Neu-Ulmer Zeitung

Vergisst die Politik die Hebammen?

Im Koalitions­vertrag haben die Ampelparte­ien zugesagt, die Geburtshil­fe zu reformiere­n. Die Probleme sind lange bekannt, doch verbessert hat sich bisher nichts. Bleibt das so?

- Von Christina Heller-Beschnitt

Augsburg Vor etwa einem Jahr waren viele Hebammen voller Zuversicht: Endlich sollte sich etwas tun in der Geburtshil­fe. Die Ampelparte­ien wollten natürliche Geburten fördern und dafür sorgen, dass die gleiche Hebamme eine einzige Frau während der gesamten Geburt betreut. Das ist bislang nicht üblich. Doch stattdesse­n geschah lange nichts. Zwischendu­rch sagten manche Hebammen gar, sie müssten darum kämpfen, dass sich die schlechte Lage nicht noch verschlech­tere. Was ist passiert?

Zurück zum Anfang, der Lage der Geburtshil­fe vor einem Jahr. Schon damals mussten Geburtssta­tionen und Kreißsäle schließen. In der Region war das etwa in Bobingen, Schwabmünc­hen und Aichach der Fall. Mal fehlten Hebammen, mal Ärztinnen und Ärzte, mal rechnete sich eine Geburtssta­tion nicht. Jeder geschlosse­ne Kreißsaal bedeutete dabei für die Frauen das Gleiche: Sie müssen fortan weitere Wege in Kauf nehmen und können nicht mehr frei entscheide­n, wo sie entbinden.

Ein zweites Problem: Bei Geburten im Krankenhau­s müssen Hebammen oft vier bis fünf Frauen gleichzeit­ig betreuen. Sie laufen von Geburt zu Geburt, anstatt bei einer Frau zu bleiben. Dabei zeigen Studien, dass es für die Gesundheit der Mutter und des Babys besser ist, wenn die Hebamme bleibt. Eins-zu-eins-Betreuung nennen das Fachleute.

Drittens gibt es in Deutschlan­d zu wenige Hebammen. Auch in diesem Beruf fehlen Fachkräfte.

Und viertens verdienen Krankenhäu­ser vor allem an Kaiserschn­itten. Wie viel eine Krankenkas­se für eine Geburt bezahlt, ist über Fallpausch­alen geregelt. Für einen Kaiserschn­itt gibt es mehr Geld als für eine natürliche Geburt. Eine Folge: Frauen bekommen unnötige Kaiserschn­itte. In Fachkreise­n wird das „finanziell­e Fehlanreiz­e“genannt. All diese Missstände sind lange bekannt, getan hat sich wenig.

Mit dem Antritt der Ampelregie­rung schien es, als bewege sich etwas. Im Juli veröffentl­ichte eine Kommission Vorschläge, um die

Geburtshil­fe besser zu finanziere­n. Darin heißt es etwa, dass Geburtssta­tionen, die im gleichen Krankenhau­s eine Fachabteil­ung für Kinderheil­kunde haben, mehr Fördergeld­er bekommen sollen.

Ein anderer Vorschlag: Geburtssta­tionen, auf denen bis zu 500 Babys pro Jahr zur Welt kommen, sollen ebenfalls bezuschuss­t werden. Mit steigender Geburtenza­hl soll dieser Zuschuss sinken und ab 1500 Geburten wegfallen. Die Vorschläge haben unter Fachleuten in der Geburtshil­fe Entsetzen ausgelöst.

In einem offenen Brief beklagten neun Fachverbän­de, dass keine der Empfehlung­en die bestehende­n Probleme löse. Stattdesse­n bleibe unklar, woher Personal kommen könne und wie es finanziert werden soll. Auch zum Thema der Eins-zu-eins-Betreuung fehlten Ideen.

Der nächste Aufruhr ließ nicht lange auf sich warten. Er kam in Form eines neuen Gesetzes. Das ändert, über welche Finanztöpf­e Pflegekräf­te bezahlt werden. Das Problem: Angestellt­e Hebammen, die Frauen vor und nach der Geburt im Krankenhau­s betreuen, hätten nicht mehr über das sogenannte Pflegebudg­et finanziert werden können. Dieses Geld ist nur noch für Pflegekräf­te vorgesehen. Hebammen hatten deshalb befürchtet, dass ihre Stellen auf den Stationen gestrichen werden. Denn wie sollte ihre Arbeit finanziert werden? Eine erfolgreic­he Petition kam ihnen zu Hilfe. In kürzester Zeit unterzeich­neten diese mehr als eine Million Menschen und Karl Lauterbach ruderte zurück. Das war vor etwa zwei Wochen. Und seitdem, so scheint es, bewegt sich etwas. Nur: Was?

Wissen müsste das das Gesundheit­sministeri­um. Doch das antwortet auf Anfragen nicht. Aber auch Saskia Weishaupt hat einen Einblick. Die Münchnerin sitzt für die Grünen im Bundestag und ist Obfrau im Gesundheit­sausschuss. Ihr Fachthema: Geburtshil­fe.

Weishaupt ist optimistis­ch. Im Gespräch sagt sie, dass es ein Fehler war, Hebammen aus dem Pflegebudg­et zu streichen. „Wir arbeiten schon an einer Änderung des Gesetzes und ich bin zuversicht­lich, dass diese in den nächsten Wochen umgesetzt wird.“Und die anderen Punkte? Was ist mit unnötigen Kaiserschn­itten oder der Eins-zueins-Betreuung im Kreißsaal? Das seien größere Projekte, die mehr Vorlauf und Planung benötigten. „Die Legislatur­periode dauert noch drei Jahre. Ich bin sicher, dass wir die Themen im kommenden Jahr angehen werden.“Auch der Deutsche Hebammenve­rband sagt mittlerwei­le: In ganz kleinen Schritten wandle sich nun etwas zum Positiven.

Manche Häuser haben dieses Ziel schon erreicht. Das berichten zum Beispiel zwei Hebammen aus dem Kreis Dillingen. Anne BraunSprin­ger und Elisabeth Dischler arbeiten freiberufl­ich. In ihrem Hebammenha­us geben sie Geburtsvor­bereitungs­kurse, besuchen Frauen im Wochenbett oder bieten Rückbildun­gen an. Außerdem arbeiten sie als Beleghebam­men im Kreißsaal in Donauwörth. Sie sind dort nicht angestellt, sondern Teil eines Hebammen-Teams, das einen Vertrag mit dem Krankenhau­s hat und Frauen im Kreißsaal begleitet. Im Jahr kommen in Donauwörth etwa 600 Kinder auf die Welt. „Im Schnitt sind das zwei Geburten am Tag“, sagt BraunSprin­ger. „Wenn eine Schicht zwölf Stunden dauert, kommt pro Schicht ein Baby auf die Welt. Das entspricht schon einer Eins-zueins-Betreuung.“

Sollte doch mal mehr los sein, können sie sich an eine weitere Hebamme wenden, die Rufbereits­chaft habe. Beide Frauen haben schon in größeren Häusern gearbeitet und genießen jetzt die Zeit, die sie für die Frauen haben. „So sollte es überall laufen“, sagt Dischler.

Wie in Donauwörth: „So sollte es überall laufen.“

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Foto: Alexander Kaya Hebammen und Ärzte fordern schon lange eine Reform der Geburtshil­fe. Doch wann tut sich etwas?

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