Die Folgen des Ukraine-Kriegs: Verkauft R-Pharm den Standort Illertissen?
Die Russland-Verbindungen machen dem Unternehmen zu schaffen. Gespräche mit Investoren laufen bereits. Auch ein Verkauf ist denkbar.
Illertissen Die Verbindungen von R-Pharm Germany in Illertissen zum russischen Mutterkonzern machen dem Standort mehr zu schaffen, als bislang bekannt. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fließen Gelder nicht mehr so wie notwendig. Die Folge: Von zwei größeren Baustellen wurde eine gestoppt. Das Gesamtunternehmen macht sich auch Gedanken, wie es mit dem Werk in der Vöhlinstadt weitergeht. Sogar ein Verkauf ist denkbar.
Als Corona und ImpfstoffKnappheit noch das bestimmende Thema waren, machte der Pharmakonzern bundesweit Schlagzeilen. Auf einer neu errichteten Biotech-Produktionslinie sollte erst das Präparat AstraZeneca hergestellt werden, dann kam das russische Vakzin „Sputnik V“ins Gespräch. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erweckte in Zeiten des Bundestagswahlkampfes mit einem Vorvertrag den Eindruck, R-Pharm könnte beim Kampf gegen die Pandemie einen entscheidenden Beitrag leisten.
Mittlerweile ist das Schnee von gestern. Impfstoff ist kein Thema mehr. Die Hoffnung liegt auf Olokizumab. Vom Rheuma-Medikament
erhofft man sich größeren Profit. Laut Konzernsprecher Felix Schmitt könnte es bald marktreif hergestellt werden. Probeläufe finden auf den inzwischen fertigen Anlagen bereits statt. Im ersten Quartal des kommenden Jahres soll die Abnahme durch die Regierung von Oberbayern anstehen, wie die Behörde bestätigt.
Jene Abnahme war schon für Herbst vergangenen Jahres vorgesehen. Doch es kam zu Verzögerungen. Zum einen, weil mit der Entscheidung gegen die
Impfstoff-Herstellung „Druck“herausgenommen wurde. Zum anderen sei es zu nach wie vor anhaltenden Lieferschwierigkeiten gekommen. Erst wegen Corona, dann aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der daraus resultierenden „geopolitischen Lage“.
Letzteres führte zu „einigen Unsicherheiten“, sagt Schmitt. Und hatte auch zur Folge, dass der Bau der neuen Abfüllanlage weitestgehend heruntergefahren und nicht weiter vorangetrieben wird. „Eine Unterbrechung, die ärgert, aber sie ist das geringere Übel.“Es komme im Moment zu „massiven Schwierigkeiten aus dem eigenen Cashflow heraus“sich zu finanzieren. Schmitt nennt zwei grobe Zahlen: Der Standort mache einen jährlichen Umsatz von 70 Millionen Euro, investiert worden seien aber zuletzt 100 Millionen Euro. Zahlungsschwierigkeiten gebe es keine. Es gebe wohl Wege, wenn auch über Umwege, dass Geld vorhanden ist.
Der Geldfluss aus Russland aber sei abgeschnitten. Der Kreml selbst soll offenbar dafür verantwortlich sein. Es sei nicht gewollt, dass Gelder ins westliche Ausland abwandern. Was Schmitt wichtig ist: Weder R-Pharm noch der oberste Firmenchef Alexey Repik oder andere aus der russischen Führungsebene stünden auf einer Sanktionsliste. Dennoch würden Kunden und Lieferanten dem Standort „skeptischer“gegenüberstehen. Es gibt „Vorbehalte, mit uns zusammenzuarbeiten“.
Weil „Angst“besteht, dass nicht doch irgendwann Sanktionen kommen, gibt es Überlegungen, wie es weitergeht. Seit Wochen würden Gespräche mit möglichen Investoren laufen. Namen werden nicht genannt, um Verhandlungen nicht zu gefährden. Es seien weniger als zehn, die meisten davon europäischen und deutschen Ursprungs.
R-Pharm würde den Standort aufgrund seiner strategischen Bedeutung am liebsten behalten, ist aber „aus politischen Umständen heraus gezwungen“, einen Verkauf in Betracht zu ziehen. Der Firma nur einen anderen Namen zu geben, um die Beziehungen nach Russland zu verschleiern, sei nicht das Ziel. „Wir wollen nichts kaschieren oder verstecken.“Stattdessen sei es dem Mutterkonzern wichtig, dass das bestehende Geschäftsmodell weiter betrieben und eigene, vor allem internationale Produkte, aber auch die von Kunden weiter im einstigen Pfizer-Werk hergestellt werden. Es gebe verschiedene Möglichkeiten
und die wolle man nun ausloten.
Um die 450 Beschäftigte hat R-Pharm inzwischen. „Um den Job fürchten muss niemand“, sagt Schmitt. Der Konzern habe seit seiner Übernahme 2014 bewiesen, dass er sich seiner „großen Verantwortung“bewusst ist. Doch auch wenn laut Schmitt dem Personal „sehr früh“mitgeteilt wurde, dass es etwaige Gedanken gibt, treibt es die ungewisse Zukunft um. Anfang Dezember findet eine Betriebsversammlung statt. Dass hier schon verkündet wird, wie es weitergeht, ist nicht zu erwarten.
Illertissens Bürgermeister Jürgen Eisen hat von Verhandlungsgesprächen gehört, mehr wisse er nicht. Er habe keinen Kontakt zum Chef in Russland. Ein Wechsel, so Eisen, „muss nicht negativ sein für den Standort“, für den er voll des Lobes ist. Auch die Gewerkschaft IG BCE weiß keine näheren Details zu den Investoren, sagt Bezirksleiter Torsten Falke. Sie und der Betriebsrat seien aber informiert. „Man sollte auch nicht immer allzu laut spekulieren, sonst werden kleine Pflänzchen plattgetreten.“Der Standort sei „top“aufgestellt mit einer „cleveren Mannschaft“und habe bewiesen, dass er über Jahrzehnte, wenn nicht über Jahrhunderte funktionieren kann.