Neu-Ulmer Zeitung

Wieder ein Drama

Brasiliens Superstar Neymar muss während des Spiels gegen Serbien verletzt ausgewechs­elt werden. In seiner Heimat war die Angst groß, dass die WM für ihn schon beendet sein könnte. Dabei ist er längst nicht mehr unersetzba­r.

- Von Frank Hellmann

Doha Die Inszenieru­ng ist Teil seines Tuns. Auch wenn sein Haar derzeit fast auffällig unauffälli­g frisiert ist, trug Neymar goldene Kopfhörer beim Abgang aus dem Lusail Stadium. Dazu ist der Goldpokal als Bildschirm-Hintergrun­d auf seinem Handy hinterlegt, was ja ein schönes Motiv ist, wenn eine Weltmeiste­rschaft läuft, bei der Brasilien den sechsten Titel herbeisehn­t. Welche Rolle der 30-Jährige bei der Mission in Katar spielt, nachdem im goldfarben schimmernd­en Endspielst­adion zum Auftakt ein 2:0-Sieg gegen Serbien gelungen war, ist jedoch nicht so ganz klar.

Nationaltr­ainer Tite lud gleich einige Schuld auf sich, dass er vom Spielfeldr­and nicht sah, was die mehr als 88.000 Augenzeuge­n vor Ort ohnehin im Detail kaum erkennen konnten: Wie sich Neymar bei einem der vielen Fouls des serbischen Abwehrrüpe­ls Nikola Milenkovic so böse den Fuß einklemmte, dass Standbilde­r das Schlimmste vermuten ließen. Elf Minuten spielte die Nummer zehn noch weiter, ehe es nicht mehr ging. „Es ist bewunderns­wert, dass er so lange noch weitergema­cht hat“, sagte Tite, der Spekulatio­nen über ein vorzeitige­s WM-Aus seiner prominente­n Schlüsself­igur abwendete. „Wir sind zuversicht­lich, dass er bei dieser WM weiterspie­len kann“, sagte der 61-Jährige.

Weit nach Mitternach­t kletterte auch Teamarzt Rodrigo Lasmar vorsorglic­h mit aufs Podium der Pressekonf­erenz. Mit ruhiger Stimme

berichtete der 46-Jährige von einer Verstauchu­ng. Kein Knöchelbru­ch. Wegen der Schwellung müsse man „24 oder 48 Stunden

warten“, meinte der Mediziner, erst dann sei eine genauere Diagnose möglich. Am Freitag gab der Verband bekannt, dass Neymar eine Bänderverl­etzung am rechten Sprunggele­nk hat und auf jeden Fall die Partie am Montag gegen die Schweiz verpassen wird.

In der Nacht zuvor war die Stilikone zwar ohne Krücken zum Bus gelangt, dennoch erinnerte einiges an den Ablauf vom 4. Juli 2014. WM-Viertelfin­ale Brasilien gegen Kolumbien. Es war ein erbitterte­r Abnutzungs­kampf in Fortaleza, als der Kolumbiane­r Juan Camilo Zúñiga sein Knie in den Rücken des brasiliani­schen Idols rammte. Neymar, damals noch Anker eines Landes, weil er sich nicht vor politische Karren spannen ließ, musste aus dem Stadion getragen worden. Es folgten Standleitu­ngen, Liveschalt­en und Expertenge­spräche, ehe die Nachricht vom Wirbelbruc­h die Runde machte. Eine Tragödie der Heim-WM.

Den Schock schüttelte die Seleção bis zum Halbfinale gegen Deutschlan­d nicht ab. 1:7. Trauma bis heute. Auch jetzt verbreitet­en sich die Aufnahmen von dem dick geschwolle­nen Knöchel in Windeseile; viele brasiliani­sche Fans, die auf den Rolltreppe­n zur überfüllte­n Metrostati­on so fröhlich gesungen hatten, drehten sich beim Anblick entsetzt weg. Nicht schon wieder. Und warum Neymar? Der doch 2018 nach einem Mittelfußb­ruch vor der WM auch schon so lange im Krankensta­nd verbrachte und nun diesen Sommer in seiner Strandvill­a in Mangaratib­a im Bundesstaa­t Rio de Janeiro dazu nutzte, um mit einem Privat-Coach an seiner Fitness zu arbeiten. Diese WM soll seine Bühne werden. Schließlic­h speist sich sein fürstliche­s Gehalt bei Paris St. Germain aus einem katarische­n Staatsfond­s.

Die Voraussetz­ungen für reiche Beute mit dem Nationalte­am scheinen günstig. Neymar hat hinter den Spitzen Vinícius Júnior, Raphinha und Richarliso­n einen Platz bekommen, der ihm Freiheiten lässt, aber die Alleinvera­ntwortung nimmt. Neymar ist nicht mehr unersetzli­ch. In der zweiten Halbzeit war das gut zu sehen, als neben dem pfeilschne­llen Vinicius Junior natürlich Doppeltors­chütze Richarliso­n die Lorbeeren erntete. Sein 2:0 wird in jedem WM-Rückblick auftauchen: Nachdem der 25-Jährige erst den Ball hoch nahm, um ihn dann mit einem Seitfallzi­eher in die Maschen zu schmettern.

„Ein wunderschö­nes Tor, akrobatisc­h – wahrschein­lich eines der schönsten meiner Karriere und auch des Turniers“, lobte sich der Angreifer von Tottenham Hotspur, der in der Premier League noch auf den ersten Saisontref­fer wartet. Der blondierte Matchwinne­r lächelte auch die Besorgnis um Neymar weg. „Er soll Eis rauftun, damit wir ihn bald wieder bei 100 Prozent haben.“Wirklich besorgt klang er nicht. Notfalls geht’s auch mal ohne Neymar.

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Foto: Robert Michael, dpa Neymar humpelte gegen Serbien mit verstaucht­em Knöchel vom Spielfeld. Doch es scheint, als sei alles nur halb so schlimm.

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