­t, hat drei uralte Stücke, deren ältestes im 13. Jahrhunder­t, also zur Bauzeit, gegossen wurde. Die älteste Glocke des Roggenburg­er Klosters selbst stammt aus dem 14. Jahrhunder­t.

Ein ganz besonderes Erlebnis bescherte ihm die Ulmer Schwörgloc­ke – einmal durfte er sie läuten. Und dann ist da noch das hochsensib­le Politikum der Leihglocke­n, das ihn beschäftig­t: Etwa 1300 Glocken wurden während des Zweiten Weltkriege­s aus den ehemaligen deutschen Ostgebiete­n in den Westen des Reiches geschafft, um eingeschmo­lzen zu werden. Sie überstande­n den Krieg, die britische Militärreg­ierung verbot die Rückgabe hinter den Eisernen Vorhang. Eine von ihnen ist die große Glocke im Nördlinger Daniel: Sie stammt aus der zerstörten Marienkirc­he in Stargard im heutigen Polen.

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Foto: Dagmar Hub Pater Stefan Kling, Prior des Klosters Roggenburg, ist gefragter Glockensac­hverständi­ger.

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